Archiv

Christoph Butterwegge, Gudrun Hentges, Gerd Wiegel
"Rechtspopulisten im Parlament"

Wie agieren die AfD-Abgeordneten im Bundestag? Welche Anträge und Anfragen stellen sie? Christoph Butterwegge, Gudrun Hentges und Gerd Wiegel ziehen nach einem Jahr Bilanz und attestieren einen "Epochenbruch".

Von Nadine Lindner |
    Es ist das erste Buch, das die parlamentarische Arbeit der AfD im Bundestag, aber auch in verschiedenen Landtagen aufarbeitet. Die Autoren Christoph Butterwegge, Gudrun Hentges und Gerd Wiegel sehen im Einzug der AfD in den Bundestag gar einen "Epochenbruch" und gehen davon aus, dass sich die Rechtspopulisten schrittweise im Parteiensystem der Bundesrepublik verankern werden. Die Parlamentsfraktion - so die Autoren - spielt dabei eine entscheidende Rolle. Denn hier versuche die AfD, die politische Achse des Landes nach rechts zu verschieben, indem sie die anderen Parteien vor allem beim Thema Migration vor sich hertreibt.
    "Ohne an irgendeiner Regierung beteiligt zu sein, beeinflusst die AfD schon heute den Gesetzgebungsprozess. Besonders deutlich spürbar ist das in der Asyl-, Flüchtlings- und Migrationspolitik sowie im Bereich der Inneren Sicherheit."
    Co-Autor Christoph Butterwegge stellt als Kernaussage fest:
    "Dass sich der Stil der Debatten geändert hat. Durch den Einzug der AfD ist das Klima im Bundestag rauer geworden. Es herrscht ein anderer Ton. Manchmal geht es auch bis hin bis zu Gossensprache. Die AfD tritt aggressiv, konfrontativ und provokativ auf. Aber das tut sie auch bewusst. Weil sie eben vermeiden möchte, dass sie auch schon als Altpartei gilt. Und sie muss von Seiten der Abgeordneten, muss man offensichtlich deutlich der eigenen Parteibasis zeigen, dass man sich nicht vom Parlamentarismus zähmen oder disziplinieren lässt."
    Butterwegge zitiert hier beispielhaft den AfD-Innenpolitiker Gottfried Curio, der behauptet, dass Familiengründung erschwert werde, weil syrische Großfamilien den Wohnungs- und Arbeitsmarkt belagern würden. Damit, so Butterwegge, würden Asylsuchende als Invasoren dargestellt, die Einheimische durch ihre großen Familienstrukturen verdrängen würden.
    Widersprüche bei sozialen Themen
    Viele Probleme, die die AfD anspricht, werden ursächlich ausschließlich auf Flucht und Migration zurückgeführt, stellt der Autor fest. Auf der anderen Seite aber, löse die AfD bei sozialen Themen ihre eigenen Ansprüche nicht ein, so Butterwegge:
    "Wenn ich mal inhaltlich eine Zwischenbilanz ziehen soll, da fällt mir am meisten auf, dass die AfD zwar den Anspruch vertritt, die Partei der kleinen Leute zu sein, wie es Alexander Gauland, ihr Partei- und Fraktionsvorsitzender ausdrückt, aber im Parlament spürt man das überhaupt nicht. Da werden dann so Äußerungen getätigt, wie - wo kann man denn sparen? Beim Sozialen!"
    Sagt Butterwegge, der sich auf eine Aussage von Fraktionschefin Alice Weidel bezieht.
    Ein Jahr AfD im Bundestag - Es ist ein ambitionierter Ansatz der drei Autoren, der auf gut 200 Seiten nicht immer eingelöst wird. Denn einige wichtige Gesichtspunkte fehlen komplett.
    Beim politischen Hintergrund der Autoren sollte ihre Nähe zur Linkspartei nicht unerwähnt bleiben. Christoph Butterwegge trat als linker Kandidat zur Wahl des Bundespräsidenten an, Gerd Wiegel ist Referent für Rechtsextremismus bei der Linksfraktion im Bundestag.
    "Wir machen daraus keinen Hehl. Ich bin nicht Mitglied der Linkspartei, ich mache keinen Hehl aus meinen Sympathien für die Linke. Das bedeutet ja aber nicht, dass ich mich nicht kritisch mit der AfD auseinandersetzen kann. Im Gegenteil, es ist notwendig, dass man nicht affirmativ das, was da im Parlament geschieht, abnickt, sondern einen kritischen Blick darauf wirft."
    Methode überzeugt nicht immer
    Inhaltlich schlägt sich das unter anderem darin nieder, dass die Autoren einen Zusammenhang zwischen den sozialen Verunsicherungen durch neoliberale Politik und dem Aufkommen des Rechtspopulismus - nicht nur in Deutschland - sehen.
    Butterwegge hat sich in der Vergangenheit intensiv mit Armuts- und Sozialstaatsforschung befasst sowie mit Rechtsextremismus. 1997 erschien sein bekanntes Buch "Rechtsextremisten im Parlament".
    Christoph Butterwegge, Politikwissenschaftler und Armutsforscher, steht vor einer mit Graffitis besprühten Mauer
    Christoph Butterwegge, Politikwissenschaftler und Armutsforscher, trat als parteiloser Kandidat der Linken zur Wahl des Bundespräsidenten an. (imago stock&people)
    Sein neues Buch "Rechtspopulisten im Parlament" richtet sich an interessierte Laien und professionelle Politikbeobachter: Journalisten oder Sozialwissenschaftler. Und noch eine weitere Zielgruppe hat Butterwegge im Blick: AfD-Sympathisanten, die einen kritischen Blick auf die Partei wagen möchten.
    Eher verwirrend wirkt in diesem Buch jedoch, dass bruchstückhaft neben dem Bundestag auch auf Landespolitik eingegangen wird. Immer dann, wenn es thematisch passt - z.B. wenn es um Asylpolitik geht, wird aus parlamentarischen Initiativen der Landtagsfraktionen zitiert. Welche Landtage untersucht wurden, wird nicht genannt, auch eine systematische Auflistung der untersuchten landespolitischen Anträge, Gesetzesentwürfe oder Anfragen bleibt aus. Damit wirken die Erwähnungen der Länderebene eher erratisch als hilfreich.
    Methodisch wählen Butterwegge, Hentges und Wiegel bei der Analyse der AfD im Bundestag einen sehr individuellen Zugang, der mehr auf die Interessenslage der Autoren, denn auf Vollständigkeit ausgelegt ist. Das heißt konkret, dass sie im vierten Kapitel, das zugleich das Kern-Kapitel ist: "Das parlamentarische Wirken der AfD nach politischen Sachgebieten und Themen" nur ausgewählte Themenbereiche wie Asyl, Kriminalität oder Familienpolitik beschreiben, auf eine Komplettschau aber verzichten.
    Ein erster guter Überblick
    "Weil wir ja so gearbeitet haben, dass drei Autoren auf ihren Gebieten vor allen Dingen die Arbeit der AfD angeschaut haben."
    Untersucht wurde der Zeitraum zwischen Konstituierung des Bundestagstags am 24. Oktober 2017 und der parlamentarischen Sommerpause im Juli 2018. Auch eine quantitative Auflistung der gestellten Anträge, Gesetzesentwürfe oder Kleinen Anfragen fehlt. Eine echte Schwachstelle des Buches, weil damit die gesamte thematische Bandbreite der AfD nicht deutlich wird. So wird der gesamte Themenkomplex Klima- oder Verkehrspolitik, in dem die AfD sehr abweichende Meinungen vertritt, komplett ausgeblendet.
    "Aber wir haben nicht den Anspruch gehabt, alle Politikfelder anzuschauen, alle Anträge, Initiativen der AfD abzudecken. Das war auch in der kurzen Zeit nicht möglich."
    Leider bleiben auch die beiden Schlusskapitel - "Verbindungen der AfD zur extremen Rechten" sowie "AfD und Social Media" inhaltlich dünn. Sie suggerieren einen Anspruch auf Vollständigkeit in der Betrachtung der AfD-Bundestagsfraktion, den sie nicht einlösen können. Außerdem wird gar nicht auf das widersprüchliche Verhältnis der AfD-Fraktion zu klassischen Medien eingegangen.
    Zudem beschränkt sich das Buch zu sehr auf die Analyse. Handlungsanleitungen, wie Parlamentarier oder Bürger mit der AfD im Bundestag, in den Landtagen umgehen sollten, fehlen völlig.
    Fazit: Mit methodischen Schwächen behaftet kann das Buch von Butterwegge, Hentges und Wiegel nur einen ersten Überblick über die Arbeit der AfD im Bundestag bieten. Da es viele Verweise auf parlamentarische Initiativen zusammenträgt, und so zum Weiterlesen animiert, bleibt es trotz Mängeln ein lesenswertes Buch.
    Christoph Butterwegge, Gudrun Hentges, Gerd Wiegel: "Rechtspopulisten im Parlament. Polemik, Agitation und Propaganda der AfD",
    Westend Verlag, 256 Seiten, 20,00 Euro.