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Christliches Engagement in schwierigen Zeiten
"Christlich zu sein, heißt politisch zu sein"

Die Kirchen sollten sich aus der Politik heraushalten - diese Forderung ist immer wieder zu hören. Burkhard Hose, Hochschulpfarrer in Würzburg und Buchautor, widerspricht. Ihm sind die Kirchen noch zu still:"Was ich im Augenblick gar nicht höre: eine Diskussion über den Reichtum", kritisierte er im Dlf.

Burkhard Hose im Gespräch mit Christiane Florin | 10.08.2018
    Der Pfarrer und Autor Burkhard Hose
    Der Pfarrer und Autor Burkhard Hose wünscht sich von Christen mehr politisches Engagement (Stefan Weigand)
    Christiane Florin: In Würzburg im Studio begrüße ich nun Burkhard Hose. Er ist Pfarrer der dortigen katholischen Hochschulgemeinde. Er engagiert sich seit vielen Jahren in der Flüchtlingshilfe – und er hat ein neues Buch geschrieben mit dem Titel: "Seid laut!". Darin plädiert er für ein politisches Christentum. Guten Morgen, Herr Hose.
    Burkhard Hose: Guten Morgen aus Würzburg.
    Florin: Herr Hose, wie oft kommt es vor, dass Sie als Moralapostel bezeichnet werden?
    Hose: Ach, das kommt immer wieder vor. Zuletzt ist es mir so ergangen, als ich Kritik geübt habe am Kreuzerlass des bayerischen Ministerpräsidenten. Da wurde mir Überheblichkeit und tatsächlich auch Moralisieren vorgeworfen, weil ich dafür plädiert habe, dass man christliche Politik tatsächlich an christlichen Inhalten erkennen sollte – und nicht nur an Symbolen.
    Keine Gewissheit, aber gute Argumente
    Florin: Gibt Ihnen diese Kritik zu denken?
    Hose: Die Kritik gibt mir schon zu denken. Ich erinnere mich an ein Gespräch zum Beispiel, das ich auch mit CSU-Abgeordneten schon vor drei Jahren hatte, wo ich auch so ein gewisses Leiden festgestellt habe bei meinen Gesprächspartnern. Und auch so den Vorwurf, reden Sie nicht eigentlich auf einer schöngeistigen, rein intellektuellen Ebene hier über Moral und Humanität? Und da muss ich mich natürlich auch immer wieder hinterfragen lassen.
    Florin: Bayerische Staatsregierung, CSU, das ist schon ein gutes Stichwort: der frühere CSU-Vorsitzende Erwin Huber hat in der Deutschlandfunk-Sendung Kontrovers, da ging es um das Kreuz in bayerischen Behörden, folgendes gesagt:
    "Dass wir in der Tat nicht zuerst einen Studentenpfarrer aus Würzburg gefragt haben, das stimmt. Aber eines, es geht darum, ein klares Zeichen in einer Zeit wirklich weltanschaulicher Irritationen zu geben, wozu sich der Freistaat Bayern bekennt."
    Florin: Die Staatsregierung muss nicht zuerst einen "Studentenpfarrer aus Würzburg" fragen – damit waren Sie gemeint, Sie waren ja auch Gast in dieser Sendung. Sie muss nicht erst fragen, bevor sie Kreuze in Behördeneingängen aufhängt. Woher nehmen Sie die Gewissheit, dass Sie wissen, wofür das Kreuz steht und dass die CSU es nicht so gut weiß?
    Hose: Ja, die Gewissheit, die habe ich natürlich nicht. Aber ich habe natürlich ganz gute Argumente. Und die kommen letztlich aus der christlichen Tradition – und da steht das Kreuz nun mal nicht als Instrument und als Symbol für die Macht, sondern gerade als Symbol für diejenigen, die Ohnmachtserfahrungen machen, für die Schwächeren in der Gesellschaft. Und es ist ein Symbol der Solidarität mit denen. Und es lässt sich einfach nicht verzwecken und instrumentalisieren aus der Position der Macht heraus – und das ist ja geschehen. Der Ministerpräsident Söder hat ja nicht als Privatperson ein Kreuz aufgehängt, sondern als Ministerpräsident, und hat es erklärt zum Identitätsmerkmal Bayerns. Das ist es nicht.
    "Es gibt kein unpolitisches Verhalten"
    Florin: Sie werfen der bayerischen Regierung vor, das Kreuz zu instrumentalisieren. Aber Sie instrumentalisieren es doch auch, wenn Sie sagen, es verpflichtet dazu, Geflüchtete aufzunehmen, gegen Abschiebungen zu protestieren – oder, wie Sie es gestern getan haben, gegen Björn Höcke von der AfD zu demonstrieren?
    Hose: Ich versuche zumindest, mit meiner Argumentation anzuknüpfen an der biblischen Tradition. Und da gibt es nun mal einige Hinweise, dass mit dem Kreuz ja sich auch jemand verbindet, nämlich Jesus von Nazareth, der Gekreuzigte. Das ist ja nicht ein reines Symbol, sondern das ist nicht zu trennen vom Leben und von der Predigt Jesu. Und das ist eine Predigt und ein Leben, die immer den einzelnen Menschen mit seiner Würde in den Mittelpunkt rückt. Und nichts anderes tue ich, wenn ich das Kreuz auf seine Inhalte hin auch wieder zurückführe.
    Florin: Wo steht in der Bibel, dass sich Christen politisch engagieren müssen? Bei Ihnen ist es ja nicht nur ein "sollen", sondern ein "müssen".
    Hose: Ich glaube, dass christlich zu sein und christlich zu handeln per se, also von Natur aus politisch ist, und dass Jesus von Nazareth selber seine Botschaft ja auch schon von Anfang an politisch verstanden wusste – manchmal auch missverstanden, weil in ihm einige ja einen neuen König, einen Heilsbringer sahen, was er von sich aus eher abgelehnt hat. Aber er hat auch darauf hingewiesen, bei Euch soll es nicht so sein wie bei den Mächtigen, bei den Herrschenden, die ihre Macht ausnutzen und die Menschen unterdrücken. Er hat darauf hingewiesen: Für einen Reichen ist es schwerer ins Himmelreich zu kommen als für ein Kamel durch ein Nadelöhr. Das sind ja alles politische Aussagen, weil sie das Leben von Menschen in der konkreten Zeit betreffen. Ein Christentum, abgelöst von der konkreten Zeit, gibt es nicht.
    Die Deckenmalerei der Kirche in Blankenstein bei Meissen von 1738 zeigt, wie Jesus die Händler und Wucherer aus dem Tempel treibt
    Jesus treibt die Wucherer aus dem Tempel (imago stock&people)
    Florin: Und jemand, der sagt: "Für mich ist Christentum der Glaube an Jesus Christus, also der Glaube, dass Jesus der Sohn Gottes ist. Für mich ist Christentum das stille Gebet, der Gottesdienstbesuch", der sich also nicht politisch engagiert – ist der für Sie kein Christ? Oder ein defizitärer Christ?
    Hose: Nein, aber er verhält sich auch politisch, weil er sich raushält. Auch das Raushalten und das Schweigen unter Berufung auf das Evangelium oder auf den Glauben ist ein politisches Verhalten. Es gibt doch kein unpolitisches Verhalten, weder als gläubiger, noch als nichtglaubender Mensch.
    "Wir haben eine politische Verzweckung des Christlichen"
    Florin: Und womit erklären Sie sich, dass dieser Gedanke, das Christentum gehöre eigentlich in die Sakristei, das Kerngeschäft der Kirchen sei der Gottesdienst, sei die Seelsorge, aber ist nicht die politische Einmischung, dass dieser Gedanke Konjunktur hat?
    Hose: Der hat ja immer wieder dann Konjunktur, wenn das Christentum unbequem wird, wenn es dem eigenen politischen Anliegen dient, dann greift man ja auch ganz gern darauf zurück oder verbündet sich gar mit kirchlichen Hierarchen oder mit den Christen. Aber im Augenblick erleben wir ja, dass wir zwar eine starke Präsenz des Christlichen haben in der politischen Diskussion, aber irgendwie ohne die Kirchen. Und ohne die Christen, scheint es mir zunehmend zu sein. Das heißt, wir haben eine politische Verzweckung des Christlichen, gegen den Islam vor allem. An der Spitze durch Pegida-Bewegung, AfD, aber jetzt auch in der Folge leider auch durch Teile der CSU. Und da muss ich sagen, da müssen wir uns doch deutlich zu Wort melden und müssen von den Inhalten reden - wofür steht eigentlich das Christliche. Also noch einmal, es wird immer dann gesagt, "beschränken Sie sich doch, kümmern Sie sich lieber um das Seelenheil Ihrer Schäfchen", oder "der Glaube ist etwas Privates", wenn es unbequem wird. Aber das war auch schon immer so.
    Florin: Also die Kirchen sind Ihnen zu leise?
    Hose: Bisweilen ja. Wobei ich durchaus anerkennend wahrnehme, dass sich doch auch zahlreiche Bischöfe sehr deutlich geäußert haben zum Beispiel nach dem Kreuzerlass. Ich denke an die sehr scharfe Kritik von Kardinal Marx. Aber auch immer wieder in Fragen der Asylpolitik es auch sehr deutliche Worte seitens der Kirchen gibt. Aber was ich zum Beispiel im Augenblick gar nicht höre: eine Diskussion über den Reichtum. Ja, wir reden viel über Benachteiligung, über Armut, gerade im Kontext der Asylpolitik, es wird Sozialneid geschürt. Ich glaube, wo über Armut geredet wird, da muss auch mal kritisch über Reichtum gesprochen werden.
    "Bei Seenotrettung geht es schlicht um Mitmenschlichkeit"
    Florin: Sie schreiben: "Gott schenkt dem Niedrigsten die höchste Würde". Man kann Ihnen vorwerfen: Für Geflüchtete setzen Sie sich ein, aber was ist mit denen, die schon lange hier leben und die sich erniedrigt fühlen, die das Gefühl haben, überhört zu werden oder in diesem kapitalistischen Wettbewerb nicht mitzukommen? Sind Sie für die auch laut?
    Hose: Für die bin ich auch laut. Und dafür trete ich auch in dem Buch ein, weil das doch genau das Problem ist, das wir im Augenblick haben: dass hier ein Neid geschürt wird zwischen Menschen, die benachteiligt werden in unserer Gesellschaft – und das sind eben nicht nur Geflüchtete. Also, wenn ich abends spazieren gehe und in den letzten Jahren immer häufiger alten Menschen begegne, die Flaschen sammeln in der Dämmerung oder im Dunkeln, dann merke ich: hier tut sich was in der Gesellschaft, hier gibt es eine Kluft zwischen arm und reich die größer wird. Und das ist natürlich ein Thema, das mich genauso beschäftigt wie die Benachteiligung von Geflüchteten.
    Florin: Und wie wollen Sie verhindern, dass da eine Konkurrenz der Armen entsteht? Oder eine Konkurrenz um die Zustimmung der Armen?
    Hose: Indem ich konsequent auf dem Weg der Humanität bleibe. Ich meine, es geht ja nicht um irgendeine abstrakte Moral, sondern es geht um konkrete. Und ich komme von konkreten Geschichten her – ich mache aufmerksam auf die Menschen, die ich abends auf der Straße sehe beim Flaschensammeln, und ich mache aufmerksam auf Menschen, die zum Beispiel jetzt in der Seenotrettung unterwegs sind und von denen ich Geschichten höre, mit denen ich immer wieder Kontakt habe, dass sie Tote aus dem Mittelmeer ziehen. Und da geht es schlicht um Mitmenschlichkeit. Es geht um das, was dran ist. Und ich glaube gleichzeitig, und das ist das zweite, und ich glaube auch an eine gewisse prophetische Aufgabe der Kirchen, tatsächlich kritisch über die Ökonomisierung und über den Reichtum, über die ungleiche Verteilung der Güter in der Gesellschaft zu sprechen.
    "Wir müssen laut und deutlich werden"
    Florin: Ihr Buch ist auch eine Liebeserklärung an diese deutsche Demokratie, mit ihren Stärken, mit ihren Schwächen. Und Sie machen sich Sorgen um diese Demokratie, um dieses politische System. Die katholische Kirche, bei der Sie beschäftigt sind, Sie sind Priester, ist aber keine Demokratie. Wie halten Sie diese Spannung aus?
    Hose: Ich lebe tatsächlich mit dieser Spannung schon mein ganzes berufliches Leben, vielleicht auch schon länger, weil ich aus der kirchlichen Jugendarbeit komme. Und ich sage immer: Da habe ich im Grunde gelernt, wie Demokratie geht, in endlosen Satzungsdebatten, Geschäftsordnungsdebatten, in der kirchlichen Jugendarbeit. Und gleichzeitig lebe ich natürlich in einem hierarchisch organisierten System, in dem es auch Diskriminierung gibt, in einer Kirche, die selber auch diskriminiert. Wer nach außen hin Demokratie fordert, muss natürlich auch versuchen, im Inneren sich für Demokratie einzusetzen ….
    Florin: …Vor der eigenen Haustür kehren.
    Hose: Vor der eigenen Haustür kehren. Ich meine, ich habe den Vorteil: Ich arbeite in der katholischen Hochschulgemeinde und da wurde demokratische Mitbestimmung schon immer sehr großgeschrieben. Aber wir sind natürlich auch daher ein kritisches Potenzial innerhalb der Kirche, das ist ganz klar.
    Florin: Wenn Sie sagen, die Demokratie ist ein Geschenk, der Rechtsstaat ist ein Geschenk – damit verbindet sich auch die Aufforderung: "Seid dankbar". Also: "Seid nicht nur laut, sondern seid auch laut und dankbar dafür". Haben Sie eigentlich schon mal erlebt, dass diese Aufforderung "seid dankbar" irgendwen überzeugt hätte, von denen, die sagen, wie wir es im ersten Beitrag gehört haben, wir lebten in einer "Moraldiktatur"?
    Hose: Also, von denen weniger. Weil ich da doch immer wieder erlebe, dass sie das nicht mehr schätzen und auch nicht pflegen, was die Demokratie ausmacht. Ich glaube, sie ist ja nicht nur ein Geschenk, sondern sie ist auch eine zarte Pflanze. Das heißt, sie gilt es weiter zu pflegen.
    Florin: Also was nützt es dann, zu appellieren?
    Hose: Ich glaube, es nutzt vor allem – und da sehe ich mich jetzt vor allem auch tätig – es nützt vor allem in Richtung derer, die sich engagieren, die sich für mehr Empathie in der Gesellschaft, für mehr Humanität einsetzen. Weil die brauchen das. Die sind sehr leise geworden die letzten Jahre, während wir erleben, dass diejenigen, die da rechtspopulistisch daherkommen sehr laut tönen. Und ich plädiere dafür, dass wir uns zusammenschließen und es braucht da auch Bestärkung von Menschen, die verunsichert sind durch diese lauten Töne der letzten Jahre. Und dass wir uns zusammenschließen und selber laut und deutlich werden.
    Das Seenotrettungsschiff "Lifeline"
    Seenotrettung ist eine Frage der Mitmenschlichkeit, sagt Burkhard Hose (Deutschlandradio / Manfred Götzke)
    Florin: Die Demokratie bewahren, dankbar sein für das, was ist, was wir daran haben. Das klingt etwas konservativ. Haben Sie eine Vision? Haben Sie vielleicht auch einen Gegenentwurf zum Kapitalismus? Das ist jetzt sehr groß für die letzte Minute, aber ich versuche es mal.
    Hose: Ja, das ist sehr groß für die letzte Minute. Aber eine Politik, die sich von der Würde des einzelnen Menschen leiten lässt, das ist natürlich meine Vision – und die verbindet sich ja mit dem christlichen Glauben, der den Menschen als Ebenbild Gottes sieht. Das ist schon was, was ich erlebe. Und ich habe ja auch Hoffnung: Ich erlebe ja so viele junge Menschen, auch eine Zunahme an Einsatz und Engagement für eine humanitäre Politik, für mehr Empathie in der Politik. Ich erlebe Leute, die ihre Freizeit auf solchen Booten in der Seenotrettung verbringen, oder hier eben ganz vor Ort in der Flüchtlingshilfe. Also, meine Vision, die wird eigentlich schon an vielen Orten Wirklichkeit, und die wird hoffentlich stärker.
    Florin: Die Hoffnung ruht auf der Jugend. Das war Burkhard Hose, Studentenpfarrer aus Würzburg – vielen Dank für das Gespräch.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
    Burkhard Hose: "Seid laut! Für ein politisch engagiertes Christentum"
    Vier-Türme-Verlag 2018, 144 Seiten, 18 Euro