Für die Lektüre von Christoph Peters‘ neuem Roman ist es nicht zwingend erforderlich, aber doch nützlich zu wissen, was sich im Vorgänger "Der Arm des Kraken" abgespielt hat: In einem Berliner Park wurde die Leiche eines Mitglieds der Yakuza, der japanischen Mafia, gefunden. Aus Japan reiste daraufhin der ausgebildete Killer und Schwertkämpfer Fumio Onishi an, um den Tod seines Freundes Yukio zu untersuchen. Doch Onishi beließ es nicht bei Untersuchungen, sondern richtete in Prenzlauer Berg ein Blutbad an. Überstürzt musste er Berlin verlassen, im Schlepptau Yukios deutsche Freundin Nikola.
Die sitzt nun, zu Beginn von "Das Jahr der Katze", versteckt in einer kleinen Wohnung in Tokio, die von einem deutschen Freund des Killers Onishi bewohnt wird. Nikola muss sich verstecken, weil Onishis Berliner Rachefeldzug keinesfalls im Sinne des Yakuza-Paten Takeda stattfand, dessen Strafmaßnahmen nun zu fürchten sind.
Von der ersten Seite an entwirft Christoph Peters ein kalkuliert undurchsichtiges Szenario. Wer kämpft gegen wen? Wer hat welche Interessen? Ist Takeda, der sich im Verlauf des Romans als ein nur schwer berechenbarer Trinker herausstellen wird, zu Onishis Feind geworden? Eine Gefahr jedenfalls scheint tatsächlich zu drohen. Denn kaum hat Nikola die Wohnung in Tokio verlassen, findet ihr Besitzer sie kurz darauf in unbrauchbarem Zustand vor:
"Die Leiber schwappten gegen den Herd, waren in das Fernsehregal gerutscht, steckten zwischen DVD-Spieler, Büchern und CDs. Einzelne hatten es sogar bis in den Schlafraum geschafft. In der Mitte ragten die beiden Stühle und der Tisch aus einem Berg von Fischen. Obwohl sie, dem bestialischen Gestank nach zu urteilen, seit Tagen tot waren, schien es, als befänden sie sich in einer gespenstischen, unterschwelligen Bewegung, gurgelnd und schwappend wie ein müder Geysir."
Reflexionen eines allgemeinen Werteverfalls
Diese Szene, in der ein Apartment von einer Tonne verfaultem Fisch geflutet wird, ist nur eine der vielen prägnanten Passagen dieses raffiniert konstruierten und gut geschriebenen Romans. Es bereitet Christoph Peters offensichtlich Vergnügen, fernöstliche und westliche Lebenswelten aufeinander prallen zu lassen, um daraus erzählerische Funken zu schlagen.
"Das Jahr der Katze" ist aus zwei Perspektiven erzählt: Die eine, in der allwissenden dritten Person, ist sozusagen die Action-Ebene, auf der sich Onishi und Nikola in wechselnden Konstellationen durch Tokio schlagen – oft hat man dabei das Gefühl, einem Katz- und Maus-Spiel zwischen Jägern und Gejagten beizuwohnen.
Dagegen hat Christoph Peters die aus der Ich-Perspektive erzählten Überlegungen des Zen-Meisters, Karatelehrers und Schwertkämpfers Harada geschnitten. Harada, der einst auch Onishi das Kämpfen gelehrt hat, ist der Statthalter der japanischen Traditionen und Gebräuche. Auch er, so vermutet er selbst zumindest, ist beim Yakuza-Paten Takeda in Ungnade gefallen. Im Japan der Gegenwart erkennt Harada in seinen ausschweifenden und jederzeit lehrreichen Reflexionen einen allgemeinen Werteverfall:
"Mittlerweile müssen wir uns von Holländern über den Geist des Karate belehren lassen. Bei der letzten Olympiade hat kein einziger Japaner die Goldmedaille im Judo gewonnen. Oben auf dem Podest standen Koreaner und Russen. Manche glauben, dass wir bald in allen Belangen hinter die Chinesen zurückfallen werden, nicht nur wegen der Verwüstungen nach der großen Welle und dem Atomunfall, sondern weil wir als ganzes Volk unsere Entschlossenheit verloren haben."
Die Yakuza schafft Ordnung
Die Dekadenz der japanischen Kultur, ihre Schwäche und Anfälligkeit gegenüber von außen in das Land strebenden Mächten, ist eines der Grundthemen des Romans. Der Yakuza-Pate ist einerseits ein gefährlicher Mann, andererseits aber auch eine lächerliche Figur, die die Fäden zunehmend aus der Hand gibt und die Geschäfte chinesischen Banden überlässt.
Die Yakuza erscheinen in "Das Jahr der Katze" als ein brutaler Apparat mit eigenen Gesetzen, aber auch als eine Organisationsform, die die Ordnung im Land über Epochen hinweg mehr garantiert als gestört hat.
Zu den großen Vorzügen von Christoph Peters‘ Romanen gehört, dass man zwar viel über die japanische Kultur des Schweigens und der Scham lernt, dass Peters aber diese Lektionen organisch in ein spannendes Handlungsgerüst integriert. Die Untrennbarkeit von Form und Inhalt, von Stil und Aktion, wird besonders an der Nikola-Figur deutlich. Als Frau, die noch dazu den Gepflogenheiten des Landes fern steht, werden von ihr von männlicher Seite Demut und Unterordnung verlangt.
Nikola aber, und das ist eine Ungeheuerlichkeit, hinterfragt den Sinn männlichen Handelns und wird dadurch zur Nervensäge. Eine doppelte Provokation, die Christoph Peters hier anbietet: Für die Japaner ist die selbstbewusste Nikola ein Ärgernis, für den deutschen Leser wiederum ist das japanische Frauenbild ein Anachronismus, gegen den schwer anzukommen ist. Das ist der untergründige, subtile Stachel, den Peters seinem Text implantiert hat – dass die Kollision der Kulturen auf der Umkehrung von Klischees basiert.
Ein unterhaltsames Stück Actionliteratur
Einmal taucht eine Figur auf, ein Japaner, der sich in größter Bewunderung für die Deutschen und deren vermeintlich bedingungslosen Gehorsam Schäferhunde hält. Wohlgemerkt: Der hier gelebte Respekt gilt jenen deutschen Wehrmachtssoldaten, die für Volk und Führer in den Tod gegangen sind. Über das fein ausbalancierte Spiel mit Fremdheit hinaus ist "Das Jahr der Katze" aber, wie bereits "Der Arm des Kraken", ein unterhaltsames Stück Actionliteratur, in dem Peters seinem Faible für japanische Schwertkämpferfilme gerne freien Lauf lässt:
"Im nächsten Augenblick kippte der Schatten rücklings in den Hof. Noch im Fallen löste sich der Kopf, nahm seine eigene Flugbahn, schlug einen halben Meter vor dem Körper, zu dem er gehörte, auf den Boden, rollte zwei, drei Mal um die eigene Achse, kam zur Ruhe und lag da, mit weit geöffneten Augen, den Mund zu einem stummen Schrei verzerrt. Onishi steckte seine Waffe ein. "Was für ein Dummkopf", sagte der Meister."
Wie bereits "Der Arm des Kraken", so viel darf verraten werden, mündet auch Christoph Peters‘ neuer Roman in ein drastisches Finale. Seinerzeit, so hat der Autor es erzählt, habe es ihm vor allem Spaß gemacht, in der bürgerlichen Aufgeräumtheit des gentrifizierten Prenzlauer Bergs ein Blutbad anzurichten.
Der neue Roman taucht nun tiefer in existentielle Fragen ein, ohne an Lesbarkeit einzubüßen. Das ist keine geringe Kunst. Es scheint, als würde Christoph Peters sich mit jedem weiteren Buch der Weisheit und Gelassenheit eines Meisters annähern.
Christoph Peters: "Das Jahr der Katze", Luchterhand Verlag, München, 352 Seiten, 22 Euro