Bilder, die um die Welt gingen, und die Geschichten dahinter - das ist eines der Themen in Café Bagdad von Susanne Fischer und Christoph Reuter:
Christoph Reuter: Ich finde es interessant und durchaus schildernswert, mal zu zeigen: Wie entstehen eigentlich Nachrichten in einer Situation, wo sehr wenige Journalisten nur da sind, wo es keine Kontrollinstanzen gibt, wo man dann merkt, sowohl die irakischen Milizionäre wie auch die US-Soldaten lügen, was das Zeug hält, erfinden die grandiosesten Geschichten, und viele Medien transportieren das so.
Reuter und Fischer berichten für deutsche Printmedien aus dem Irak. In ihrem Buch interessieren sie sich auch für das tägliche Leben der Menschen in Zeiten von Umbruch und explodierender Gewalt - der Untertitel: Der ungeheure Alltag im neuen Irak:
In Bagdad explodieren zwar jeden Tag Bomben, aber da leben auch noch fünf Millionen. Und wie leben die in diesem Irrsinn? Wie organisiert man sich den Alltag? Worauf freut man sich noch? Wo sind die kleinen Fluchten?
Fixpunkt für die deutschen Journalisten im irakischen Chaos ist die Familie Al-Abassi, deren Sohn Bassam vor Jahren nach Deutschland geflohen war und nun als Mittler fungiert. Die Familie lebt in einem gutbürgerlichen Wohnviertel. Mutter Siham Al-Abassi ist Dozentin für arabische Literatur an der Universität von Bagdad, zu Hause kocht sie mit Leidenschaft:
Aus dem Buch:
Siham ist schwer zu erschüttern, aber wenn jemand nicht essen mag, obwohl sie doch mit Liebe gekocht hat - das führt zu häuslichen Verwerfungen. Bassam, Basil und ich durchkämmen Bagdad, suchen die angeblichen Raketenfabriken, Chemiewaffenstätten und Geheimdienstzentralen nach Beweisen, Akten, Überresten ab, stoßen auf Udays verstümmelten Leibwächter gehen früh und kommen spät zurück - um jedesmal Siham in der Küche und ein mehrgängiges Menü auf dem Tisch zu finden. Es ist absurd, aber so ist Bagdad: Im Auge des Orkans wird zuverlässig gekocht.
Die Söhne der Al-Abassi-Familie und Christoph Reuter unterwegs in verlassenen Geheimdienstzentralen - na klar! Aber wäre es nicht auch - nur als Beispiel - spannend gewesen, an der Seite von Siham Al-Abassi die Universität zu besuchen, wo das Leben nach dem Ende der Diktatur ja auch irgendwie weitergehen muss? Oder geht da gar nichts mehr, gibt es keine Studierenden mehr und keine arabische Literatur? Vielleicht könnte Siham Al-Abassi auch erzählen, wie es sich lebt in einer einst weltoffenen Stadt, in der nun schon seit Jahren - und seit dem Sturz Saddams noch verstärkt - Frauen aus dem öffentlichen Leben und der politischen Diskussion herausgedrängt werden mit dem Argument, sie machten sich der Prostitution verdächtig. Aber Siham Al-Abassi, so scheint es, wurde nicht gefragt.
Sadr-City, das schiitische Armenviertel, in dem zwei der fünf Millionen Einwohner von Bagdad leben, erscheint als "Ort des Elends und Gestanks". Mehr nicht. Nicht einmal ein Blick in die Unterkünfte, die Besuchern aus dem reichen Norden armselig erscheinen mögen, für deren Bewohner aber ihr Zuhause sind. "Der ungeheure Alltag" dieser Menschen hat Reuter und Fischer offenbar nicht so sehr interessiert. Christoph Reuter:
Es ist der Versuch, ein Buch zu schreiben, das vielleicht einen bisschen größeren Kreis interessiert als nur die harten Aficionados der politischen Analyse. Sondern das auch für Leute geeignet ist, die sich sonst nie mit diesem Land beschäftigt haben. Die man erstmal ein bisschen dort hineinziehen muss, man kann es pittoresk nennen, man kann es auch schlichterdings zum Teil unterhaltsam nennen.
Unterhaltsam ist das Buch durchaus. Wir erfahren zum Beispiel, als Ergebnis einer aufwändigen Recherche plus Exklusiv-Interview, dass der abgehalfterte Diktator in seinem Erdloch jeden Tag eine neu gekaufte und keineswegs nur eine frisch gewaschene Unterhose angezogen hat.
Das alles klingt wie hart dran am Puls der Ereignisse, ist elegant formuliert und liest sich locker weg. Iraks Menschen geraten dabei allerdings leicht zur Staffage. Zu Zitaten-Lieferanten für den ganzen "ungeheuren Alltag", der sich in dem Land zwischen Euphrat und Tigris abspielt.
Da, wo es Reuter und Fischer gelingt, auszusteigen aus dem Gestus des von der eigenen Wichtigkeit erfüllten Journalisten, da schildern sie auf einmal Szenen, die ergreifen, und die tatsächlich etwas vermitteln von dem, was im Irak geschieht:
Im Vorhof der Abu-Hanifa-Moschee beugt der neunzehnjährige Ali Hashim sein verletztes Haupt über zwei schlichte Holzsärge. Der Verband um seine Stirn ist blutgetränkt, der Schmerz aber, den der Junge herausschreit, rührt von einer anderen Wunde: "Rasul, Huweida, redet mit mir! Sagt, was ich tun kann, damit ihr wieder lebendig werdet!", ruft er seinen toten Geschwistern zu. "Ich wünschte, ich hätte einen anderen Weg genommen, verzeiht mir. Sagt mir, was kann ich tun, um euch zurückzuholen?" Ali hatte versucht, seinen achtjährigen Bruder und seine siebzehnjährige Schwester aus Falludscha herauszubringen, auf der Straße nach Bagdad gerieten sie in eine Schießerei, wer gegen wen, weiß er nicht, nur dass er von einem Moment auf den anderen mit zwei Toten im Auto saß. Von Trauer überwältigt, wirft er sich immer wieder über die Särge.
Christoph Reuter und Susanne Fischer:
Café Bagdad. Der ungeheure Alltag im neuen Irak.
Verlag C. Bertelsmann
352 Seiten, 19 Euro 90