Als Mitte Juni hunderttausende Menschen in Hongkong auf die Straße gingen, ertönte immer wieder ein bestimmtes Lied:
"Sing Hallelujah to the Lord"
Fünf Worte, eine einfache eingängige Melodie in Moll. Das Lied "Sing Halleluja to the Lord" geht auf die Amerikanerin Linda Stassen-Benjamin zurück. Sie komponierte es 1974 als Osterlied. Und ausgerechnet dieses christliches Lied wurde zur inoffiziellen Hymne des Protests in Hongkong.
Religionsfreiheit schützt die Demonstranten
Auch Edwin Chang hat es oft gesungen. Er ist Vorsitzender einer katholischen Studentenorganisation in Hongkong. Auch Chang hat in den vergangenen Wochen gegen das Auslieferungsgesetz von Regierungschefin Carrie Lam protestiert. Er hat mitverfolgt, dass "Sing Hallelujah" anfangs von Christen angestimmt wurde, bald darauf stimmten alle Demonstranten ein - ungeachtet ihrer Religion. Neben dem Ohrwurmcharakter habe das noch einen anderen ganz praktischen Grund gehabt:
"Religiöse Versammlungen können gemäß Gesetz in Hongkong nicht von der Polizei geahndet werden. Versammlungen sind dann illegal, wenn sie nicht religiös und wenn sie nicht angemeldet sind. Also haben wir gebetet und das Lied "Sing Hallelujah" gesungen. Dadurch wurde der Protestzug friedlicher und der Konflikt zwischen den Leuten und der Polizei schaukelte sich nicht weiter hoch. Und die Versammlung wurde legal, weil sie ja einem religiösen Zweck diente."
In Hongkong gilt Religionsfreiheit, in Festlandchina nicht. Der Schweizer Tobias Brandner lebt seit 23 Jahren in Hongkong. Er war bei einigen Demonstrationen im Juni dabei. Er lehrt an der Universität Theologie und arbeitet im Auftrag des Schweizer Hilfswerks "Mission 21" als Seelsorger im Gefängnis.
"Einerseits sind sehr viele meiner Studierenden recht aktiv involviert in dieser sozialpolitischen Bewegung", sagt Brandner. "Und zum anderen habe ich einige dieser unterdessen verurteilten Aktivisten der Regenschirm-Bewegung von 2014 … die sind jetzt im Gefängnis und die treffe ich da wieder."
Obwohl Christen in Hongkong nur ein Zehntel der Bevölkerung ausmachen, sind sie doch in vielen Bereichen tonangebend. Wichtige Posten in Verwaltung und Wirtschaft werden von Christen besetzt. Auch Regierungschefin Carrie Lam ist Katholikin.
Furcht vor Einflussnahme Festlandchinas
Sie hat in Bezug auf das Auslieferungsgesetz mittlerweile auf den Protest reagiert: Das Gesetz ist erst einmal vom Tisch. Aber die Demonstrationen gehen weiter: Die Hongkonger fürchten die Einflussnahme des mächtigen Festlandchinas.
Dass dort auch der Druck auf Kirchen in den vergangenen Jahren massiv zugenommen hat, das weiß Tobias Brandner von seinen zahlreichen Besuchen dort zu berichten. Vor dieser Situation fürchten sich die Christen in Hongkong.
"Die Leute in Hongkong sind natürlich gewohnt, dass sie Freiheitsrechte haben, die Menschen in China nicht haben", sagt Brandner. "Dazu gehört die Versammlungsfreiheit, Religionsfreiheit, die dann wirklich auch praktiziert wird im Gegensatz zu China. Pressefreiheit, freien Zugang zum Internet und so weiter. Das ist alles nicht gewährleistet in China."
Denn Hongkong hat als ehemalige britische Kolonie eine besondere Stellung. Es gehört zwar zu China, genießt als Sonderverwaltungszone aber besondere Autonomie-Rechte. Diese besondere Ein-Land-Zwei-Systeme-Regelung besteht seit 1997, als Großbritannien Hongkong nach 156 Jahren an China zurückgab. Im Jahr 2047 soll Hongkong dann auch rechtlich an Festland-China angepasst werden.
"Das ist natürlich der generelle Hintergrund nicht nur für die Christen, sondern für Christen und Nicht-Christen gemeinsam", sagt Brandner. "Dieses große Damoklesschwert 2047, das da über Hongkong hängt. Niemand weiß, wie es weitergehen wird, und die Leute haben zunehmend Angst davor oder wollen eben auch quasi Pfähle einschlagen, damit in 28 Jahren Hongkong weiterhin einen speziellen Weg gehen kann und nicht einfach zu einer gewöhnlichen chinesischen Stadt wird."
"Wir protestieren weiter"
Es sind wie Edwin Chang viele junge Hongkonger, die der chinesischen Regierung misstrauen und deswegen auf die Straße gehen. Sie fürchten, dass China nicht mehr bis 2047 warten werde. Auch deswegen halte man den Protest aufrecht.
"Wir protestieren weiter. Wir unterstützen die Demonstranten, etwa indem wir ihnen einen Zufluchtsort bieten. Wir haben unsere Glaubensbrüder und -schwestern aufgefordert, sich dem Protest anzuschließen. Ich selbst marschiere auch noch regelmäßig mit, allerdings nicht in der ersten Reihe, um der Auseinandersetzung mit der Polizei aus dem Weg zu gehen."
Seitdem die Ausschreitungen heftiger geworden sind, ist das Lied "Sing Halleluja to the Lord" seltener zu hören. Vor kurzem machte allerdings ein Foto von einem Protestschild im Internet die Runde: Darauf drohten die Demonstranten: "Hört auf Schlagstöcke einzusetzen oder wir singen "Sing Hallelujah".