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Christiania in Gefahr

Der Freistaat Christiana im Herzen Kopenhagens - alternativer Mythos und Symbol für die dänische Liberalität und Toleranz gleichermaßen - ist 35 Jahre alt geworden und damit ganz schön in die Jahre gekommen. Die konservative Regierung Dänemarks möchte den illustren Freistaat jetzt "normalisieren", wie sie sagt. Da werden Befürchtungen wach. Marc-Christoph Wagner berichtet.

    Auf der so genannten Pusher-Street, der Hauptstraße von Christiania, herrscht ein reges und gleichzeitig ausgelassenes Treiben. In kleinen Gruppen stehen junge Leute plaudernd beieinander. Vor einem der alten Kasernengebäude sitzen zwei Mädchen rauchend auf einer Bank und genießen die ersten Sonnenstrahlen des Frühjahres. Von den Souvenirständen hängen die roten "Bewahrt Christiania"-T-Shirts herab – davor einige Schüler aus der dänischen Provinz – unentschlossen, ob sie sich trauen, eines davon zu kaufen. Seit drei Jahren gehören auch die dänischen Polizisten in ihren blauen Uniformen zum festen Bestandteil dieser Kulisse. Sehr zum Unmut der Christianiter sollen sie verhindern, dass die Pusher-Street erneut zu einem Drogenumschlagplatz wird.

    "Das hier ist reine Politik. Es war schon immer das Steckenpferd der Bürgerlichen, Christiania zu schließen – jetzt sind sie an der Macht, und wir hier kriegen eins über den Kopf gezogen. Das ist alles aus dem Ruder gelaufen, die wollen uns nur schikanieren und bloß stellen. In der ganzen Welt ist der Freistaat Christiania bekannt und jetzt steht die Polizei vor dem Gelände und sagt den Touristen, sie sollen sich verziehen."

    Anders Schütt, der Einsatzleiter am heutigen Tag, zuckt mit der Schulter. Gewiss, er selbst könne sich angenehmere Aufgaben vorstellen. Nicht einer der Bewohner Christianias sei den Kollegen wohl gesonnen. Die Polizei aber habe nun einmal eine Aufgabe seitens der dänischen Regierung bekommen und diese gelte es nun zu erfüllen:

    "Ein Freistaat, na das geht einfach nicht. Die dänischen Politiker können nicht akzeptieren, dass es mitten in Dänemark einen Ort gibt, an dem sich die Polizei nicht aufhalten kann und an dem andere Gesetze gelten als in der umliegenden Gesellschaft. Aber natürlich ist das gleichzeitig eine sehr schwierige Entscheidung, denn Christiania ist ja kein Ort wie jeder andere – und deswegen wird die endgültige Entscheidung über die Zukunft des Freistaates ja auch immer wieder verschoben. Bis dahin aber tun wir das, was man uns vorgegeben hat."

    Am anderen Ende des 35 Hektar großen Geländes Christianias wohnt Ole Lykke. Seit 1977 lebt er im Freistaat und gilt als einer seiner besten Kenner. Sein kleines, ofenbeheiztes Arbeitszimmer ist von oben bis unten mit Büchern, Karten und Fotos von Christiania gefüllt. Ole Lykke blickt pessimistisch in die Zukunft:

    "Noch bis vor wenigen Jahren lag Christiania zwar in einem zentralen, aber dennoch weniger attraktiven Teil Kopenhagens. Jetzt aber hat man die alte Flottenbasis in unserer direkten Nachbarschaft verkauft und überhaupt wird das ganze Gebiet um uns herum nun städtebaulich entwickelt. Das ist ein bisschen wie mit Kreuzberg in Berlin – so lange die Mauer stand, wollte niemand mit diesem Ort etwas zu tun haben, und jetzt kann das alles gar nicht schnell genug gehen."

    Aber es geht nicht nur um Städtebau und die Erschließung neuer Wohn- und Industriegebiete, meint Lykke – er spricht von einem weltanschaulichen Gegenwind:

    "Meines Erachtens geht es vor allem um Ideologie. Die Regierung kann es einfach nicht ertragen, dass es mitten in Kopenhagen einen Ort gibt, an dem die kapitalistische Logik nicht gilt, der nach eigenen Regeln funktioniert und der noch dazu von Hippies und Linken gegründet wurde, die die da oben einfach nicht ab können."

    Dass Christiania erhalten bleibt, daran arbeitet Knud Foldschack intensiv. Der Rechtsanwalt ist von der Vollversammlung Christianias beauftragt, mit den Behörden über die Zukunft des Freistaates zu verhandeln. Foldschack hat ein Stiftungsmodell entwickelt, dass es den Christianitern erlauben würde, das Gelände zu übernehmen und nach eigenen Vorstellungen zu verwalten – natürlich innerhalb der geltenden dänischen Gesetze.

    "Wenn die Regierung nicht den Fehler macht zu glauben, dass man Christiania mit Bulldozern einfach platt machen kann, wenn man auf die Christianiter eingeht und ihre vernünftigen Forderungen akzeptiert, dann denke ich, wird Christiania auch in zehn Jahren noch bestehen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass man ein so spannendes Experiment, einen so spannenden Ort, wie er Christiania nun einmal ist, einfach zerstören will."