Deutschlandfunk – Wir beantworten Hörerpost. Sie hören einen Brief unseres Hörers Christian aus Potsdam. Er schreibt:
"Hallo Ulmen. Bestimmt hast du den Auftritt von Late Night Talker Jimmy Kimmel gesehen, in dem er die traurige Geschichte seines herzkranken Babys erzählte, die zwar ein Happy End nahm, derentwegen Jimmy Kimmel aber vor laufender Kamera mehrmals weinte – im Standup seiner eigenen Late-Night-Show. Emotional nachvollziehbar und ein guter nachhaltiger politischer Effekt in Sachen Trump und Obama Care. Doch ich frage mich unabhängig davon:
Darf man das? Als Late-Night-Chef in der eigenen Kulisse weinen?
Ist eine Late-Night-Show nicht Inbegriff der kühlen Analyse, des harten Gags eines gepflegt distanzierten Rationalisten, geboren aus einer ironischen, mal sarkastischen, mal zynischen Weltsicht? Zerstört ein weinender Late-Night-Host nicht das Wesen seines Show-Formats? Steht ein solch emotionaler Ausbruch nicht der Figur eines Felsens in der Brandung des Tagesgeschehens entgegen, der ein Late-Night-Gastgeber immer sein sollte? Was sagst du? Dank – Christian aus Potsdam."
Ja, lieber Christian, vielen Dank für deine Mail. Die Frage ist ja, wer sagt eigentlich, dass Late-Night-Shows ihren Witz nur entfalten können bei vollständiger Abwesenheit von Gefühlsregungen. Also, das Bild hat ja jeder präsent – das ist natürlich klar. Letterman haut 'nen Spruch raus, der voll ins Schwarze trifft, das Publikum rastet aus, Letterman zuckt nur kurz mit dem rechten Mundwinkel, nächster Gag, zack.
Das ist schon eine ungeheure Coolness.
Cowboy-mäßig, alles im Griff. So möchte man auch sein. Aber selbst Letterman hatte mehrmals feuchte Augen in seinen Shows. Nach dem elften September, dann als Robin Williams starb – da weinte sogar Conan O’Brien in seiner Sendung. Conan O’Brien hat auch in seiner letzten Tonight-Show geweint, als er von MBC abgesetzt wurde. Jimmy Fallon, Jay Leno – sie alle haben schon mal live geheult. Jimmy Kimmel hatte sogar schon mal in seiner Sendung geweint aus Trauer darüber, dass David Letterman in Rente ging.
Woher kommt also – ich kann das nachvollziehen – diese innere Stimme hart gesottener Light-Night-Fans, die beim Anblick der Kimmel-Tränen sagen: Gefühle, die gehen gar nicht in so einer Late-Night. Und diese Stimme kommt wie immer von Papa. Das ist unser Vater, den wir da hören.
Und der Vater der deutschen Late-Night-Show ist Harald Schmidt.Er hat die erste und längste Late-Night-Show in Deutschland gemacht. Er hat uns gelehrt, was Late-Night ist. Wir alle haben ihn nachgemacht. Alle, die schon mal in Fernsehen moderiert haben oder noch moderieren, wollen oder wollten früher oder vielleicht auch immer noch so sein wie Harald Schmidt. Das war ein Riesen-Vorbild. Über den Dingen stehend, glasklarer Verstand, messerscharfe Gags, sich weder politisch noch sonst wie einordnen lassen können, irgendwie indifferent aber gleichzeitig immer auf der richtigen Seite sein.
Wir dachten, das ist Late-Night, so geht das, hart im Nehmen, hart im Geben.
So – aber eigentlich ist das die Harald-Schmidtsche Interpretation von Late-Night. Dabei klingt sein Mann wie ein Mantra, der sagt: mich ekelt Gefühl. Das hat Harald Schmidt so oder so ähnlich öfter gesagt. Als Johannes B. Kerner zum Beispiel mal bei der Bambi-Verleihung den Tod seines Schwiegervaters beweinte, da kam das für Harald Schmidt einem Verbrechen gleich. Da hat er sich mit Rudi Carrell drüber unterhalten, dass man das nicht macht im Fernsehen wird nicht geweint. Und es ist natürlich auch unangenehm, das zu sehen. Ich habe das ja auch gedacht. Aber für Schmidt war das grundsätzlich eine Belästigung jemandes zitternde Unterlippe kurz vor einem Gefühlsausbruch erleben zu müssen.
Papa hat also aus Amerika Late-Night mitgebracht, aber ohne diesen amerikanischen Pathos. Das mochte er gar nicht leiden. Er hat so getan, als seien Ironie und echtes Gefühl Gegensätze. Dabei hat Jimmy Kimmel unter seinen echten Tränen noch die besten Gags rausgehauen. Ein Bild seines Babys gezeigt und darauf hingewiesen, dass der gestrafte Junge nicht nur ein kaputtes Herz hat, sondern auch noch Papas Gesicht geerbt. Oder im Dank für Genesungskarten des Senders angemerkt, er habe natürlich keine einzige davon gelesen. Und das hat funktioniert. Das war sogar ziemlich stark.
Für mich hat Jimmy Kimmel Harald Schmidts Late-Night-Definition in ihrem Anspruch an Allgemeingültigkeit zumindest widerlegt.
Ich mag Pathos auch nicht, aber er ekelt eigentlich nur dann, wenn er gespielt gespielt ist – oder wenn er lispelnd mit zu viel Spucke im Mund vorgetragen wird. Einer, der sich aber verwundbar macht, in dem er splitternackt auf die Bühne stellt und mir, den ich ihn ja jeden Abend in mein Wohnzimmer lasse, um mal eine Floskel zu vermeiden, sagt, dass es ihm scheiße geht – ja, das ist denn eben gefühlsduselig. Ja, mein Gott, na und, der kommt mir nahe. Weil er eben kein Gag-Cowboy ist, der mir wie ein Terminator aus so 'ner Ritterrüstung der Unnahbarkeit entgegentritt, sondern weil er wie ich heute mal heult und morgen wieder Sprüche "bitet" – oder eben beides gleichzeitig. Geht doch allen Leuten so, warum nicht auch 'nem Late-Night-Man.
Das waren Deutschlandfunk – wir beantworten Hörerpost.
Christian Ulmen, geboren 1975, ist Schauspieler und Autor, Regisseur und Produzent – und jemand, der ungeheuer genau beobachtet, um das Gesehene anschließend ohne Pathos und Übertreibung wiederzugeben: in Filmen für Kino und Fernsehen, preisgekrönten Shows, Serien und Online-Formaten und seit 2013 auch als "Tatort"-Kommissar. Als Regisseur und Produzent kennt er auch die andere Seite. Fürs Radio hat er immer wieder gearbeitet, als Kolumnist auch – jetzt also wieder.