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Christenverfolgung im Irak
"Die Amerikaner sind jetzt gefordert"

Im Irak bestehe die Gefahr, dass große Teile des Landes zur christenfreie Zone würden, sagte Volker Kauder, Fraktionsvorsitzender der Union, im Interview mit dem Deutschlandfunk. Es sei zum Verzweifeln, dass es keinen Aufschrei gegen die Brutalität gebe, mit der die Islamisten vorgingen. Hier seien jetzt die USA gefordert.

Volker Kauder im Gespräch mit Christine Heuer | 31.07.2014
    Der Fraktionsvorsitzende der Union, Volker Kauder.
    Der Fraktionsvorsitzende der Union, Volker Kauder. (dpa / Maurizio Gambarini)
    Vielleicht sei im Irak auch eine UNO-Mission notwendig, sagte Volker Kauder, Fraktionsvorsitzender der Union, im Interview mit dem Deutschlandfunk. Er ist Herausgeber des Buchs "Verfolgte Christen: Einsatz für die Religionsfreiheit". Die Welt könne nicht zusehen, wie ein Land in sich versinke, wie Menschen im Irak brutal umgebracht würden, so Kauder. Aus einer Region, die eine Keimzelle der christlichen Kultur war, würden die Christen verbannt.
    Wenn irakische Christen nach Deutschland kämen, dann müsse ihnen Asyl gewährt werden, forderte Kauder. Waffen werde Deutschland keine in die Krisenregion liefern, "da gibt es klare Richtlinien". Hier seien die Amerikaner gefordert, erklärte Kauder, die müssten sich der Situation annehmen. In Deutschland müsse wirtschaftliche Hilfe für die Menschen im Irak konkret geprüft werden. Dabei gehe es vor allem auch um die Frage, wie Hilfe zu den Menschen gelangen könne. Möglich sei das etwa über eine Zusammenarbeit mit christlichen Hilfswerken.

    Das Interview in voller Länge:
    Christine Heuer: Kann man als Christ im Irak noch leben?
    Volker Kauder: In Teilen des Iraks ist es sicher noch möglich, aber ich befürchte, dass große Teile des Irak zur christenfreien Zone werden. Die Christen können eigentlich nur noch in den von Kurden kontrollierten Gebieten leben.
    Heuer: Sie haben einmal gesagt: Überall, wo Muslime die Mehrheit stellen, kommen Christen mehr und mehr unter Druck. Wenn wir jetzt auf den Irak schauen - woran liegt das?
    Kauder: Nun, es liegt vor allem daran, dass der Islam sagt: Man kann nur Muslim sein! Wer seine Religion als Muslim wechselt, begeht eine schwere Sünde, und das führt in vielen Ländern eben zu Bestrafungen, obwohl in der Menschenrechtscharta der Vereinten Nationen steht: Zum Recht auf Religionsfreiheit gehört auch, den Glauben wechseln zu können. Und leider wird meine Aussage gerade im Irak dramatisch bestätigt.
    Heuer: Nun hat ja Frankreich irakischen Christen Asyl angeboten. Wieso tut Deutschland das eigentlich nicht?
    Da werden ja auch Menschenrechte verletzt
    Kauder: Wir haben Syrern Asyl angeboten, und Deutschland kann nur verfolgten Menschen Asyl anbieten, wir können nicht - aus Rechtsgründen halte ich das auch für richtig -, nicht sagen: Wir nehmen Christen aus - auf.
    Heuer: Aber es sind doch verfolgte Christen eben.
    Kauder: Ja, aber wer aus Gründen der Religion verfolgt wird, kann bei uns Asyl beantragen, und wer eben zu uns kommt, der wird auch dieses Asyl anerkannt bekommen. Aber es ist gar nicht so ganz einfach für die Christen aus dem Irak, zu kommen. Und im Übrigen habe ich mit mehreren führenden Vertretern der Christen im Irak, auch in Syrien, gesprochen, die sagen: Das alles führt dazu, dass es tatsächlich christenfreie Zonen gibt. Und ich fürchte, dass in dem Gürtel, in dem jetzt die ISIS die Macht ausübt, für Christen auch keine Chance mehr besteht. Aber wir haben vorhin von den Christen gesprochen. Es ist nicht nur so, dass Christen verfolgt werden, sondern in diesem Bereich, wo die ISIS jetzt mit ihrer Brutalität vorgeht, werden ja auch Menschenrechte verletzt, die brutal sind, es sollen ja vier Millionen Frauen beschnitten werden. Kein Aufschrei, nirgendwo, gegen solche Dinge - das macht einem ... lässt einen fast verzweifeln.
    Heuer: Herr Kauder, ich würde trotzdem gerne noch mal auf die Flüchtlinge, möglicherweise bald in Deutschland, zurückkommen. Im Fall Syrien hat Deutschland ein Kontingent aufgenommen, im Fall des Iraks vor einigen Jahren auch. Ihre Parteikollegen Johannes Singhammer und Heribert Hirte zum Beispiel plädieren sehr offensiv nun akut für die Aufnahme irakisch-christlicher Flüchtlinge. Verstehe ich Sie richtig, dass Sie sich diesem Aufruf nicht ausdrücklich anschließen wollen?
    Kauder: Doch, ich schließe mich dem Aufruf an. Wenn verfolgte Christen aus dem Irak zu uns nach Deutschland kommen, wird ihnen Asyl gewährt, werden sie aufgenommen. Das ist völlig selbstverständlich. Und wir müssen uns natürlich drüber unterhalten, ob wir zu einer Kontingentlösung kommen. Selbstverständlich müssen verfolgte Christen in unserem Land Aufnahme finden können. Dieser Forderung schließe ich mich schon an.
    Materielle Hilfe für die Menschen nötig
    Heuer: Sie haben gesprochen von der Gefahr christenfreier Zonen im Irak, wo es ja wirklich eine Jahrtausende alte, eine viele hundert Jahre alte christliche Tradition gibt. Was kann Deutschland für die Christen tun, die im Irak bleiben wollen oder müssen?
    Kauder: Also wir können beispielsweise für Christen, die im Nordosten des Iraks, dort, wo die Kurden auch leben, können wir ihnen helfen, eben mit materieller Hilfe, dass sie Gesundheitsstationen, Erziehungseinrichtungen machen können. Das trägt dazu bei, dass Christen akzeptiert sind, und sie selber haben auch Arbeit. Das können wir tun. Mehr können wir im Augenblick nicht tun, und da tun wir auch schon einiges. Wir haben von der CDU/CSU-Bundestagsfraktion aus durch Veranstaltungen auch Spenden erhalten, die wir schon seit einiger Zeit immer wieder in den Irak gegeben haben. Das sind allerdings Tropfen auf einen heißen Stein, ich weiß das.
    Heuer: Eben, müsste das nicht mehr sein? Also zum Beispiel sind ja viele der Christen in die Ninive-Ebene geflüchtet - das ist eine bitterarme Region. Soll Deutschland hier nicht ganz konkret über Soforthilfe hinaus wirtschaftliche Hilfe leisten?
    Kauder: Also wirtschaftliche Hilfe wäre wahrscheinlich möglich im Zusammenhang mit Entwicklungszusammenarbeit. Auch das muss ja jetzt konkret geprüft werden. Und es muss natürlich auch immer geschaut werden: Wie kommen wir an die Menschen heran? Und das ist am besten möglich beispielsweise über die kirchlichen Hilfswerke der katholischen und evangelischen Kirche, die auch dort unten arbeiten. Das muss man sich genau anschauen, damit das Geld dann auch dort ankommt, wo es gebraucht wird. Es bleibt aber tatsächlich dabei: Man kann verzweifeln, dass niemand dieser Terrorgruppe Einhalt gebietet und die einfach wüten lässt.
    Heuer: Wenn Sie über die kirchlichen Einrichtungen sprechen, dann reden wir ja über Spenden. Sollte nicht vielleicht der deutsche Staat auch wirtschaftlich helfen oder mit Geld?
    Kauder: Der Staat hat auch bereits geholfen. Wir haben beispielsweise die Hilfswerke mit Geld besser ausgestattet, sodass sie dann vor Ort auch konkret helfen konnten. Also Deutschland hat da auch schon in den letzten Jahren doch einiges getan.
    Heuer: Und mehr ist nicht nötig?
    Das Morden muss aufhören
    Kauder: Natürlich ist mehr immer nötig, und deswegen muss auch geprüft werden, und deswegen sage ich ja auch: Wir müssen mit denen, die vor Ort konkret tätig sind, sprechen, welche Hilfen gefordert sind und wie wir es organisieren können, dass sie ankommen. Selbstverständlich ist da noch mehr nötig und, wie gesagt, auch für diejenigen, die den Irak verlassen und zu uns dann kommen, was sehr schwer ist, was wirklich schwer ist, auch denen muss bei uns dann natürlich geholfen werden. Aber letztlich geht es immer darum, dass wir vor Ort tätig werden, und es ist ein Drama, dass im ganzen Bereich des Orients, das eine Keimzelle christlichen Lebens, christlicher Kultur war, jetzt auf einmal dieses christliche Element und die Christen total verschwinden und verbannt werden.
    Heuer: Sie haben gerade bedauert, dass niemand etwas tut oder niemand genug tut und die Menschen schützt dort. Im Moment schützen ja kurdische Soldaten die aus Mossul geflüchteten Christen, und die Kurden fordern deshalb jetzt Waffenhilfe des Westens. Soll Deutschland Waffen liefern?
    Kauder: Deutschland soll keine Waffen liefern und Deutschland wird auch keine Waffen liefern. Ich finde aber schon, das habe ich schon einige Male laut und auch öffentlich gesagt, dass ich finde, dass Amerika sich dieser Situation mehr annehmen muss.
    Heuer: Also die sollen Waffen liefern?
    Kauder: Ob die Amerikaner Waffen liefern sollen oder nicht - sie müssen auf jeden Fall einen Beitrag leisten, dass die Situation im Irak wieder stabiler wird und dass das Morden aufhört. Ich finde, da sind nicht wir jetzt als Deutsche gefordert, sondern da sind die Amerikaner gefordert. Und ich weiß, dass es ja bei den Amerikanern auch Überlegungen gibt. Waffenlieferungen sind immer natürlich problematisch und auch nicht beliebt. Wir liefern Waffen in Krisengebiete sowieso nicht, wir Deutsche sind auch nicht gefordert, aber natürlich ist eins auch klar: Die Frage wäre, ob hier nicht auch eine UNO-Mission notwendig wäre. Die Welt kann doch nicht zuschauen, wie hier in einem Land alles in sich versinkt und vor allem die Menschen in dramatischer Weise mit Brutalität hier umgebracht werden.
    Eine friedliche Situation muss wieder hergestellt werden
    Heuer: Jetzt fordern die Kurden aber ja wirklich ganz akut Hilfe und wollen Waffen haben. Sie sagen, irgendjemand muss die christlichen Iraker schützen, aber Sie sagen, Waffenlieferungen sind nicht das Mittel der Wahl. Sollen die Kurden und die Christen auch noch die rechte Wange hinhalten?
    Kauder: So einfach kann man die Sache nicht beantworten. Ich habe nicht gesagt, dass ich eine Hilfe für die Kurden für falsch halte. Ich sage nur: Deutschland kann und wird sich daran nicht beteiligen. Ich finde, hier sind schon die Amerikaner gefordert und die müssen entscheiden, welche Möglichkeiten und Notwendigkeiten sie sehen, in dem Land zu helfen, in dem sie ja auch einen Beitrag geleistet haben, dass die Diktatur wegkam und dass jetzt Demokratie und vor allem eine friedliche Situation wieder hergestellt werden kann.
    Heuer: Herr Kauder, in Ihrem eigenen Wahlkreis, in Rottweil-Tuttlingen, sitzt der Rüstungskonzern Heckler & Koch und exportiert - so ist vielfach zu lesen - Gewehre in Krisengebiete. Das wäre jetzt aber nicht ein möglicher Lieferant, noch mal nachgefragt, für die Kurden?
    Kauder: Ich wäre mal sehr vorsichtig mit dem Satz, dass diese Firma in Krisengebiete liefert. Es wäre dann ja ein Verstoß gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz. Das ist mir bisher nicht bekannt geworden.
    Heuer: Aber es sind H&K-Waffen in Libyen und Nigeria unterwegs zum Beispiel.
    Kauder: Ja, in Nigeria ... Das kommt ganz drauf an, in welcher Zeit das war. Nein, kann ich klar sagen, das ist nicht das Thema. Es geht auch bei dem, was die Kurden brauchen, nicht in erster Linie um Handfeuerwaffen, soviel ich weiß. Aber das wird auf jeden Fall nicht eintreten.
    Wir liefern keine Waffen in Krisengebiete
    Heuer: Damit sind wir aber - und das wäre meine letzte Frage - eigentlich mitten in der aktuellen Debatte in Deutschland über Rüstungsexporte. Sigmar Gabriel möchte diese Exporte restriktiver handhaben. Wenn ich Ihnen so zuhöre, dann stimmen Sie ihm zu und ziehen am selben Strang?
    Kauder: Wir haben eine klare Richtlinie in Deutschland, dass wir nicht in Krisengebiete Waffen liefern. Deswegen sind die aktuellen Diskussionen damit ohnehin nicht berührt. Aber wir müssen uns natürlich schon überlegen, ob wir in Deutschland noch eine wehrtechnische Industrie in der Zukunft haben wollen oder nicht. Und es geht ja auch um eine verbesserte Zusammenarbeit, beispielsweise mit Frankreich, und auch um Waffenlieferungen, möglicherweise nicht in Krisengebiete, sondern in andere Länder. Die SPD sagt, nein, das wollen wir nicht, wir halten das nicht für richtig, dass wir grundsätzlich keine Lieferungen machen - Krisengebiete total ausgeschlossen, richtig. Aber wenn der Koalitionspartner hier eine klare Position hat, hat es auch keinen Sinn, da immer wieder drüber zu diskutieren.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.