Möwen segeln über einem kleinen Park am Ufer des Marmara-Meeres im Istanbuler Stadtteil Yesilköy. San Stefano hieß dieser Ort vor hundert Jahren noch, er lag damals außerhalb der Stadt. Eine verfallene Kapelle und ein paar alte Grabsteine in einer Ecke des Parks erinnern daran, dass hier einst viele Christen lebten – Griechen, Armenier, Katholiken.
Die meisten von ihnen sind schon lange fort, ihre prächtigen Holzvillen verfallen und verfault. Doch hier an dieser Stelle soll nun wieder eine Kirche errichtet werden – der erste Kirchenneubau in der Geschichte der Türkischen Republik. Der Gemeinde-Älteste Sait Susin stößt einen Seufzer aus:
"Seit sieben Jahren bemühen wir uns um ein Baugrundstück und eine Baugenehmigung, und nun haben wir endlich alle Hürden überwunden und die Baugenehmigung in den Händen. Sobald das Wetter es erlaubt, werden wir den ersten Spatenstich setzen - voraussichtlich im März."
Sait Susin ist der Vorsitzende der syrisch-orthodoxen Kirchengemeinde von Istanbul, die freilich nichts mit Syrien zu tun hat. Die Gemeindemitglieder sind aramäische Christen aus Südostanatolien, die im letzten Jahrhundert aus ihren angestammten Siedlungsgebieten in Tur Abdin, Mardin und Diyarbakir im Südosten der Türkei geflohen waren.
"Wir brauchen dringend eine eigene Kirche"
Etwa 300.000 aramäische Christen leben heute in Europa und Amerika, wo sich viele auch als assyrische Christen bezeichnen; die größte Gruppe mit rund 100.000 in Deutschland. In Istanbul sind es immerhin 17.000 aramäische Christen, und die brauchen dringend eine neue Kirche, erklärt Susin:
"In Istanbul besitzen wir Aramäer nur eine einzige Kirche. Die liegt in der Innenstadt und reicht natürlich nicht. Unsere Gottesdienste feiern wir bisher als Gäste bei sieben verschiedenen Kirchen anderer Glaubensgemeinschaften. Die platzen aber aus allen Nähten, wenn wir kommen, denn wir Aramäer sind zahlreicher als die anderen Gemeinden - und wir gehen sonntags alle in die Kirche. Deshalb brauchen wir dringend eine eigene Kirche, und zwar hier in Yesilköy, wo die meisten Aramäer leben."
Darum muss es auch eine neue Kirche sein, sagt Sait Susin. Denn leerstehende Kirchen gibt es in Istanbul eigentlich genug – hundert oder mehr, selbst wenn man die abzieht, die als Moscheen genutzt werden. Nur nicht in Yesilköy, wo im Gegensatz zu anderen Stadtvierteln heute noch einige Griechen und Armenier leben, die ihre Kirchen selber nutzen.
Probleme mit der katholischen Kirche
Mit ihrem Wunsch nach einer neuen Kirche betrat die Gemeinde politisches Neuland, denn seit der Gründung der Republik Türkei im Jahr 1923 ist dort noch keine einzige Kirche neu errichtet worden. Zunächst lief alles glatt, erzählt der Gemeindevorsitzende:
"Wir haben die Regierung um ein Grundstück gebeten, auf das wir eine Kirche bauen können, und sie hat uns eines zugewiesen."
Doch damit gingen die Schwierigkeiten erst los, denn bei einem Teil des Grundstücks handelt es sich um einen früheren katholischen Friedhof. Die Stadt Istanbul verweist auf gesetzliche Bestimmungen, wonach Friedhöfe an die öffentliche Hand zurückfallen, wenn sie seit mehr als 50 Jahren nicht mehr genutzt werden – in diesem Fall sind es schon an die hundert Jahre.
"Christen verhindern den Kirchenbau"
Katholische Kirchenvertreter sahen das anders und klagten auf Herausgabe des Grundstücks, als bekannt wurde, dass es den Aramäern gegeben werden sollte. Der Prozess windet sich seit Jahren durch die Instanzen, ohne dass ein Ende absehbar ist. Die Aramäer appellierten deshalb sogar an Papst Franziskus, erklärt Susin:
"Unser Patriarch hat den Papst gebeten zu intervenieren, und selbst der Ökumenische Patriarch Bartholomäus hat den Papst darauf angesprochen. Aber leider sind so drei Jahre verlorengegangen. Einige türkische Minister haben uns schon scherzhaft damit aufgezogen, dass die Christen den Kirchenbau verhindern, den die Muslime genehmigt haben."
Der vatikanische Botschafter in der Türkei handelte schließlich einen Deal aus. Die Gemeinde muss dafür ziemlich tief in die Tasche greifen, wie Sait Susin berichtet:
"Wir haben den Katholiken 200.000 Euro gespendet, und wenn sie den Prozess gegen die Stadt gewinnen, bekommen sie von uns noch einmal eine wesentlich höhere Summe, die ich jetzt aber nicht nennen will."
Im Gegenzug stimmten die Katholiken zu, die einstweilige Verfügung gegen den Baubeginn zurückzuziehen, so dass es nun bald losgehen kann. Die Einigung dürfte ein größeres Loch in die Kasse der Aramäer gerissen haben, die den Kirchenbau komplett mit Spenden aus der Gemeinde bestreiten.
"Erdogan hat sich dafür eingesetzt"
Mit den türkischen Behörden hätten sie dagegen keine Probleme gehabt, erzählt der Gemeindevorsitzende:
"Wir haben von den Behörden nur Unterstützung erfahren bei diesem Projekt, von der Regierung bis zur Stadtverwaltung. Präsident Erdogan selbst hat sich von Anfang an dafür eingesetzt."
Im Westen werde das vielleicht überraschen, sagt Sait Susin:
"Im Ausland weiß man das ja nicht so, aber wir Christen und Juden in der Türkei erleben in den letzten 15 Jahren eine Zeit der Ruhe und Sicherheit, wie wir sie in der Geschichte der Türkischen Republik noch nie erlebt haben. Wir dürfen eigene Schulen eröffnen und jetzt auch die Kirche bauen – davon konnten wir bis in die 90er Jahre noch nicht einmal träumen."
In zwei Jahren soll die neue Kirche schon eröffnet werden, hofft Susin - wenn die Spendengelder ausreichen. Dreieinhalb Millionen Euro soll der Kirchenbau kosten, und die haben die Aramäer noch nicht ganz zusammen.