Bai Ye Fu braucht Stille. Deshalb lebt er am äußersten Rand des Künstlerdorfs Songzhuang. In einem kleinen, einfachen Wohnhof. Das Wohnzimmer ist gleichzeitig Atelier, auf einem massiven Tisch liegt eine großformatige Tuschzeichnung. Im unteren Bereich ist sie düster, mit länglich-runden, schwarzen Formen auf dunklem Grund. Oben wird es heller, man meint Engel zu erkennen. Alles ist abstrakt gemalt.
"Das ist ein Bild aus der Serie: ‚Die geretteten Seelen‘. Ich habe dabei chinesische Tinte, chinesische Pinsel und chinesisches Xuan Papier benutzt, aber das, was ich gemalt habe, ist nichts klassisch Chinesisches, es ist ein Thema von heute. Es geht um Menschen von heute, ihr Leben, ihre Seelen, die der Erlösung entgegen gehen."
Künstlerisch inspiriert durch die Bibel
Ein religiöses Thema - aus der Bibel, in der Bai Ye Fu jeden Tag liest. Auf dem Tisch, an dem er malt, liegt sie. Ein abgegriffenes Exemplar mit dünnem Papier voller chinesischer Zeichen. Viele Seiten sind mit Textmarker durchgearbeitet, mit Anmerkungen versehen.
"Wie malt man etwas, was man nicht sehen kann - zum Beispiel eine Seele? Es gibt keinen, der mir das beibringen könnte. Das habe ich nur durch Beten und Bibellesen erreicht. Gott inspiriert mich. Ich lese die Bibel, denke darüber nach und dann male ich. Die Bibel ist so unerschöpflich wie Wasser in einem Brunnen. An einem Tag lese ich und denke: ja, so muss es sein! Am nächsten erfahre ich wieder anderes. Ich entdecke immer wieder etwas Neues in der Bibel. Und so entsteht auch Neues auf meinem Bild."
Bai Ye Fu hat Tee gemacht. Über ihm an der Wand hängt ein kleines schlichtes Holzkreuz. In den 1980er Jahren studierte er Tuschmalerei an der Zentralen Hochschule der Künste in Peking. In den 90er Jahren wurde er Buddhist.
"Ich habe nach der großen Antwort gesucht. Was ist das Ziel? Was ist der Sinn des Lebens? Woher komme ich? Wohin gehe ich? Auf diese Fragen bekam ich keine Antworten im Buddhismus. Da hat mir meine Frau, die Christin geworden war, geraten, zu beten."
Vom Würfelspiel zum Priester
Seine erste Begegnung mit Gott will Bai Ye Fu beim Würfelspiel gehabt haben: weil er keinen Schnaps mit Bekannten trinken wollte, sagten die: ‚Wenn Du die Eins würfelst, dann trinken wir für Dich‘. Da sandte Bai Ye Fu sein erstes Gebet zum Himmel. Und warf die "1" gleich sechsmal hintereinander.
Nach diesem Zeichen Gottes, wie er es nennt, kaufte er sich Bücher über das Christentum, über Jesus, studierte mit einem Untergrundpfarrer drei Jahre lang die Bibel. Jetzt ist er selbst Prediger in einer protestantischen Hauskirche.
"Bei Ausstellungen fragen mich die Besucher, warum ich meine Bilder so male und nicht anders? Dann antworte ich: Weil es um uns als Menschen geht: Wie können wir uns selbst, der Zukunft, dem Allmächtigen und seinem Urteil gegenübertreten? Bescheiden und glücklich. Das gibt Hoffnung. Ich nutze meine Bilder, um anderen die Bibel zu erklären. Sie im Glauben zu unterrichten. Da geht vielen ein Licht auf."
Der Künstler als Christ oder der Christ als Künstler, eine besondere Mischung, gerade in China, wo Religionen streng kontrolliert werden. Für Bai Ye Fu ist es die einzig richtige.