"Ich weiß, dass ohne mich Gott nicht einen Augenblick kann leben: Werd ich zunicht, er muss von Not den Geist aufgeben. Dass Gott so selig ist und lebet ohn Verlangen, hat er sowohl von mir, als ich von ihm empfangen. Gott ist das, was er ist, ich bin das, was ich bin. Doch kennst du einen wohl, so kennst du mich und ihn."
Wer diese Zeilen aus dem "Cherubinischen Wandersmann" des Angelus Silesius hört, mag erschrecken oder fasziniert sein. Kalt lassen werden diese provokanten Zeilen des streitbaren Mystikers nur wenige. Der Theologe Karl Barth nannte die paradoxen Bilder des Angelus Silesius "fromme Unverschämtheiten." Jenseits aller Kontroversen gelten sie bis zur Gegenwart als Höhepunkte der Barocklyrik.
"Halt an, wo läufst du hin - der Himmel ist in dir! Suchst du Gott anderswo. Du fehlts ihn für und für. Wird Christus tausendmal zu Bethlehem geboren und nicht in dir, du bleibst noch ewiglich verloren."
Angelus Silesius, der schlesische Engel, wie er sich später nach seiner Konversion zum Katholizismus nennt, wird im Dezember 1624 als Johann Scheffler in Breslau geboren. Mitten in den Wirren des 30-jährigen Krieges. Sein Vater, ein vermögender polnischer Landedelmann, legt Wert auf eine strenge lutherische Erziehung. Katholiken und Protestanten stehen sich nach der Reformation feindlich gegenüber.
Als der Junge 13 Jahre alt ist, stirbt der Vater. Wenig später verlieren er und seine beiden Geschwister auch die Mutter. Ein Vormund schickt den Jungen auf das Breslauer Elisabeth-Gymnasium, wo den Lehrern seine dichterische Begabung auffällt. Mit 18 Jahren geht der junge Mann nach Straßburg, um dort - wie schon Vater und Großvater - Medizin zu studieren. Ein Jahr später setzt er sein Studium im holländischen Leiden fort, wo der Student religiöse Zirkel kennenlernt, die mystisches Gedankengut sammeln und verbreiten. Unter anderem die noch ungedruckten Kopien des Görlitzer Schusters Jakob Böhme, der nur wenige Tage vor Schefflers Geburt gestorben ist. Der Student sieht in Böhme eine Art Geistesverwandten.
"Dass ich aber etliche Schriften von Jakob Böhme gelesen, weil einem in Holland allerhand unter die Hände kommt, ist wahr und ich danke Gott. Denn sie sind große Ursache gewesen, dass ich zur Erkenntnis der Wahrheit gekommen."
Der Student schließt seine Studien in Padua ab, wo er 1648 den Doktortitel der Medizin und Philosophie erhält. Geprägt durch die Erfahrung des italienischen Katholizismus und die Mystik des Jakob Böhme kehrt Scheffler nach Schlesien zurück. Und wird mit noch nicht einmal 25 Jahren zum fürstlichen Leib- und Hofmedicus ernannt. Sein Dienstherr ist der in Oels bei Breslau residierende Herzog Sylvius Nimrod von Württemberg, ein strenger Lutheraner. Der Hofprediger des Herzog, Christoph Freitag, wacht rigide über die Einhaltung der kirchlichen Lehre und wird schon bald zum erbitterten Widersacher Johann Schefflers werden.
Kurz nach seiner Rückkehr aus Padua macht Scheffler eine folgenreiche Bekanntschaft. Er freundet sich mit dem Humanisten, Mystiker und Böhme-Schüler Abraham von Franckenberg an. Dieser wird zu seinem Förderer und führt ihn tiefer in das Denken Böhmes und anderer Mystiker ein. In einem poetischen "Ehrengedächtnis" würdigt Johann Scheffler seinen Lehrer und gebraucht schon darin jene kühnen poetischen Bilder, die mit Absicht bis an die Grenze des Begreiflichen gehen
"Du edler Franckenberg, so bist du nun versunken. Und in der Ewigkeit ganz seliglich ertrunken, wie du dir oft gewünscht! Du lebst nunmehr von Zeit,
von Vor, von Nach, von Ort, von Leid und Streit befreit.
Wer Zeit nimmt ohne Zeit und Sorgen ohne Sorgen, wem gestern war wie heut, und heute gilt wie morgen, wer alles Gleiche schätzt, der tritt schon in der Zeit in den gewünschten Stand der lieben Ewigkeit."
Mystische Spiritualität, wie sie durch diese Zeilen klingt, galt der lutherischen Kirchenlehre hundert Jahre nach der Reformation als verdächtige Schwärmerei. Man meinte, die reine Lehre durch die Zensur sichern zu können. Johann Scheffler sollte sie schon bald zu spüren bekommen.
Nach dem Tod Abraham von Frankenbergs schafft Johann Scheffler als Summe seiner spirituellen Erfahrungen die "geistreichen Sinn- und Schlussreime", wie er sie zuerst nennt und die heute als "Cherubinischer Wandermann" zur Weltliteratur zählen. Ähnlich, wie Jakob Böhme das Entstehen seiner Werke beschrieben hat, erlebt auch Scheffler die schöpferische Arbeit als plötzlichen Zustrom poetischer Inspiration.
"Die Verse sind mir meistenteils ohne Vorbedacht und mühsames Nachsinnen in kurzer Zeit von dem Ursprung alles Guten eingegeben worden."
Im Strom göttlicher Eingebung löst sich seine Alltagsidentität vorübergehend auf.
"Ich weiß nicht, wer ich bin; ich bin nicht, was ich weiß; ein Ding und nicht ein Ding, ein Stüpfchen und ein Kreis."
In nur vier Tagen bringt Johann Scheffler das erste Buch des "Cherubinischen Wandersmann" zu Papier. Fünf weitere sollten folgen. Was kirchenfrommen Lutheranern als ketzerische Blasphemie erscheint, erleben andere Menschen als visionäre Durchdringung der kosmischen Verbindung von Gott, Mensch und Welt. Scheffler nennt als Vorbilder neben Jakob Böhme unter anderem Meister Eckhart, Mechthild von Magdeburg und Johannes vom Kreuz. Ein thematischer Schwerpunkt der Zwei- und Vierzeiler ist sein paradoxes Gottesbild.
"Gott ist so über Alls, dass man nichts sprechen kann.
Drum betest du ihn auch mit Schweigen besser an.
Gott ist ein Geist, ein Feu'r, ein Wesen und ein Licht,
und ist doch wiederum auch dieses alles nicht.
Gott ist ja lauter Nichts, ihn rührt kein Nun und hier:
Je mehr du nach ihm greifst, je mehr entwird er dir.
Weg, Weg, ihr Seraphin, ihr könnt mich nicht erquicken,
weg, weg, ihr Heiligen und was an euch tut blicken.
Ich will nun euer nicht, ich werfe mich allein
ins ungeschaffne Meer der bloßen Gottheit ein.
Herr, es genügt nicht, wenn ich dir nach Art der Engel diene
und in Vollkommenheit der Götter vor dir grüne.
Es ist mir viel zu schlecht und meinen Geist zu klein:
Wer dir recht dienen will, muss mehr als göttlich sein.
Soll ich mein End und meinen ersten Anfang finden,
so muss ich mich in Gott und Gott in mir ergründen.
Und werden das, was er: Ich muss ein Schein im Schein,
ich muss ein Wort im Wort, ein Gott in Gotte sein.
Wo ist mein Aufenthalt? Wo ich und du nicht stehen?
Wo ist mein letztes End, in welches ich soll gehen?
Da, wo man keines findt. Wo soll ich denn nun hin?
Ich muss noch über Gott in eine Wüste ziehen.
Ich weiß, dass ohne mich Gott nicht einen Augenblick kann leben:
werd ich zunicht, er muss von Not den Geist aufgeben.
Dass Gott so selig ist und lebet ohn Verlangen,
Hat er sowohl von mir als ich von ihm empfangen.
Ich bin so groß wie Gott, er ist als ich so klein,
er kann nicht über mir, ich unter ihm nicht sein.
Gott ist in mir das Feuer und ich im ihm der Schein;
sind wir einander nicht ganz inniglich gemeint?"
Drum betest du ihn auch mit Schweigen besser an.
Gott ist ein Geist, ein Feu'r, ein Wesen und ein Licht,
und ist doch wiederum auch dieses alles nicht.
Gott ist ja lauter Nichts, ihn rührt kein Nun und hier:
Je mehr du nach ihm greifst, je mehr entwird er dir.
Weg, Weg, ihr Seraphin, ihr könnt mich nicht erquicken,
weg, weg, ihr Heiligen und was an euch tut blicken.
Ich will nun euer nicht, ich werfe mich allein
ins ungeschaffne Meer der bloßen Gottheit ein.
Herr, es genügt nicht, wenn ich dir nach Art der Engel diene
und in Vollkommenheit der Götter vor dir grüne.
Es ist mir viel zu schlecht und meinen Geist zu klein:
Wer dir recht dienen will, muss mehr als göttlich sein.
Soll ich mein End und meinen ersten Anfang finden,
so muss ich mich in Gott und Gott in mir ergründen.
Und werden das, was er: Ich muss ein Schein im Schein,
ich muss ein Wort im Wort, ein Gott in Gotte sein.
Wo ist mein Aufenthalt? Wo ich und du nicht stehen?
Wo ist mein letztes End, in welches ich soll gehen?
Da, wo man keines findt. Wo soll ich denn nun hin?
Ich muss noch über Gott in eine Wüste ziehen.
Ich weiß, dass ohne mich Gott nicht einen Augenblick kann leben:
werd ich zunicht, er muss von Not den Geist aufgeben.
Dass Gott so selig ist und lebet ohn Verlangen,
Hat er sowohl von mir als ich von ihm empfangen.
Ich bin so groß wie Gott, er ist als ich so klein,
er kann nicht über mir, ich unter ihm nicht sein.
Gott ist in mir das Feuer und ich im ihm der Schein;
sind wir einander nicht ganz inniglich gemeint?"
Johann Scheffler - oder Angelus Silesius, wie er sich später nennen wird, schien geahnt zu haben, dass sein provokantes Werk zu Missverständnissen führen würde. Das Anliegen der Mystiker, durch Paradoxien und zugespitzte Bilder, das Unsagbare sagbar zu machen, ist sicher nicht jedermanns Sache. Weshalb dem cherubinischen Wandersmann eine erläuternde Vorrede vorangestellt ist. Daran weist der Dichter den Vorwurf zurück, er wolle blasphemisch den Menschen "vergotten".
"Wegen der kurzen Verfassung könnte man den Versen leicht einen verdammlichen Sinn oder böse Meinung geben, nachdem folgende Reimen viel seltsame Paradoxa oder widersinnige Reden wie auch sehr hohe und nicht jedermann bekannte Schlüsse enthalten. Und ist hiermit einmal für allemal zu wissen, dass des Urhebers Meinung nirgends sei, dass die menschliche Seele ihre Geschaffenheit könne verlieren und durch die Vergottung in Gott oder sein ungeschaffenes Wesen verwandelt werden, welches in alle Ewigkeit nicht sein kann."
Die Mystik begeht einen anderen Erkenntnispfad als die scholastische Philosophie. Sie geht davon aus, dass der menschliche Geist die Fähigkeit hat, unmittelbar, ohne lange Schlussketten und Untersuchungen die Wirklichkeit Gottes zu erkennen. Diese Wirklichkeit lässt sich für den Mystiker am besten in der Sprache der Poesie und verstörender Paradoxien ausdrücken. Eine solche Sprache öffnet den Geist und hebelt die Entweder- oder Logik des westlichen Kulturkreises aus.
Neben dem Verhältnis von Gott und Mensch bildet das Nachsinnen über Zeit und Ewigkeit einen weiteren Schwerpunkt des "Cherubinischen Wandersmann".
"Mensch, wo du deinen Geist schwingst über Ort und Zeit,
so kannst du jeden Blick sein in der Ewigkeit.
Wer Zeit nimmt ohne Zeit und Sorgen ohne Sorgen,
wem gestern war wie heut, und heute gilt wie morgen,
wer alles Gleiche schätzt, der tritt schon in der Zeit
in den gewünschten Stand der lieben Ewigkeit.
Ich selbst bin Ewigkeit, wenn ich die Zeit verlasse
und mich in Gott und Gott in mich zusammenfasse.
Da Gott die Welt erschuf, was schrieb man für ein Jahr?
Kein andres nicht, als das seins Urstands erstes war.
Weil Gott, der Ewige, die Welt schuf außer Zeit,
so ist's ja sonnenklar, dass sie von Ewigkeit.
Die Rose, welche hier dein äußres Auge sieht,
sie hat von Ewigkeit in Gott also geblüht.
Eh ich noch etwas war, da war ich Gottes Leben.
Drum hat er auch für mich sich ganz und gar ergeben.
Die Ewigkeit weiß nichts von Jahren, Tagen, Stunden.
Ach, dass ich doch noch nicht den Mittelpunkt gefunden!
Vor Gott sind tausend Jahr wie ein vergangner Tag.
Darum ist gar kein Jahr bei ihm, wer's fassen mag.
Du selber machst die Zeit. Das Uhrwerk sind die Sinnen.
Hemmst du die Unruh nur, so ist die Zeit von hinnen.
Dort in der Ewigkeit geschiehet alls zugleich,
Es ist kein Vor und Nach wie hier im Zeitenreich.
Man sagt, die Zeit ist schnell. Wer hat sie sehen fliegen?
Sie bleibt ja unverrückt im Weltbegriffe liegen.
Es ist kein Vor und Nach. Was morgen soll geschehn,
Hat Gott von Ewigkeit schon gesehn
Ich trage Gottes Bild. Wenn er sich will besehn,
So kann es nur in mir und wer mir gleicht, geschehn.
Was Gott in Ewigkeit begehrn und wünschen kann,
Das schauet er in mir als seinem Gleichnis an.
Gott ist von Anbeginn der Bildner aller Dinge
Und auch ihr Muster selbst. Drum ist ja keins geringe."
so kannst du jeden Blick sein in der Ewigkeit.
Wer Zeit nimmt ohne Zeit und Sorgen ohne Sorgen,
wem gestern war wie heut, und heute gilt wie morgen,
wer alles Gleiche schätzt, der tritt schon in der Zeit
in den gewünschten Stand der lieben Ewigkeit.
Ich selbst bin Ewigkeit, wenn ich die Zeit verlasse
und mich in Gott und Gott in mich zusammenfasse.
Da Gott die Welt erschuf, was schrieb man für ein Jahr?
Kein andres nicht, als das seins Urstands erstes war.
Weil Gott, der Ewige, die Welt schuf außer Zeit,
so ist's ja sonnenklar, dass sie von Ewigkeit.
Die Rose, welche hier dein äußres Auge sieht,
sie hat von Ewigkeit in Gott also geblüht.
Eh ich noch etwas war, da war ich Gottes Leben.
Drum hat er auch für mich sich ganz und gar ergeben.
Die Ewigkeit weiß nichts von Jahren, Tagen, Stunden.
Ach, dass ich doch noch nicht den Mittelpunkt gefunden!
Vor Gott sind tausend Jahr wie ein vergangner Tag.
Darum ist gar kein Jahr bei ihm, wer's fassen mag.
Du selber machst die Zeit. Das Uhrwerk sind die Sinnen.
Hemmst du die Unruh nur, so ist die Zeit von hinnen.
Dort in der Ewigkeit geschiehet alls zugleich,
Es ist kein Vor und Nach wie hier im Zeitenreich.
Man sagt, die Zeit ist schnell. Wer hat sie sehen fliegen?
Sie bleibt ja unverrückt im Weltbegriffe liegen.
Es ist kein Vor und Nach. Was morgen soll geschehn,
Hat Gott von Ewigkeit schon gesehn
Ich trage Gottes Bild. Wenn er sich will besehn,
So kann es nur in mir und wer mir gleicht, geschehn.
Was Gott in Ewigkeit begehrn und wünschen kann,
Das schauet er in mir als seinem Gleichnis an.
Gott ist von Anbeginn der Bildner aller Dinge
Und auch ihr Muster selbst. Drum ist ja keins geringe."
Wenn Angelus Silesius in den folgenden Versen des Cherubinischen Wandersmann den Tod preist, geht es ihm nicht darum, die Endlichkeit des Lebens zu verharmlosen. Die Menschen wussten in Zeiten von Pest und 30-jährigem Krieg um den Schrecken des Todes. Der Dichter spricht hier vom mystischen Tod, von der Verwandlung der menschlichen Persönlichkeit in eine neue Seinsweise. "Mensch, werde wesentlich", schreibt Angelus Silesius. Jahrhunderte später wird Rainer Maria Rilke schreiben: "Wolle die Wandlung!"
Eh Ich noch Ich nicht war, so war ich Gott in Gott;
drum kann ich's wieder sein, wenn ich nur mir bin tot.
Tod ist ein selig Ding; je kräftiger er ist,
je herrlicher das Leben wird erkiest.
Der Tod, aus welchem nicht ein neues Leben blühet,
der ist's den meine Seele aus allen Toden fliehet.
Ich glaube keinen Tod, sterb ich gleich alle Stunden,
so hab ich jedes Mal ein besser Leben funden.
Indem der weise Mann zu tausendmalen stirbet,
Er durch die Wahrheit selbst um tausend Leben wirbet.
Ich sterb und leb in Gott: Will ich ewig in ihm leben,
so muss ich ewig auch für ihn den Geist aufgeben.
Ich sag, es stirbet nichts; nur dass ein ander Leben,
auch selbst das schmerzliche, wird durch den Tod gegeben.
Ich sag, weil allein der Tod mich machet frei,
dass er das beste Ding von allen Dingen so.
Nichts ist, das dich bewegt, du selber bist das Rad,
Dass aus sich selber läuft und keine Ruhe hat."
drum kann ich's wieder sein, wenn ich nur mir bin tot.
Tod ist ein selig Ding; je kräftiger er ist,
je herrlicher das Leben wird erkiest.
Der Tod, aus welchem nicht ein neues Leben blühet,
der ist's den meine Seele aus allen Toden fliehet.
Ich glaube keinen Tod, sterb ich gleich alle Stunden,
so hab ich jedes Mal ein besser Leben funden.
Indem der weise Mann zu tausendmalen stirbet,
Er durch die Wahrheit selbst um tausend Leben wirbet.
Ich sterb und leb in Gott: Will ich ewig in ihm leben,
so muss ich ewig auch für ihn den Geist aufgeben.
Ich sag, es stirbet nichts; nur dass ein ander Leben,
auch selbst das schmerzliche, wird durch den Tod gegeben.
Ich sag, weil allein der Tod mich machet frei,
dass er das beste Ding von allen Dingen so.
Nichts ist, das dich bewegt, du selber bist das Rad,
Dass aus sich selber läuft und keine Ruhe hat."
Angeregt durch die Niederschrift des "Cherubinischen Wandersmann" stellt Johann Scheffler eine Auswahl mystischer Texte und "hochbrünstiger, das Gemüt zu Gott erhebender Gedichte" zur Veröffentlichung zusammen, was der Hofprediger Christoph Freitag als Hüter der lutherischen Rechtgläubigkeit zum Anlass nimmt, die Auswahl zu zensieren. Erst sollen einzelne Passagen gestrichen werden, dann wird der Druck insgesamt verboten. So erlebt Johann Scheffler das, was eine Generation vor ihm Jakob Böhme seitens des Görlitzer Oberpfarrers widerfahren ist.
Der Dichter ist außer sich vor Empörung. Er überträgt seinen Ärger auf die protestantische Konfession als Ganzes und konvertiert zum Katholizismus, in den er seine Sehnsucht nach mystischer Innigkeit projiziert. Um die innere Wandlung äußerlich sichtbar zu machen, nennt er sich fortan Angelus Silesius, der schlesische Engel oder vielleicht noch treffender übersetzt: Bote aus Schlesien. Er studiert katholische Theologie und wird 1661 als 36-Jähriger zum Priester geweiht.
Noch im Jahr seiner Konversion beginnt Angelus Silesius eine Reihe von theologischen Streitschriften zu veröffentlichen, in denen er seinen Schritt begründet und das Luthertum aufs Heftigste kritisiert. Darin nennt er als ein Motiv seines Übertritts die "freventliche Verwerfung der Mystik", "Theologiae mysticae", die für ihn die "höchste Weisheit der Christenheit" darstellt. Der dogmatische Protestantismus sei die "Abgötterei der Vernunft", die katholische Kirche der "Leib des Heiligen Geistes".
Fast alle Kommentatoren sind sich einig, dass diese Pamphlete dem Verfasser nicht zur Ehre gereichen. Seine eigentlichen zeitlosen Werke bleiben der "Cherubinische Wandermann" und das ebenfalls im Jahr 1657 in Wien veröffentlichte "Heilige Seelenlust" - oder geistige Hirten-Lieder: "Allen liebhabenden Seelen zur Ergötzlichkeit und Vermehrung ihrer heiligen Liebe, zu Lob und Ehren Gottes an den Tag gegeben." In der Vorrede der "Heiligen Seelenlust" heißt es:
"Ich gebe dir hier die geistlichen Hirtenlieder und liebreiche Begierden der Braut Christi zu ihrem Bräutigam, mit welchem du dich nach deinem Gefallen erlustigen und in den Wüsten dieser Welt als ein keusches Turteltäublein nach Jesu, deinem Geliebten, inniglich und lieblich seufzen kannst. Es wäre uns ein Spott, wenn uns die Weltverliebten, welche von ihrer schnöden und blinden Liebe so viel singen, wollten lassen zuvortun, und wir nicht auch etwas von der Liebe unseres süßen Gottes singen."
Der Dichter knüpft in der "Heiligen Seelenlust" an das "Hohelied" des alten Testaments an, in dem die Liebe zwischen der Seele - der Braut - und Christus - dem Bräutigam - bildhaft bis hin zur mystischen Vereinigung beschrieben wird.
"Ach, dass ich dich so spät erkennet,
Du hochgelobte Schönheit, du.
Und dich nicht eher mein genennet,
Du höchstes Gut und wahre Ruh.
Es tut mir leid und bin betrübt,
dass ich so spät geliebt.
Ich will dich lieben, meine Stärke,
Ich will dich lieben, meine Zier,
Ich will dich lieben mit dem Werke
und immerwährender Begier:
Ich will dich lieben, schönstes Licht,
Bis mir das Herze bricht."
Du hochgelobte Schönheit, du.
Und dich nicht eher mein genennet,
Du höchstes Gut und wahre Ruh.
Es tut mir leid und bin betrübt,
dass ich so spät geliebt.
Ich will dich lieben, meine Stärke,
Ich will dich lieben, meine Zier,
Ich will dich lieben mit dem Werke
und immerwährender Begier:
Ich will dich lieben, schönstes Licht,
Bis mir das Herze bricht."
Eines der bekanntesten Lieder des Zyklus: "Ich will dich lieben, meine Stärke." Nicht wenige der Lieder sind in fast alle katholischen, ja sogar in protestantische Gebet- und Gesangsbücher eingegangen. Die musikalische Fassung der Liedtexte schrieb der Breslauer fürstbischöfliche Musiker Georg Josephi.
"Morgenstern der finstern Nacht,
Der die Welt voll Freuden macht,
Jesulein, komm herein,
leucht in meines Herzens Schrein!
Nun ist dem Feind zerstöret seine Macht,
der Tod ist tot,
und uns hat das Leben wiederbracht.
Ach, sagt mir nicht von Gold und Schätzen,
Von Pracht und Schönheit dieser Welt,
Es kann mich ja kein Ding ersetzen,
was mir die Welt vor Augen stellt:
Ein jeder liebe, was er will,
ich liebe Jesum, der mein Ziel."
Der die Welt voll Freuden macht,
Jesulein, komm herein,
leucht in meines Herzens Schrein!
Nun ist dem Feind zerstöret seine Macht,
der Tod ist tot,
und uns hat das Leben wiederbracht.
Ach, sagt mir nicht von Gold und Schätzen,
Von Pracht und Schönheit dieser Welt,
Es kann mich ja kein Ding ersetzen,
was mir die Welt vor Augen stellt:
Ein jeder liebe, was er will,
ich liebe Jesum, der mein Ziel."
Mit 47 Jahren zieht sich Angelus Silesius aus dem öffentlichen Leben zurück. Sein ererbtes Vermögen verschenkt er an Bedürftige. 1677 quält ihn eine schwere Krankheit. Zeitzeugen berichten, dass er sich in den letzten Lebenswochen betend und meditierend auf den Übergang vorbereitet hat. Am 9. Juli 1677 stirbt Angelus Silesius, kaum 53 Jahre alt, im Kreuzherrenstift St. Martin. In der Breslauer Stiftskirche erinnert eine Inschrift an den Mystiker und Lyriker:
"Deutschlands großer christlicher Dichter, Mahner zu gottinniger Frömmigkeit."
"Wer nichts begehrt, nichts hat, nichts weiß, nichts liebt, nicht will,
der hat, der weiß, begehrt und liebt noch immer viel.
Freund, es ist auch genug. Im Fall, du mehr willst lesen,
so geh und werde selbst die Schrift und selbst das Wesen."
der hat, der weiß, begehrt und liebt noch immer viel.
Freund, es ist auch genug. Im Fall, du mehr willst lesen,
so geh und werde selbst die Schrift und selbst das Wesen."