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Chronik eines angekündigten Todes

Die Kunst in der Nachahmung der Wirklichkeit, das ist die alte Schule der Mimesis und die etwas neuere des realistischen Erzählens. Paul Murray hat mit seinem Roman "Skippy stirbt" bewiesen, wie lebendig dieses Genre sein kann, und wie viel poetische Kraft ihm innewohnen kann. Das ist eine herausragende Leistung.

Von Tanya Lieske | 30.01.2011
    "Skippy stirbt" ist die Chronik eines angekündigten Todes. Der knapp 14-jährige, schmächtige Schüler Daniel Juster – Skippy genannt wegen seiner Ähnlichkeit mit einem gewissen Buschkänguruh – sitzt in einem Doughnut- Restaurant in Dublin und ist im Begriff ein Wettessen zu verlieren. Sechs Doughnuts hat sein Zimmernachbar, der ebenso übergewichtige wie geniale Ruprecht schon verdrückt, als Skippy blau anläuft, vom Stuhl kippt und stirbt. Skippy hat nicht einen einzigen Doughnut angerührt, es ist kein Erstickungstod: Eine Überdosis Tabletten setzt seinem jungen Leben ein Ende. Als letzte Botschaft schreibt Skippy mit Himbeersirup den Namen seiner ersten Liebe auf den Boden das Fastfood-Restaurants: Lori.
    Der irische Schriftsteller Paul Murray setzt in diesem furiosen Auftakt Thema, Stil und Tempo seines Romans. "Skippy stirbt" ist ein tragikomischer Roman, grell, schnell und oft herzzerreißend. Er widmet sich jener prekären Passage, die alle Menschen durchleben, und die den meisten hinterher peinlich ist: der Pubertät. Nie wieder, das lässt sich nach der Lektüre dieses Romans bekräftigen, ist das Leben so unmittelbar, so viel versprechend, so sehr vom Scheitern bedroht - und so einsam. Auch wenn sich die noch-Kinder stets im Pulk durch die Welt bewegen, ihr Grundgefühl ist die Einsamkeit. Skippys Zimmergenosse Ruprecht, der nicht nur übergewichtig ist, sondern auch hochsensibel und hochbegabt, der sich für Quarks und Strings und die Theorie des Urknalls interessiert, formuliert es so:

    "Unser Universum, könnte man fast sagen, ist aus Einsamkeit aufgebaut, und diese fundamentale Einsamkeit setzt sich nach oben fort und sucht jeden seiner Bewohner heim. Doch könnte es in anderen Universen anders sein? In einem Universum etwa, in dem es nur geschlossene Strings gäbe, wie würde Liebe da aussehen? Und Energie? Und Raumzeit?"

    Um zunächst das Terrain zu sondieren: Es gibt zum Thema der Pubertät längst Texte, die Weltliteratur geschrieben haben. Shakespeares "Romeo und Julia" ist eine Tragödie, die den Wert der ersten pubertären Liebe gegen die Konventionen der Zeit behauptet. Franz Werfels "Abiturientag" beschreibt das Gewicht der ersten Schuld. JD Salinger formuliert in seinem "Fänger im Roggen" eine Anklage gegen die Lügen und Kompromisse der Erwachsenenwelt. Liebe, Schuld und Anklage, das ist auch der große Stoff, aus dem Paul Murrays Roman gemacht ist, doch er unterscheidet sich in einem wesentlichen Punkt von seinen Vorgängern. Paul Murrays Roman ist durchweg komisch, er speist sich aus der Erkenntnis, dass das Erhabene heute leichter zu genießen ist, wenn es uns in der Gestalt des Profanen erreicht. Auch deshalb stirbt Skippy seinen frühen und ungerechten Tod ausgerechnet auf der Bühne eines Fastfood-Restaurants:

    "Der große rosa Ring auf dem Dach von Ed's Doughnut House sendet sein kaltes, synthetisches Licht aus, eine Neonnull, die den Mond und alle Sternbilder des unendlichen Raums dahinter überstrahlt. Ruprecht schaut nicht in diese Richtung. Das Universum erscheint ihm in diesem Augenblick als etwas Furchtbares – dünn und fadenscheinig und leer. Anscheinend weiß es das selbst und wendet sich beschämt ab."

    Skippys Tod bildet den Prolog des Romans. Im Folgenden erfährt man, was sich in den zwei Wochen davor vor, und in den rund sechs Wochen danach zugetragen hat. Erzählt wird die Zeitspanne von einer Halloween-Party bis zu einem Weihnachtskonzert, und zwar aus der Perspektive von rund 20 Figuren, die in Skippys Leben eine Rolle spielen. Es sind Schüler, Lehrer und Eltern, und sie gruppieren sich um eine Eliteschule, die sich Seabrook-College nennt. Eine ehemals katholische Schule, betrieben von einem Orden mit dem Fantasie-Namen "Paraclete Fathers". Da der geistliche Nachwuchs fehlt, ist die Schule heute weitestgehend in der Hand von Laien wie zum Beispiel dem jungen Geschichtslehrer Howard, er ist selbst ein Absolvent dieser Schule. Halb Internat, halb Tagesschule hat Seabrook vor allem eine Aufgabe: den Jungen den Weg in ihre berufliche Zukunft zu ebnen. Sie sollen Rechtsanwälte, Zahnärzte und Börsenmakler werden, genau wie ihre Väter. Der kommissarische Direktor der Schule:

    "Das hier ist eine gute Schule. Nein, sie ist nicht perfekt, denn wir leben in einer Welt, die nicht perfekt ist. Aber ... diese Schule hat Generationen irischer Kinder ausgebildet, sie hat nicht nur Ärzte, Anwälte, Geschäftsleute, sprich die Stützen unserer Gesellschaft hervorgebracht, sondern auch Missionare, Entwicklungshelfer und Wohltäter. Darüber hinaus pflegt diese Schule eine großartige, kontinuierliche Tradition, sich der Armen und Unterdrückten anzunehmen, sowohl in unserem Land als auch in Afrika."

    Für dieses Privileg sind die Väter der Kinder, die meist selbst Absolventen sind, bereit, großes Geld zahlen, bis zu 10.000 Euro im Jahr. Das ist kein triviales Detail. Der Roman "Skippy stirbt" spielt noch vor der großen Finanzkrise, die die grüne Insel derzeit erschüttert. Die Eltern der Jungen sind jene Neureichen, die der Wirtschaftsboom der letzten Dekaden gezeugt hat. Ihr Credo ist Konsum, ihr Glaube Wachstum. Paul Murrays Roman gibt auch eine soziologische Momentaufnahme jener kollektiven Hypnose, aus der Irland soeben erwacht. Hier ist Skippy zum ersten und einzigen Mal zu Besuch bei Lori, jenem Mädchen, das er liebt. Sie lebt in einem großen Haus mit elektrischen Toren, Überwachungskameras, Hausangestellten.

    "Daddy, was hast du gekauft?"
    Lori zupft ihn am Ellbogen. (...)
    "Dies und das für den Fitnessraum."
    "Noch mehr Zeug für den Fitnessraum?"
    "Bloß ein paar Kleinigkeiten."
    "Mom bringt dich um."
    "Oho", es klingt selbstgefällig, "nicht doch, dafür habe ich vorgesorgt." Er zieht eine kleinere Tüte aus der großen und schwenkt sie vor Loris Nase.
    "Und was ist mit mir?"
    "Was ist mit dir?"
    "Das wäre doch unfair, wenn jeder außer mir etwas bekommt."
    "Tja, in dem Fall, tut mir leid."
    "Lass mich in die Tüte gucken."
    "Ich denk nicht daran"
    "Lass mich gucken – Daddy!" Sie stürzt sich auf die Tüte, er schwingt sie wie ein Matador außer Reichweite, und Skippy betrachtet aus sicherem Abstand, wie die beiden sich kichernd im Ringkampf verknäuelen. Die Frau aus der Küche erscheint auf der schwelle. Sie bleibt einen Augenblick stehen, wirft über das sich balgende Paar hinweg Skippy einen kurzen, ausdruckslosen Blick zu, und verkündet dann mit der tonlosen Stimme eines Vampirs: "Es ist angerichtet."


    Nicht alle Figuren kommen aus diesem Milieu, aber sie müssen sich darin bewegen. Ruprecht hütet sorgsam ein Geheimnis. Sein Vater ist Klempner. Als es auffliegt, wird er von seinen Mitschülern gemobbt, sein Kopf mehrfach in die Kloschüssel gesteckt. In diesem Roman finden sich alle Grausamkeiten und auch jede Zuwendung, zu der Pubertierende fähig sind. Auch Skippy hat ein Geheimnis. Seine Mutter stirbt an Krebs, und der Vater hat Schweigen verordnet:

    "Zu Hause sind sie den ganzen Tag zusammen, da wird das Spiel, das Skippy und Dad spielen, sehr viel schwieriger. Das Spiel und sie in einem Raum – wie leicht kann einem da etwas herausrutschen! Deshalb haben sie einen Code entwickelt. Man benutzt diesen Code so, dass man fast alle Wörter durch das Wort "super" ersetzt. Ein typisches Gespräch könnte dann so lauten:
    - Und, was macht das Schwimmen, Sportsfreund?
    - Super, läuft super.
    - Super! Wann ist der nächste Wettkampf?
    - In zwei Wochen, in Ballinasloe.
    - Das Halbfinale, oder?
    - Ja, diesmal wird's härter als letztes Mal, aber der Trainer sagt, wir haben eine echte Chance.
    - Das hat er gesagt? Wow – super! Das ist ja super!"


    Diese Dialoge sind nur scheinbar dem Alltag abgelauscht, in Wahrheit sind sie große Kunst. In ihrem Zentrum lauert das Schweigen, ein Schweigen, das sich aus Scham, Schmerz, oder der ihm eigenen Ursubstanz, der Sprachlosigkeit speist. Er schreibt sich damit ein in die große Reihe jener irischen Autoren, die vor ihm das Schweigen hörbar gemacht haben, Samuel Beckett, Sean O'Casey oder Flann O'Brien. Auch die Unmittelbarkeit seiner Prosa setzt ihn in jene Tradition. Paul Murrays Roman ist konsequent in der Gegenwartsform erzählt, was ihm eine fast theatralische Präsenz verleiht. Jede Figur lebt in ihrem eigenen Moment, und aus solch vielen verknüpften Momenten entsteht Wirklichkeit.

    "Stille Nacht" auf Panflöte senkt sich wie Nervengas aus den Lautsprechern über ihm herab. Mit einem Mal spürt Skippy ein großes Gewicht, es zerrt an ihm, zerrt an dem ganzen Einkaufszentrum, zieht es hinunter zu einem bestimmten Punkt. (...). Bei den Schiebetüren schunkelt ein untergehaktes Grüppchen und singt "Jingle Bells".
    "Helfen Sie beim Kampf gegen Krebs!" Einer von ihnen, ein junger Mann mit Brille und grünem Anorak, hält Skippy eine Sammelbüchse unter die Nase, sagt dann "Tschuldigung" und nimmt sie wieder weg.


    Da, wo Skippy stirbt, macht der Text einen Sprung. Die Welt teilt sich nun in jene, die meinen, man müsse das tragische Ereignis vergessen, das Schulleben in größtmöglicher Ordnung weiterführen. Das sind die Erwachsenen. Und in jene, die schwer traumatisiert sind, die drohen, aus der Bahn zu geraten. Das sind die Halbwüchsigen, namentlich Ruprecht und Lori.

    "Mom und Dad machen sich große Sorgen um sie. Sie legen ihr jeden Tag, wenn sie heimkommt, ein kleines Geschenk in ihr Zimmer, und neulich am Samstag meinte Mom, sie sollten sich heute mal einen Mädchentag gönnen – nur Mom, Lori und die Kreditkarte! Sie sind zum Friseur gegangen und zur Kosmetikerin und haben bei Brown Thomas Schuhe gekauft, es war ein Heidenspaß! Aber als sie dann im Café saßen, hat Mom ihre Hand auf Loris Hand gelegt und Ach, Schätzchen! Gesagt, und unter ihrer Sonnenbrille sind Tränen hervorgequollen, und Lori hat auch angefangen zu weinen, und sie haben sich umarmt und gemeinsam geweint (...). Und – Mom fing wieder an zu schniefen –Kleines, ich weiß, das kannst du dir jetzt überhaupt nicht vorstellen, aber eines Tages wird dein Herz heilen, und du wirst wieder einen Menschen lieben können.
    Und für eine Sekunde stieg ein wohlig warmes Mochaccino-Gefühl in Lori empor, doch dann sagte Mom, Dad wolle sie zu einem Kinderpsychologen schicken, und das Gefühl wurde schal."


    An der Schwelle zur Sprachlosigkeit zeichnet Paul Murray das Bild einer späten Kindheit und frühen Jugend, für die alles im Übermaß vorhanden ist: Medien, Konsumgüter, Alkohol, Drogen und Tabletten. Auch Sex ist erhältlich, freiwillig, käuflich oder erpresst. Der ungezügelte Konsum vor allem von Rauschmitteln mag den Lesern hierzulande befremdlich vorkommen, entspricht aber tatsächlich der Lebenswirklichkeit von vielen Jugendlichen im urbanen Irland. Die damit einhergehende Abgeklärtheit und scheinbare Frühreife steht bei Paul Murray in komischer Korrespondenz zur inneren Zerbrechlichkeit der Jugendlichen, ihrem Verlangen nach Respekt und Zuwendung.

    "Was, lass sehen." Jetzt ist Mario an der Reihe.
    "Mamma mia, ein selten geiles Gerät!"
    "Und erst ihre Titten – hey!, schau mal, Skippy wird rot! Was ist denn Skippy? Ist das deine Freundin?"
    "Was soll der Quatsch?", sagt Skippy angewidert, aber mit seinem tomatenroten kopf überzeugt er keinen.
    "Schau, Mario, schau, Ruprecht, Skippy mag's nicht, wenn man über seine Freundin redet – weil du sie liebst, Skippy? Weil du sie liebst und sie heiraten willst und küssen und umarmen und ihre Hand halten (...) "
    "Was soll das denn?"
    "Ob dieser heiße Feger zum Hop kommt?", überlegt Mario
    "Du meinst, sie geht hin?" Skippy strahlt wie ein Honigkuchenpferd.


    Zwischen der Sehnsucht nach Liebe und dem Scheitern an ihr zeichnet Paul Murray das Genrebild einer Generation. Es ist sind jene Kinder, die in den Boomzeiten des Celtic Tiger geboren wurden, also innerhalb der letzten beiden Jahrzehnte, in denen sich die Gesellschaft in Irland verweltlichte und sich entlang der Spielregeln einer ungebremsten Marktwirtschaft neu organisierte. Paul Murray mag nicht der Erste sein, der auf das Lebensgefühl dieser Generation aufmerksam wurde, doch liefert er das erste geschlossene Portrait. Er gibt ihr auch einen Namen, er nennt sie die "verlorene Generation". Dieser Begriff hat eine Tradition im angelsächsischen Sprachraum, er bezeichnet die Literatur und das Lebensgefühl jener Generation, die im Ersten Weltkrieg mündig wurde. Die Parallelen zwischen den beiden Nullergenerationen arbeitet der Autor zunächst subtil, dann immer offensiver in seinen Text ein – letzteres nicht zum Vorteil. Der junge Geschichtslehrer Howard soll Skippys Klasse den Ersten Weltkrieg unterrichten. Unterwegs wird Howard von einem ganz schuluntypischen pädagogischen Eifer erfasst. Er lässt einige Schützengraben-Gedichte der Lyriker Robert Graves und Wilfred Owen in den Unterricht einfließen, führt dann seine Schüler ad hoc zu einem großen Gedenkpark im Nordwesten der Stadt. Dort erzählt er seinen Schülern vom grausamen Ende der siebten irischen Füsilier-Division 1915 auf Gallipoli.

    "Man setzte sie auf der Halbinsel Gallipoli an Land. Zu Hunderten auf einem winzigen Fleckchen zusammengepfercht, warteten sie auf Anweisungen. Tag um Tag verstrich; Ruhr, Darmentzündungen und Fieber brachen aus, über ihnen explodierten unaufhörlich Schrapnells, Verwundete und Tote wurden vorbei getragen, riesige Fliegenschwärme von Leichen umschwirrten die Lebenden, sodass an Essen und Schlaf kaum zu denken war (...) Man hatte sie kaltschnäuzig dem bis dato brutalsten und barbarischsten Chaos der Weltgeschichte ausgeliefert. Und die Geschichte, die über dieses Chaos erzählt wurde, war so verlogen wie die Geschichten, die zu seiner Entstehung beigetragen hatten."

    Ein todgeweihtes Füsilierregiment und eine vernachlässigte Wohlstandsgeneration: Dieser Vergleich ist verlockend, aber auch etwas grob geraten. Je deutlicher Paul Murray mit dieser Analogie umgeht, umso mehr wird Howard, der Geschichtslehrer, zum Sprachrohr des Autors. Offenbar sucht dieser den Anschluss an eine nationale Debatte, die in Irland mit zunehmendem Engagement geführt wird. Es geht um die verdrängte Erinnerung an die Gefallenen des Ersten Weltkriegs: Für sie gab es in Irland viele Jahrzehnte lang keinen Ort der Traue. Die Toten galten als mitschuldig, denn sie hatten vor dem Unabhängigkeitskrieg der Iren an der Seite der Engländer gekämpft.

    "Es ist ein gutes Beispiel dafür, wie die Geschichte funktioniert", sagt Howard. "Wir neigen dazu, sie als etwas Solides, Unveränderliches anzusehen, das quasi aus dem Nichts auftaucht ... Aber die Geschichte ist letztlich auch nur eine Geschichte, und Geschichten unterscheiden sich von der Wahrheit. Die Wahrheit ist wirr und chaotisch und ein heilloses Durcheinander. Oft ergibt sie schlicht keinen Sinn. In Geschichten ergeben die Dinge einen Sinn, aber nur weil darin alles weggelassen wird, was nicht passt. Und das ist oft eine ganze Menge."

    Geschichte versus Geschichten, oder auch: der polyphone Charakter der Wahrheit. In dieser Betrachtung des Geschichtslehrers Howard verbirgt sich eine kleine Poetik des Autors Paul Murray, nach der sich sein Roman entschlüsseln lässt. "Skippys Tod" ist ein polymorphes Geschehen, eine Ansammlung von Stimmen, Wahrnehmungen und in sich geschlossenen Geschichten. So hat der tragische Tod des 14-jährigen Daniel Juster nicht einen, sondern viele Gründe. Da ist ein Vater, der die kathartische Wirkung der Wahrheit zu spät schätzen lernt. Ein Freund, der in seiner eigenen Gedankenwelt verloren geht und ein Mädchen, das zu spät erkennt, dass Skippy etwas Besonderes war. Da ist ein Sportlehrer, der sich an ihm vergangen hat und ein Pater, der in Versuchung war, genau das zu tun. Da ist ein zweiter Pater, der im richtigen Moment nicht hingehört hat und ein Direktor, der das Schulethos über die Wahrheit stellt. Nicht eine Kausalkette von Ursache und Wirkung war hier am Werk, sondern gleich ein ganzes Kräftefeld, ein Feld, das die Wirklichkeit, so wie wir sie erleben, aufs Trefflichste imitiert.
    Die Kunst in der Nachahmung der Wirklichkeit, das ist die alte Schule der Mimesis und die etwas neuere des realistischen Erzählens. Paul Murray hat mit seinem Roman "Skippy stirbt" bewiesen, wie lebendig dieses Genre sein kann, und wie viel poetische Kraft ihm innewohnen kann. Das ist eine herausragende Leistung. Der Roman ist in Irland mit frenetischem Applaus aufgenommen worden und soll demnächst von Neil Jordan, dem Altmeister des irischen Gegenwartskinos verfilmt werden. Dem bleibt hinzuzufügen, dass man dem Roman "Skippy stirbt" auch hierzulande viele begeisterte Leser wünscht.

    Paul Murray: "Skippy stirbt". Roman, Aus dem Englischen von Rudolf Hermstein und Martina Tichy. Verlag Antje Kunstmann, 782 Seiten