Sie feiern den ersten Gottesdienst in ihrer neuen Kirche - die Christen in der nordirakischen Stadt Dohuk, 70 Kilometer nördlich von Mossul. Hunderte sind gekommen, um das Gotteshaus einzuweihen - festlich gekleidet wie für eine Hochzeit. Kleine Mädchen tragen Ballkleider, junge Frauen singen im Chor.
Sie alle sind Vertriebene, kommen aus Mossul oder den christlichen Orten im Umland - geflohen vor dem IS. Tausende Gläubige, vertrieben aus der Region von Euphrat und Tigris. Die Gemeinde in Dohuk ist durch die Flüchtlinge derart gewachsen, dass der Bau einer neuen Kirche nötig war.
"Unsere Moral war am Boden", so diese junge Christin. "In unserem Heimatort hat der IS alles zerstört, alle Häuser, Schulen und Kirchen. Aber jetzt, durch die Eröffnung dieser Kirche, habe ich wieder etwas Hoffnung."
Der Bischof von Mossul, ebenfalls im Exil lebend, ist angereist, um die neue Kirche einzuweihen. Obwohl im Irak seit langem ethnische Konflikte herrschen, beschwört er die Einheit seines Landes:
"Die verschiedenen Religionen haben im Irak immer gut zusammenlebt. An einem Ort gab es ganz viele Gotteshäuser, für Jesiden, Christen und Muslime und es herrschte Liebe unter den Menschen. Dann kam die Besatzung und sie haben uns nach Konfessionen geteilt, ein Sunnit, ein Schiit, ein Jeside, ein Christ. Aber wir sind ein Volk."
"Alles ist zerstört"
Ein Volk? Pater Paul kann da nur traurig lächeln. Der junge Priester sitzt in einem Container, der ihm als provisorisches Gemeindehaus dient, im nordirakischen Erbil. Hinter ihm hängt ein Bild der Mutter Gottes, der einzige Farbfleck in dem kargen Raum. Seine ganze Gemeinde und mehrere Nachbarorte sind vor dem IS hierhin geflohen, 140.000 Menschen auf einmal. Viele leben seit zwei Jahren in einem Flüchtlingslager. Als es kürzlich hieß, sein Ort wäre von IS befreit, fuhr Pater Paul sofort los:
"Ich war als einer der ersten vor Ort. Es war erschütternd. Alles ist zerstört, die Häuser abgebrannt, die Kirchen geschändet. Sie haben sogar die Toten aus ihren Gräbern geholt und die Leichen zerstückelt."
Historiker sind sich einig: Der IS hinterlässt im Irak eine Schneise der Verwüstung. Jahrhundertealte Statuen und Ikonen - Kulturschätze der Menschheitsgeschichte im biblischen Zweistromland wurden zerstört. Eine berühmte Klosterkirche nutzten die Terroristen als Sprengstofffabrik - der Innenraum ist völlig verwüstet. Angesichts der massiven Zerstörung sind die Christen im Irak in ihrer Haltung gespalten: Einige wollen so schnell wie möglich zurück in ihre Orte und mit dem Wiederaufbau beginnen - andere wollen so schnell wie möglich weg aus dem Irak.
80 Kilometer östlich von Mossul sitzt Mariam in einer Klasse und lernt Englisch. Eine Hilfsorganisation in Erbil bietet den Sprachkurs für junge Frauen an. Sie alle sind Christinnen - und versuchen, sich auf ein dauerhaftes Leben im Ausland vorzubereiten. Denn Hoffnung, dass sie zurückkönnen in ihre Heimat, haben die jungen Frauen nicht.
Das Ende einer 2000-jährigen Geschichte?
"Ich bin so traurig, wir haben keine Heimat mehr und wissen nicht, wo wir morgen sein werden. Ich habe Medizin studiert und war in den letzten Jahren immer auf der Flucht, als Christin in Mossul hatte ich große Probleme an der Uni, deshalb bin ich geflohen. Für uns Christen gibt es hier keine Zukunft."
2003 wurde der Anteil der Christen an der irakischen Bevölkerung noch auf acht Prozent geschätzt, heute auf unter ein Prozent. Das wären nicht mal 300.000 Menschen. Der Exodus der Christen aus dem ehemaligen Mesopotamien scheint nicht aufhaltbar - die Gesellschaft für bedrohte Völker rechnet mit einem baldigen Ende der 2000jährigen Geschichte der Christen im Irak. Ein junges Mädchen, vielleicht 16, fasst den Traum vieler junger Christen zusammen:
"I want to go to America!"
In der neuen Kirche in Dohuk sind die Gläubigen aufgestanden - sie beten. Dass der IS bald besiegt ist, dass die Christen im Irak doch noch eine Chance haben und in Frieden leben können. Gemeinsam sprechen sie auf Arabisch das Vaterunser - die Christen im Nordirak.