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Chronik der AKW-Krise

Die japanischen Kernkraftwerke Fukushima Dai'ichi Fukushima Dai'ni sind durch das schwere Erdbeben vom Freitag stark beschädigt. Am Standort Dai'ichi drohen Kernschmelzen. Eine Chronik der Ereignisse.

Von Sönke Gäthke |
    Freitag, 11. März, 14:46 Uhr Ortszeit (JST), 06:46 Uhr Mitteleuropäischer Zeit (MEZ): Das Erdbeben mit der Stärke 8,9 den Meeresboden und den Nordosten des Landes. Am Kernkraftwerksstandort Fukushima Dai'ichi sind von den sechs Reaktoren drei – die ältesten - in Betrieb. Die übrigen sind für Wartungsarbeiten abgeschaltet. Die drei laufenden Reaktoren 1, 2 und 3 schalten sich sofort ab. Den Informationen des Betreibers zufolge fällt auch das Stromnetz aus. Daher springen die Diesel-Generatoren an, versorgen die Meiler, die immer noch heiß sind, mit Strom, damit die Kühlmittelkreisläufe der Reaktoren weiterlaufen können.

    Freitag, 11. März 15:41 Uhr JST, 7:41MEZ: Die Notstromaggregate fallen aus. Die Kühlsysteme haben keinen Strom mehr. Tepco spricht von einer Fehlfunktion, die alle Aggregate gleichmäßig trifft. Die "Union of Concerned Scientists" aber hält es für wahrscheinlich, dass zu dieser Zeit der Tsunami das Atomkraftwerk getroffen hat. Spiegel-Online veröffentlicht einen Film, auf dem die Anlage bis zu den Reaktorgebäuden unter Wasser steht. Eine Minute später informiert Tepco nach eigenen Angaben die Behörden. In Japan wird der Atomare Notstand ausgerufen, zum ersten Mal in der Geschichte des Landes.

    Die folgenden Stunden sind von dem Versuch geprägt, die Not-Kühlung der Reaktorblöcke in Gang zu halten. Das Unternehmen versucht, Ersatzbatterien oder Ersatzaggregate zum Atomkraftwerk zu bringen, die Rede ist von Extra-Kühlmittel, das die US-Luftwaffe liefern soll. Letzteres entpuppt sich als Missverständnis, offenbar hat die US-Armee auch einen Generator zu Verfügung gestellt. All diese Versuche führen jedoch nicht zum Erfolg. In einem Halbkreis von drei Kilometern werden die Bewohner evakuiert.

    Im Verlauf des Nachmittags meldet der Tokioter Stromversorger auch Probleme aus dem Nachbarkraftwerke Fukushima Dai'ni, seinem zweiten Atomkraftwerk in der Präfektur Fukushima. In einem der vier dortigen Reaktorblöcken beginnt, der Druck offenbar unkontrolliert zu steigen. In den westlichen Medien beginnt darauf hin eine gewisse Verwirrung, da in beiden Anlagen der Block mit der Nummer 1 von Problemen betroffen ist. Die Lage wird auch nicht übersichtlicher, als der Betreiber selbst die Anlagen in seinen Pressemitteilungen verwechselt.

    Um Mitternacht Ortszeit – am späten Nachmittag in Europa - meldet Tepco, dass in den Reaktoren 1 und 1 von Fukushima Dai'ichi der Wasserlevel sinke und Radioaktivität austreten könne. Die japanische Regierung empfiehlt den Anwohnern, die in einer Entfernung zwischen drei und zehn Kilometern leben, zu Hause zu bleiben und die Fenster zu schließen. Sie weist die Betreibergesellschaft an, kontrolliert Druck aus dem Reaktor abzulassen.

    Am Samstag morgen, gegen 6:00 Uhr JST, das ist freitags, 22:00 Uhr MEZ, tauchen die ersten Berichte über erhöhte Radioaktivität in dem und um das Atomkraftwerk auf. Experten sprechen zum ersten Mal von der Möglichkeit einer Kernschmelze. Jetzt meldet Tepco auch aus allen Blöcken des Schwesterkraftwerks Fukushima Dai'ni steigende Innendrücke. Die japanische Regierung zieht nun auch um dieses Kraftwerk einen Evakuierungsring von drei Kilometern, im Laufe der Nacht wird er auf zehn Kilometer erweitert.

    In den Morgenstunden des Samstags, MEZ, in Japan ist es 15:30 Uhr JST, berichtet das japanische Fernsehen über eine Explosion in einem der Blöcke von Fukushima Dai'ichi – dem Kraftwerk, bei dem eine Stunde nach dem Erdbeben die Notstromaggregate ausgefallen sind. Tepco spricht von einem "Beben und lautem Geräusch am Reaktorblock 1". Die Ursache und der Schaden sind stundenlang unklar, vor allem die Frage, ob er Reaktor betroffen ist, sorgt für Nervosität. Gegen Nachmittag steht fest: Eine Wasserstoff-Explosion hat die Halle über dem Reaktor zerrissen. Diese Halle ist nicht druckgeschützt, sie deckt den Kran zum Wechsel der Brennelemente und die Lagerbecken für Brennelemente ab. Der Reaktor ist unter dieser Halle, geschützt von einem Sicherheitsgebäude aus Beton und dem Reaktordruckbehälter aus Stahl.

    Die Explosion setzt weitere Radioaktivität frei. Es handelt sich um die Isotope Cäsium-137 und Jod-131. Der Evakuierungsradius auf 20 Kilometer ausgedehnt. Offen ist, was in dem Reaktor passiert, die Kühlung ist offenbar noch nicht wieder in Gang gekommen. Die Tepco-Ingenieure beginnen mit einer ungewöhnlichen Maßnahme: Sie fluten den Reaktor mit Meerwasser und Borsalz. Das Wasser soll kühlen, das Bor als Neutronenfänger eine eventuell anspringende Kettenreaktion verhindern.

    Dieser Prozess dauert mehrere Stunden, muss jedoch nach einem Nachbeben am Samstag Nachmittag MEZ, in Japan ist es später Abend, zunächst gestoppt werden.
    Am Abend in Europa – in Japan ist es tief in der Nacht - meldet die Nachrichtenagentur Reuters unter Berufung auf die Japanische Reaktorsicherheits-Agentur Nisa, dass nun auch die Notkühlung im Reaktorblock 3 ausgefallen sei. Versuche, das Hochdruck-Einspritzsystem wieder in Gang zu setzen, scheiterten laut Betreiber. Außerdem hält die Agentur eine Kernschmelze im ersten Reaktorblock von Fukushima Dai'ichi für wahrscheinlich.

    Sonntags, gegen 1:00 Uhr MEZ, 9:00 Uhr JST, informiert der Betreiber die Behörden, dass die radioaktiven Werte wieder steigen. Als auch in Europa der Morgen angebrochen ist, scheint der Reaktorblock 1 mit Meerwasser gefüllt zu sein. Gleichzeitig befürchtet die japanische Regierung, dass auch im dritten Reaktorblock eine Kernschmelze in Gang gekommen ist.