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Christen in der Türkei
Mörder von Christen verlassen Gefängnisse

Ein notwendiges Gesetz zur Verkürzung der Untersuchungshaft in der Türkei führt dazu, dass auch überführte Mörder an Christen auf freien Fuß gelangen. Hass auf die Glaubensminderheit zeigt sich offen, die christliche Bevölkerung ist in Angst versetzt. Kritiker vermuten sogar politisches Kalkül.

Von Susanne Güsten |
    Die Paulus-Kirche, aufgenommen am Donnerstag (21.10.2010) in Tarsus (Türkei).
    Das Christentum in der Türkei ist alt - der Hass auf Christen neu. (dpa / Rainer Jensen)
    Da die Untersuchungshaftzeit in der Türkei sich oft viele Jahre hinzieht, hat die türkische Regierung diese nun mit einem neuen Gesetz auf fünf Jahre verkürzt, ohne aber notwendige Ausnahmen vorzusehen. Aus diesem Grund wurden jetzt auch zahlreiche Gewalttäter freigelassen, die das Land von Christen reinigen wollen und bereits in entsprechende Mordfälle verwickelt waren.
    Ehre den Mördern
    Mit osmanischer Militärmusik wurde Veli Kücük in seiner westtürkischen Heimatstadt empfangen, als er kürzlich aus dem Istanbuler Untersuchungsgefängnis zurückkehrte. Einen wahren Heldenempfang bereiteten seine Gesinnungsgenossen dem berüchtigten Ex-General, der als Schlüsselfigur des nationalistischen Geheimbundes Ergenekon in mehrere Christenmorde verwickelt sein soll. Zu den Untersuchungshäftlingen, die in diesem Monat freigelassen wurden, zählen außerdem der mutmaßliche Drahtzieher des Attentats auf den armenischen Journalisten Hrant Dink sowie die Männer, die 2007 im osttürkischen Malatya drei protestantische Christen ermordeten, darunter den deutschen Missionar Tilmann Geske. Die türkischen Christen sind zutiefst verängstigt, sagt Susanne Geske, die Witwe des Deutschen, die mit ihren drei Kindern noch immer in Malatya lebt:
    "Es ist unrecht, die Täter einfach so frei zu lassen, das bringt uns in Gefahr. Und dann wurden ja noch viele weitere solche Häftlinge freigelassen. Unter uns Christen herrscht jetzt Angst und Spannung, wir fragen uns, was diese Leute tun werden, ob uns etwas zustößt. Viele Mitglieder unserer Gemeinde fühlen sich gefährdet. Die Täter haben das ja nicht von sich aus getan, sie wurden benutzt und aufgehetzt gegen uns, so wie die Mörder von Hrant Dink und dem katholischen Priester Andrea Santoro."
    Morde erscheinen vom Staat abgesegnet
    Fast sieben Jahre ist die brutale Ermordung von Tilmann Geske und seinen Glaubensbrüdern Ugur Yüksel und Necati Aydin her, doch im Prozess gegen die Täter ist ein Urteil noch nicht einmal in Sicht. Dabei gab es an ihrer Schuld nie einen Zweifel, wurden sie von der Polizei doch blutverschmiert und mit den Messern in der Hand am Tatort angetroffen. Auch haben sie die Tat nie abgestritten, sondern sich im Gegenteil stolz dazu bekannt. Ihre Freilassung sendet eine klare Botschaft, sagt der protestantische Pastor Semir Serkek von der Gnadenkirche in Istanbul:
    "Die Freilassung der Täter von Malatya läuft auf eine öffentliche Belohnung und Belobigung für das Christenmassaker hinaus, das sie ja ganz offen verübt haben. Indem der Staat diese Leute laufen lässt, gibt er die Christen zum Abschuss frei. Es gibt in der Türkei ja noch Zehntausende weitere Menschen, die so denken, die die Christen hassen. Wozu werden die sich nun berufen fühlen? Der Staat ruft mit dieser Freilassung regelrecht dazu auf, die Christen in diesem Land zu töten."
    Versehen oder Populismus
    Der Pastor weiß, wovon er spricht. Die Türe zu seiner kleinen Kirche im Istanbul Stadtteil Bahcelievler ist mit Einschusslöchern übersät, die Fenster sind mit Maschendraht überzogen, um sie vor Steinwürfen zu schützen. Sogar seine Bibel ist von Bombensplittern durchlöchert, ein Andenken an einen Anschlag auf seine frühere Gemeinde in einem anderen Stadtteil. Zu Ostern wurde Serkek vor zwei Jahren von vier Jugendlichen verprügelt, die ihn nachts herausklingelten.
    An den gesundheitlichen Schäden leidet der 60-Jährige noch heute, doch die Täter wurden nie gefasst – und seiner Ansicht nach auch von der Polizei nie ernsthaft gesucht. Die Gewalt gegen Christen werde vom türkischen Staat nicht nur geduldet, sondern sogar gefördert, meint Serkek. Dass die Regierung bei der Verkürzung der Untersuchungshaftzeiten nicht an Malatya gedacht habe, wie der Justizminister letzte Woche versicherte, das nimmt Serkek ihm nicht ab:
    "Man hätte ja bei diesem Gesetz mit einem einzigen Satz diejenigen Untersuchungshäftlinge von der Freilassung ausnehmen können, die auf frischer Tat bei einem Tötungsdelikt ertappt wurden, so einfach wäre das gewesen. Und dass der Prozess in Malatya schon sieben Jahre andauert, spricht ja für sich. Nein, diese Freilassungen sind kein Versehen, das hat der Staat mit voller Absicht getan. Warum? Um von der Korruptionsaffäre abzulenken, um dem nationalistischen Affen Zucker zu geben, um Stimmung zu machen im Land."
    Auch in seiner Gemeinde gehe die Angst um, sagt Serkek. Einige Gemeindemitglieder denken daran, aus der Türkei auszuwandern. Sie fürchten um ihr Leben und das ihrer Kinder, und sie glauben nicht mehr an eine bessere Zukunft in der Türkei. Der Pastor selbst will bleiben und seine Botschaft weiter verkünden, aber verstehen kann er seine verängstigten Glaubensbrüder schon:
    "Wir sind alle im Schock, wir Christen in der Türkei. Wir wollten unserem Staat vertrauen, aber wir haben mal wieder erkennen müssen, dass dieser Staat für uns ein Wolf im Schafspelz ist. Er tritt sanft auf und redet gütlich, aber er will uns zerreißen und vernichten."