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Christoph Bertram: Baker-Bericht ist "eindrucksvolles Dokument"

Der Politologe Christoph Bertram rät der deutschen Regierung angesichts eines möglichen Wechsels in der amerikanischen Irak-Strategie zu diplomatischem Engagement im Nahen und Mittleren Osten. "Wir können nicht so tun, als sei dies nun alles deswegen nicht unsere Aufgabe, weil die Amerikaner uns da hineingeritten haben ", sagte Bertram, ehemaliger Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik.

Moderation: Klaus Remme |
    Klaus Remme: Seit gestern liegen die Vorschläge der so genannten Baker-Kommission auf dem Tisch. Es sind insgesamt 79 Empfehlungen. Regionalisierung ist ein wichtiges Stichwort. "Wir dürfen nicht nur mit unseren Freunden reden. Wir müssen auch mit unseren Feinden sprechen", sagte James Baker, der ehemalige Außenminister und Vorsitzende der Kommission. Eine Erkenntnis, die sich George Bush bisher nicht zu eigen gemacht hat. Er spricht heute mit einem Freund, mit einem besonders guten, mit dem britischen Premier Tony Blair. Weitere Reaktionen auf die Vorschläge kamen natürlich unter anderem aus dem Nahen Osten, aus Israel. Israel ist unmittelbar betroffen von einem amerikanischen Kurswechsel im Irak, egal wie dieser aussehen wird.

    Am Telefon mitgehört hat Christoph Bertram, der ehemalige Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik. Ich grüße Sie, Herr Bertram!

    Christoph Bertram: Guten Tag, Herr Remme!

    Remme: Herr Bertram die Vorschläge, die wir seit gestern nun offiziell kennen, ist das das lang erwartete Aufbruchsignal, oder ist die Arbeit dieser Kommission mit allzu hohen Erwartungen befrachtet worden?

    Bertram: Das ist ein ganz ungewöhnliches Dokument, ein eindrucksvolles Dokument, weil es über die ganze Bandbreite der Konflikte im Nahen Osten geht und insbesondere - Clemens Verenkotte hat das gerade deutlich gemacht - auch die Frage nach dem Stellenwert des israelisch-palästinensischen Konflikts für die ganze Region aufwirft. Das ist eine grundsätzliche Veränderung des Denkens, noch nicht der Politik, aber des Denkens.

    Remme: Und was sind für Sie die substanziell wertvollsten Vorschläge?

    Bertram: Ich finde der wichtigste Gedanke ist der der internationalen Unterstützungsgruppe, zu der alle Staaten der Region, aber auch alle, die ein besonderes Interesse an der Stabilität im Irak haben, aufgerufen werden. Das schließt in dem Bericht übrigens auch die Europäische Union und Deutschland mit ein. Ich finde schon, wir sollten darauf verhältnismäßig positiv reagieren, wenn dies - und das ist die große Frage bei all diesen Vorschlägen - tatsächlich zur Außenpolitik, zur Irak-Politik, zur Nahost-Politik Präsident George Bushs wird.

    Remme: Ich wollte gerade fragen. Diese Kommission ist zwar überparteilich. Das wurde immer wieder betont, war auch wichtig nach den Kongresswahlen vom November. Aber ist das eine Garantie dafür, dass George Bush sie sich zu eigen macht?

    Bertram: Nein, gar keine Garantie. Dieser Präsident ist ein eigensinniger Mann. Er glaubt, ein Mandat zu haben von seinen Wählern, und diese Kommission hat kein Mandat von den Wählern. Er ist weiterhin Herr der Außen- und Sicherheitspolitik. Er ist weiter der Oberkommandierende der amerikanischen Streitkräfte. Die entscheidende Frage wird daher sein, sieht er sich gezwungen, unter dem Eindruck der Entwicklungen im Irak, der Veränderung der Stimmung in den Vereinigten Staaten selbst, sieht er sich unter diesem Druck gezwungen, auch seine eigene Position zu verändern? Das ist immer noch ganz offen. Er wird jetzt wohl versuchen, eine eigene Untersuchung in seinem Nationalen Sicherheitsrat anzuregen, das Pentagon aufzufordern, eine eigene Untersuchung abzuschließen. Vielleicht wird das so etwas sein wie das Feigenblatt, das ihm erlaubt, sich den Bakerschen Vorstellungen so zu nähern, dass er behaupten kann, das seien auch seine eigenen.

    Remme: Herr Bertram, der Präsidentschaftswahlkampf in den Vereinigten Staaten ist bereits zu spüren, auch wenn er offiziell natürlich noch nicht in Gang gekommen ist. Wird dieser Wahlkampf eine Lösung im Irak eher befördern oder verhindern?

    Bertram: Es gibt ja keine richtige Lösung im Irak, Herr Remme. Das ist das Problem. Alle wissen - und das ist auch ein wichtiges Fazit dieser Kommission -, auf die Schnelle ist da überhaupt nichts zu machen. Der einzige Termin, der genannt wird - und das hat sich ja inzwischen herumgesprochen -, ist, dass möglicherweise ab 2008 ein Teil der amerikanischen Truppen, nämlich die Kampftruppen, aus dem Irak zurückgezogen werden könnten, während andere Truppen noch da bleiben müssten, um die irakische Armee auszubilden und zu unterstützen bei ihrem Kampf im Inneren des Landes.

    Allerdings enthält der Bericht auch eine klare Warnung: Wenn die Iraker selbst sich nicht bemühen, endlich Lösungen zu finden, insbesondere auch die irakische Regierung, dann dürfe Amerika sich davon nicht abhalten lassen, sich zurückzuziehen, wenn die Aussichten auf Erfolg so gering sind. Das bleibt ein Thema. Das wird ein Thema im Wahlkampf sein, und alle Kandidaten werden versuchen, sich so zu positionieren, dass sie sich gleichzeitig von Bush absetzen, zu Baker hin orientieren, aber eine Lösung, eine Lösung haben sie alle nicht.

    Remme: Sie haben gerade die Internationalisierung des Konflikts angesprochen als einen neuen Ansatz. Außenminister Steinmeier war Anfang der Woche noch in Damaskus. Heute ist er auf dem Weg nach Washington. Spielt Deutschland hier eine wichtigere Rolle, als auf den ersten Blick angenommen wird?

    Bertram: Im Augenblick noch nicht, aber ich fände es richtig, dass die Bundesrepublik sich überlegt, die Regierung sich überlegt, wie sie positiv auf diesen Bericht antwortet, nicht nur dass sie ihn generell begrüßt. Denn immerhin steht der Name Deutschland an zwei, drei Stellen in diesem Bericht. Deutschland , nach den Vorstellungen der Baker-Kommission, sollte einbezogen werden in diese internationale Unterstützungsgruppe. Die Europäische Union ist in der Tat auch aufgefordert, nicht mit Truppen, sondern mitzuwirken, zusammen mit dem Iran, zusammen mit Syrien, zusammen mit Saudi-Arabien, zusammen mit Ägypten und Jordanien und anderen wichtigen Staaten einzuwirken auf eine Stabilität im Irak. Dahinter steht natürlich etwas, was uns auch unmittelbar angeht. Wenn es im Irak zu einem andauernden, nicht mehr örtlich begrenzten Bürgerkrieg kommt, sondern wenn dieser Bürgerkrieg über die Grenzen des Irak hinausreicht, dann sind deutsche Interessen, europäische Interessen unmittelbar berührt. Wir können nicht so tun, als sei dies nun alles deswegen nicht unsere Aufgabe, weil die Amerikaner uns da hineingeritten haben. Das Problem bleibt, trotz der großen Fehler Amerikas und trotz des Berichts der Baker-Kommission.

    Remme: Herr Bertram, für wie groß halten Sie die Chance, Syrien und den Iran als Partner in diesem Prozess zu gewinnen?

    Bertram: Ich glaube, das reicht noch nicht aus, was da in der Baker-Kommission vorgeschlagen worden ist, nämlich dem Iran gegenüber nur über die Stabilität des Irak zu sprechen, nicht mehr auf Regimeveränderung im Iran zu drängen, aber im Übrigen die nukleare Sache auszuklammern. Ich glaube, es wird notwendig, immer notwendiger, mit dem Iran eine umfassende Verhandlung zu führen, und die muss wahrscheinlich bilateral von den Vereinigten Staaten selbst geführt werden. Wenn die ganze Problematik von den Sanktionen, die bisher schon verhängt worden sind, zu der nuklearen Frage behandelt werden kann, nur dann gibt es eine Chance auf Lösung. Nur dann gibt es, glaube ich auch, eine Chance auf ernsthafte Beteiligung des Iran an internationalen Stabilisierungsbemühungen für den Irak.

    Remme: Vielen Dank! Das war Christoph Bertram, ehemaliger Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik.