Glaubt man an Nullen und Einsen, glaubt man nicht mehr ans Buch. Oder besser: Man glaubt, dass das Buch am Sterben ist. Für Buchhändler bedeutet das, dass sie schon als Engel geboren werden. Sie existieren nur noch im Himmel und in Erzählungen aus längst vergangenen Zeiten. Eine davon ist Christopher Morleys Roman. "Das Haus der vergessenen Bücher" spielt kurz nach dem Ersten Weltkrieg und dreht sich um Roger Mifflin, Inhaber des Antiquariats "Parnassus" in Brooklyn. Das Motto dieses Tempels der Bibliophilie lautet:
"Geistige Unterernährung ist ein ernstes Leiden. Wir haben die richtige Medizin für Sie."
Als Arznei empfohlen werden unter anderem: "Wenn Ihre Seele Phosphor braucht, versuchen Sie es mit "Trivia" von Logan Pearsall Smith."
Und: "Wenn Ihre Seele nach einem Stärkungsmittel aus Eisen und Wein und einer tüchtigen Rauferei begehrt, versuchen Sie es mit (...) "Der Mann, der Donnerstag war" von Chesterton."
Wie viele der heilsamen Schätze in Roger Mifflins Geschäft tatsächlich der Weltliteratur entstammen und welche der Fantasie des Autors, ist nicht in jedem Fall klar. Das Werk, das für Aufregung sorgt, wurde aber ganz bestimmt geschrieben, und zwar von Thomas Carlyle. Sein Buch über Oliver Cromwell entwickelt im "Haus der vergessenen Bücher" die Tendenz, zu verschwinden und an den unmöglichsten Orten wieder aufzutauchen.
Es bildet das corpus delicti in einem Capriccio, das immer krimineller wird. Das überrascht nicht, zumal Christopher Morley ein bekennender Sherlock Holmes-Fan war und Mitbegründer des Clubs der "Baker Street Irregulars".
Christopher Morley ist ein onkelhaft gutmütiger Erzähler. Das zeigte er in den über hundert Werken, die er verfasste, bis er 1957 im Alter von 67 Jahren starb. Seine Spezialität sind Bonmots und die leichte Unterhaltung, ähnlich wie P.G. Wodehouse sie pflegte, nur nicht ganz so britisch böse und elegant und natürlich ohne Aristokraten. Beim Amerikaner Morley gibt es Millionäre und solche, die es werden wollen. Es gibt schnuckelige Karikaturen statt Figuren, deren hübsche Oberfläche ihre mangelnde Tiefe wettmacht.
Dazu gehören in diesem Roman neben dem schrulligen Büchernarren Titania, eine Tochter aus reichem Haus, die von Roger Mifflin den Buchhandel erlernen soll und die an ihrem neuen Arbeitsort bald aktiv und passiv ihre dekorativen Fähigkeiten zur Geltung bringt. Da ist Aubrey Gilbert, ein Werbemensch, der sich eines regnerischen Tages in die Heimat der Musen verirrt und sich umgehend in die junge Dame verliebt. Nicht zu vergessen Mrs. Helen Mifflin, deren Hauptaufgabe darin besteht, abends für alle Kakao zu kochen.
"Das Leben in einer Buchhandlung ist wie das Leben in einem Munitionslager", erklärt Roger Mifflin einmal und serviert Aubrey Gilbert dazu Eier à la Samuel Butler:
"Die Regale sind angefüllt mit dem gefährlichsten Sprengstoff der Welt - dem menschlichen Geist."
Das zu beweisen, unternimmt Christopher Morely und zwar raffinierterweise ganz unmetaphorisch. Im "Haus der vergessenen Bücher" steigt buchstäblich die Explosionsgefahr, während sich deutsche Spione an Carlyles "Cromwell" vergreifen, Aubrey Gilbert die Entführung Titanias befürchtet und Roger Mifflin sich in die selige Selbstvergessenheit des Weisen und in Pfeifenrauch hüllt. "Das Haus der vergessenen Bücher" bietet Spannung mit Spitzenhäubchen, eine Liebesgeschichte und viele Gründe, die nächste Buchhandlung aufzusuchen, solange es sie noch gibt.
Christopher Morley: Das Haus der vergessenen Bücher. Roman. Aus dem Amerikanischen von Renate Orth-Guttmann. Atlantik Verlag, Hamburg 2014. 255 Seiten. 18 Euro.