Fünf Jahre ist es inzwischen her, dass sich ein neuartiges Virus aus Wuhan in China über die ganze Welt ausgebreitet hat. Die Pandemie hat enorme Folgen bis heute. Die öffentlichen Rufe nach Aufarbeitung sind laut.
Laborproben der ersten deutschen Fälle „augenöffnender Moment“
Die ersten Corona-Fälle in Deutschland gab es Ende Januar 2020 in München. Bei der Analyse der Laborproben war das Team des Virologen Christian Drosten mit dabei. Schon bei diesen ersten Proben sei ihm klar geworden, dass hier aufgrund der Übertragbarkeit von SARS-Cov-2 eine Pandemie bevorsteht. „Wir haben in diesen Patienten gesehen, das Virus repliziert sehr stark im Rachen, nicht nur in der Lunge. Und das war für mich schon ein augenöffnender Moment, in dem ich dachte, das wird nicht leicht zu stoppen sein“, sagte Drosten.
Christian Drosten zu Schulschließungen und weiteren Maßnahmen
Einige der erfolgten Maßnahmen sieht Christian Drosten heute kritisch. Er weist aber die Frage zurück, ob sich zum Beispiel auch die Gesellschaft für Virologie hier hätte deutlicher positionieren müssen. Die Entscheidung über Maßnahmen habe bei der Politik gelegen.
Bei Kindern und Schulen habe er vor allem im Podcast des NDR gesagt, dass „das Virus überall ungefähr gleich übertragen wird. Also ist es eigentlich der Politik überlassen, wo jetzt genau kontrolliert wird, ob man die Schulen nimmt, ob man die Arbeitsstätten nimmt, ob man das Geschäftsleben nimmt, ob man das Freizeitleben der Erwachsenen nimmt. Alles das waren fast gegeneinander austauschbare Einheiten, wo man nur die Summe der Kontakte reduzieren musste.“
Niemand sei der Treiber der Pandemie gewesen. Hiermit sei er aber weniger gehört worden: „Ich glaube, man hat viel stärker die Argumentationen in den Talkshows gehört, die manchmal auch ein bisschen beherrscht war von nicht sehr wissenschaftlicher Argumentation.“ Vielleicht habe man in der Politik auch Argumente in eine bestimmte Richtung gebraucht, „weil es vielleicht Interessengruppen gibt, die sagen - bitte nicht an die Arbeitsplätze, Arbeitsstätten rangehen.“
Relevanz von Nicht-Wissen und sozialer Ungleichheit
Es sei generell eine große Herausforderung in der Pandemie gewesen, die sehr komplexen Zusammenhänge sowie an einigen Stellen auch das Nicht-Wissen zu kommunizieren, sagte Drosten. So habe es recht viel Forschung zur Rolle von Schulen gegeben, aber weniger Daten zu Maßnahmen an Arbeitsplätzen, auch weil solche Studien schwieriger umzusetzen seien. „Eine Schule ist eine Schule, eine Schulklasse ist greifbar. Das ist bei Arbeitsplätzen nicht so: Was ist der Unterschied zwischen einer Produktionshalle und einem Großbüro? Das ist ja alles komplexer strukturiert.“ Allerdings habe man über Daten zur arbeitsplatzbezogenen Mobilität sehr viel ableiten können.
Christian Drosten zur Debatte über Impfstoffe
Bei den Impfstoffen seien manche Aspekte zur Schutzwirkung nicht so richtig im Detail öffentlich diskutiert worden. „Zum Teil konnte man das gar nicht, weil man es nicht wusste, zum Teil war es aber auch zu komplex und die Aufmerksamkeitsspanne in den Publikumsmedien reichte dafür einfach nicht aus.“
Die große Herausforderung in einer Pandemie sei, bevölkerungsweit zu denken. Auch daraus sei später die kontroverse Diskussion über „Ungeimpfte“ entstanden. „Es ist also nicht schwarz-weiß, sondern es sind verschieden intensive Grautöne.“ „Und wenn es nunmal nicht schwarz-weiß ist, dann diskutieren wir leider an der Sache vorbei.“
Hinzu komme, dass in der Öffentlichkeit viel über „Impf-Medizin“ gesprochen worden sei und weniger über „Impf-Soziologie“. Das Thema soziale Ungleichheit bei der Impfung sei umschifft worden, statt es zu lösen. Öffentlich kommunizierende Personen wie Politiker hätten sich gescheut, zu sagen, dass die Impfungen sozial-schwache und informationsferne Menschen viel schlechter erreichen als die besser gestellten und besser gebildeten Anteile der Gesellschaft. Christian Drosten verweist hier allerdings darauf, dass er diese Analyse als Privatperson mache und nicht als Wissenschaftskommunikator.
Christian Drosten zur Aufarbeitung der Corona-Politik
Für Christian Drosten sind jetzt vor allem zwei Formen von Aufarbeitung nötig: Zunächst einmal gehe es um eine Aufstellung, wie zu welchem Zeitpunkt die Datenlage war. Und danach erst komme das Politische – und hier vor allem eine gesellschaftliche Auseinandersetzung mit fundamentalen Werten wie Unversehrtheit des Lebens und Freiheit: „Wir müssten uns anschauen und sagen - ist jedes Leben nun gleich viel wert oder nicht? Oder geht es hier vielleicht doch prioritär um wirtschaftliche Interessen oder um das Ego? Ist der Begriff Freiheit, der ins Feld geführt wird, nicht doch am Ende reiner Egoismus?“
Eine solche Diskussion gehöre in die Medien, in die Öffentlichkeit, ins Parlament. „Und das hat natürlich so nicht stattgefunden. Das wäre sicherlich etwas, das man vorsorglich im Vorgriff auf eine nächste Pandemie politisch-parlamentarisch leisten müsste, wenn man wirklich sprechen will von so etwas wie Aufarbeitung. Also, das wäre eine Aufgabe. Die Aufgabe ist sicherlich nicht zu sagen, der hat das Falsche erzählt, und der hatte Unrecht und der hat sich bereichert, sondern das Richtige wäre sicherlich, sich diese Grundfragen zu stellen.“
Christian Drosten zu seiner eigenen Rolle
Schnell sei ihm auch klar geworden, dass er öffentlich eine besondere Rolle hatte, sagte Drosten. Eine politische Positionierung oder die Rolle eines Influencers seien ihm allerdings zugeschrieben worden. „Solche Vorstellungen sind vollkommen obsolet", so der Virologe. „Manche Medien haben sich, glaube ich, darin gefallen oder haben das auch ausgenutzt, eine Person so darzustellen. Ich konnte nichts dagegen tun. Ich hätte im Prinzip sagen können, okay, mir reicht es, ich mache nicht weiter. Das hätte ich aber auch nicht richtig gefunden.“
In seiner Politikberatung und Wissenschaftskommunikation abseits der Medien sei es um Fragen gegangen wie „Wie ist das Virus jetzt? Wie immun ist inzwischen die Bevölkerung? Wie verbreitet sich das Virus – eher drinnen, eher draußen?“ Diese Realitäten seien nicht verhandelbar gewesen: „Man hat leider unbequeme Tatsachen.“
Diese seien jedoch nicht von allen in der Wissenschaft so kommuniziert worden. Die Gegenrede in der Öffentlichkeit „war ein Zusammenspiel zwischen einigen Einzelpersonen aus der Wissenschaft und manchen in den Medien, die das dann auch sehr stark verstärkt haben. Und das war sicherlich der Zündfunke für diese gesellschaftliche Gespaltenheit, die wir auch heute sehen.“
pto