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Christen in Pakistan
"Diskriminiert und depressiv"

Nur knapp drei Prozent der Menschen in Pakistan bekennen sich zum Christentum. Sie leben gefährlich, denn Christen sind das erklärte Anschlagsziel radikalislamischer Terrorgruppen. Hinzu kommen die strengen Blasphemie-Gesetze, die oft gegen Christen angewendet werden.

Von Jürgen Webermann |
    Vor dem Eingangstor des Kirchengeländes in Youhanabad, einem Stadtteil von Lahore in Pakistan, hatte sich ein Extremist in die Luft gejagt
    Kirche in Youhanabad, einem Stadtteil von Lahore in Pakistan (Deutschlandradio/ Jürgen Webermann)
    Irshad Ashknaz feierte gerade mit den Gläubigen die Sonntagsmesse, als die Selbstmordattentäter zuschlugen.
    "Ich habe gerade die Heilige Kommunion ausgeteilt. Es war Viertel vor 11. Erst fielen Schüsse. Wir setzten die Zeremonie fort. Dann explodierte die Bombe."
    Direkt am Eingangstor zum Kirchengelände hatte sich ein Extremist in die Luft gejagt. Ein Wächter hatte ihn noch davon abhalten können, in die voll besetzte Kirche zu stürmen. Kurz darauf explodierte auch an der nahe gelegenen katholischen Kirche ein Sprengsatz. 21 Menschen starben an jenem März-Sonntag vor etwas mehr als einem Jahr. 300 wurden verletzt.
    "Danach wurde es noch schlimmer. Die Menschen waren aufgebracht. Sie schnappten sich zwei muslimische Männer und lynchten sie. Sie zündeten ihre Leichen an. Wir versuchten, die Lage zu beruhigen. Aber die Spannungen dauerten eine Woche lang an."
    Danach legte sich ein Schleier der Angst über Youhanabad, einem Stadtteil von Lahore. Hier leben eine Million Menschen, die meisten davon Christen.
    Alarmübungen mit Schülern
    Wer jetzt die Schule in Youhanabad direkt neben der Kirche besuchen will, muss zuerst ein schweres Eisentor passieren. Ein Sicherheitsmann mit einer automatischen Pistole beäugt jeden, der auf das Gelände möchte. Auf den Dächern halten Scharfschützen die Stellung. Diese Vorkehrungen gibt es mittlerweile an vielen Schulen Pakistans. Shagufta Perwais ist die Leiterin der christlichen Schule.
    Schüler in der Schule in Youhanabad, einem Stadtteil von Lahore in Pakistan
    Schüler in der Schule in Youhanabad, einem Stadtteil von Lahore in Pakistan (Deutschlandradio/ Jürgen Webermann)
    "Nach dem Anschlag hatten unsere Schüler Angst, hier her zu kommen. In den Sommerferien haben wir sie zwei Stunden pro Tag her gebeten. Sie konnten hier spielen, malen, Filme schauen, mit Psychologen reden. Wir haben einen Plan gemacht, wie wir den Kindern helfen können, das Trauma zu überwinden. Nach den Ferien hat sich der Alltag wieder normalisiert. Ein bis zwei Mal pro Monat machen wir jetzt Alarmübungen. Wir bringen den Kindern bei, dass sie im Falle eines Angriffs nicht einfach raus rennen sollen. Dass es besser ist, sich auf den Boden zu legen, und dass sie nicht schreien sollen."
    Immer wieder, sagt Shahgufta, stehe die Polizei vor der Tür. Immer dann, wenn es neue Warnungen vor Anschlägen gebe. Davon sei die christliche Schule besonders häufig betroffen.
    Vermutlich weil Kirchen und Schulen jetzt besser gesichert sind, schlugen die Extremisten zuletzt in einem öffentlichen Park zu. Mehr als 70 Menschen starben am Ostersonntag. Sie waren wegen der Karussells und zum Picknicken gekommen. Viele von ihnen waren Christen. Einige auch aus Youhanabad.
    "Diesen Anschlag haben wir aber nicht mit unseren Schülern besprochen. Wir wollten das Trauma nicht wieder aufleben lassen. Wir haben stattdessen für Opfer und Täter gebetet."
    Pakistans etwa zweieinhalb Millionen Christen stehen seit Jahren unter Druck. Wegen der scharfen Blasphemiegesetze landeten Christen in Gefängnissen oder sogar in der Todeszelle, weil sie angeblich den Propheten Mohammed beleidigt haben sollen. Mehrfach reichte schon ein Gerücht über Gotteslästerung, um auch in Lahore Ausschreitungen gegen Christen auszulösen. Beim Zugang zu Hochschulen und in Jobs werden Christen diskriminiert. Zwar will die Regierung jetzt christliche Feiertage anerkennen. Und wer andere wegen Gotteslästerung anzeigt, muss dies jetzt auch schlüssig darlegen können. Aber den Alltag vieler Christen haben die versöhnlicheren Töne aus Islamabad nicht verändert.
    Rehmat zum Beispiel betreibt einen kleinen Fleischerladen. Früher, als Pakistan noch weltoffener war, sei es der Familie gut gegangen, erzählt er.
    "Mein Vater hatte das Geschäft in einem guten Stadtviertel aufgebaut. Die Leute kauften gerne bei ihm. Aber Anfang der 80er war es damit vorbei. Von nun an betrachteten die meisten Muslime das Fleisch als verflucht, weil wir Christen es berührt hatten. Vorher hatten sie damit überhaupt kein Problem. Also mussten wir ins christliche Viertel ziehen. Selbst meine muslimischen Freunde würden nicht bei mir kaufen."
    An der weißen, schlichten Stirnwand klebt ein Foto von Rehmats Sohn, Shezad. Er starb im März vor einem Jahr, als die Taliban die Kirche angriffen. Eine Kugel traf ihn direkt in die Stirn.
    Rehmat zum Beispiel betreibt einen kleinen Fleischerladen. An der weißen, schlichten Stirnwand klebt ein Foto von Rehmats Sohn, Shezad. Er starb im März vor einem Jahr, als die Taliban die Kirche angriffen.
    Rehmat vorlor seinen Sohn Shezad, als die Taliban die Kirche angriffen (Deutschlandradio/ Jürgen Webermann)
    "Nach dem Anschlag wollte ich alles hier verkaufen und nach Amerika oder Europa gehen. Ich war depressiv und bin es noch immer. Und ständig diese Angst. Aber eine Flucht war mir dann zu riskant. Ich habe den Schleusern nicht vertraut."
    Also bleibt Rehmat in Youhanabad und hat eigentlich nur einen Wunsch. Die pakistanische Gesellschaft, sagt er zum Abschied, solle ihn und die anderen Christen endlich wieder als Menschen akzeptieren, statt ihnen alle Chancen auf ein gutes Leben zu nehmen.