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Christen und Muslime an einem Tisch

Die Spannungen zwischen westlicher Welt und den Muslimen treffen Italien unmittelbar. Der Tod eines Priesters in der Türkei hat das Land aufgeschreckt. Nun will ein katholischer Geistlicher zumindest vor Ort in den italienischen Gemeinden dafür sorgen, dass es keine Konflikte zwischen Christen und Muslimen gibt. Ein Bericht von Michael Brandt.

09.02.2006
    Sogar Papst Benedikt XVI. äußerte sich gestern Nachmittag am Ende seiner Generalaudienz zum Tod des Priesters Don Andrea Santori. Ich kann heute es nicht verhindern, so der Papst, ich muss an den Priester denken. Nach diesen Worten erhoben sich die rund 10.000 Teilnehmer der Audienz und applaudierten minutenlang.

    Das Schicksal des Priesters aus der Nähe von Rom, der am Sonntagabend in seiner Pfarrgemeinde in Trabzon in der Nordosttürkei erschossen wurde, bewegt die Menschen. Der Tod am vergangenen Sonntag, als der 60-jährige Missionar in seiner Kirche erschossen wurde, die Überführung des Leichnams in die Gemeinde in Rom, in der er bis zum Jahr 2000 Seelsorger war.

    Ich bin noch ganz durcheinander, sagt eine Frau aus seiner römischen Heimatgemeinde, denn wir vermissen ihn hier alle sehr. Er war hier tief verwurzelt. Er war ein mutiger Priester. Wir haben einen sehr wertvollen Mensch verloren.

    Und so war gestern die Nachricht, dass der 16-jährige Mörder gefasst wurde und dass er ausgesagt habe, er habe es wegen der Karikaturen des Propheten Mohammed getan, Tagesthema. Aber Thema war immer auch, dass sich Don Andrea Santori für den Dialog der Menschen und der Religionen stark gemacht habe, dass dies sein Lebenswerk und Vermächtnis gewesen sei.

    Weit weg von Rom in dem piemontesischen Örtchen Cesara verfolgt Don Renato Sacco die Entwicklung. Er kannte Don Andrea und versteht sich, wie er sagt, als Bruder im Geiste. In der ganzen Region ist Don Renato dafür bekannt, dass er sich seit Jahren für genau für diesen Dialog der Religionen einsetzt, für den auch Don Andrea arbeitete.

    Sehr häufig, berichtet er, sei er in Bosnien und sei er im Kosovo gewesen; und auch im Irak sei er fünf Mal gewesen; vor dem Krieg, während des Embargos, während des Krieges und danach, um dort Christen zu unterstützen und Muslime, um zu sagen, so der Priester weiter, dass wir aus dem Westen kommen, aber trotzdem gegen den Krieg sind. Und wir haben viele Freundschaften geschlossen mit Christen und mit Nicht-Christen.

    Das Erste, was Don Renato nach Beginn der Proteste und dem Tod von Don Andrea getan hat, war, sich mit dem örtlichen Vertreter der Muslime zu treffen und gemeinsam zu essen:

    "Wir sind überzeugt dass es wichtig ist, Signale der Gemeinsamkeit zu senden. Also haben wir zusammen gegessen, um zu sagen, obwohl sie einen Priester in der Türkei erschossen haben, bleiben wir Freunde, und setzen wir ein Zeichen für den Dialog und gegen den Eindruck, dass alle Muslime Terroristen sind."

    Die Muslime Norditaliens stammen zum größten Teil aus den maghrebinischen Ländern und sind in der Regel noch nicht sehr lange in Italien. Ihr Bevölkerungsanteil ist deutlich geringer, als etwa der der Türken in Deutschland, und es gibt nur wenig staatliche Initiativen, um sie in die italienische Gesellschaft zu integrieren.
    Weshalb die Spannung zwischen Muslimen und Italienern insgesamt, und zurzeit ganz besonders deutlich zu spüren sei, so Don Renato:

    "Gewalttätigkeiten gibt es hier zum Glück nicht, sagt er, aber man spürt die Spannung. Es ist ein bisschen, wie wenn man den Gashahn in eine Zimmer angelassen hat: Da darf man das Licht nicht anschalten, sondern muss die Fenster öffnen und frische Luft reinlassen. Und auf keinen Fall darf man ein Streichholz anzünden."

    In der Region sei das gelungen, sagt Don Renato, ganz einfach, weil Christen und Muslime sich regelmäßig träfen. Aber dennoch waren die Karikaturen, le vignette, wie er sagt, in einer ohnehin schon schwierigen Situation mehr als überflüssig:

    "Die Karikaturen zu veröffentlichen ist nicht eben ein Ausdruck von Zivilisiertheit; man darf sich nicht über die Werte anderer Religionen lustig machen, zumal die Karikaturen gar nicht lustig waren; sie sind eine große Provokation."