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Cineastische Perlen jenseits des Mainstreams

Gewalt, Drogen, Tod - es waren schwer verdauliche Themen, die im Mittelpunkt des 12. "GoEast"-Festivals des mittel- und osteuropäischen Films standen. Doch trotz vieler grausamer Geschichten entlässt es einen nicht mit einem Gefühl der Ohnmacht. Vielmehr zeigt es, dass Kino auch etwas bewegen kann.

Von Kirsten Liese |
    Gewalt, Drogen, Resignation und Tod: Publikumserfolge sind aus solchen Themen nicht gemacht. Das Wiesbadener "GoEast" dagegen scheut vor schwer verdaulicher, anspruchsvoller Filmkunst zum Glück nicht zurück, gilt es doch für Festivalleiterin Gabi Babic cineastische Perlen jenseits des Mainstreams zu entdecken:

    "Das Konventionelle ist ja leicht auch zugänglich, da ist es doch viel spannender, dem Publikum Dinge zu bieten, die sie nicht an jeder Ecke sehen können. Und ich glaub aber, dass Osteuropa immer noch eine gewisse Exotik anhaftet und das auch Auswirkung hat auf die Präsenz im Verleih."

    Zumal es oftmals für einen Westeuropäer gar nicht so leicht ist, die mitunter rätselhaften Metaphern in osteuropäischen Filmen zu verstehen.
    In dem bemerkenswerten russischen Beitrag "Leben" etwa, der den Hauptpreis, die mit 10.000 Euro dotierte "Goldene Lilie" und den Fipresci-Kritikerpreis gewann, arbeitet Regisseur Wassilij Sigarew etwa mit ungewöhnlichen, originellen Sinnbildern des Aberglaubens:

    Der Film ist voll von unterschiedlichen Symbolen für einen nahenden Tod, nur deute ich das bewusst nur an. Es geht mir um die Apokalypse, und zwar keine globale, sondern um die Apokalypse eines jeden Einzelnen und darum, wie die Protagonisten jeweils damit fertig werden, wie sie diese Apokalypse durchleben.

    Viel Beachtung verdienen vor allem zwei Filmkunstwerke aus Zentralasien. In dem berührenden kasachischen Drama "Für Mutter der Himmel" ist die Not so groß, dass eine alleinerziehende Mutter sich und ihre minderjährigen Söhne mit käuflichem Sex über Wasser hält, bis sie – geächtet von den Schwiegereltern und von den Männern schonungslos ausgebeutet -, eine Verzweiflungstat begeht.

    Großes Stilgefühl und vor allem viel Mut mit seinem kritischen Blick auf das Schreckensregime Stalins beweist auch der Usbeke Zulfikar Musakov mit seinem Kammerspiel "Blei". Es ist - abgesehen von einigen singulären älteren Werken russischer Altmeister – ein erster vorsichtiger Versuch aus dem usbekischen Raum, die stalinistischen Verbrechen aufzuarbeiten. Prompt floppte er an den heimischen Kinokassen, wie der Regisseur berichtet, weil es an einem entsprechenden Bewusstsein noch fehlt:

    "Stalin ist noch ein Gott für die alte Generation, die ihn erlebt hat. Für sie steht sein Name für Ordnung. Die Jungen wiederum wissen gar nicht mehr, wer Stalin war oder verwechseln ihn mit Lenin."

    Indirekt spielt der Film auch auf die repressiven Verhältnisse im heutigen Usbekistan an, aber darüber schweigt Musakov besser. Er selbst könnte sonst unter großen Druck geraten.

    Aber auch in Deutschland ereignen sich bisweilen unfassbare Skandale, über die wohl niemand reden würde, wenn nicht Journalisten oder Filmemacher darüber berichteten. Philipp Scheffners Beitrag "Revision", der in Wiesbaden den Dokumentarfilmpreis gewann, ist so ein brisanter Film. Es geht um zwei Rumänen, die vor 20 Jahren an der deutsch-polnischen Grenze ums Leben kamen, weil Jäger sie angeblich mit Wildschweinen verwechselt haben wollten. Wie der Film aufzeigt, ist diese These höchst unwahrscheinlich, es wurde schlampig ermittelt, die Täter kamen frei:

    "Das sind Sachen, die den Ermittlern, auch der Staatsanwaltschaft durchaus bekannt sind, da ist nichts dabei, was wir investigativ aufgedeckt haben und ganz neu wäre, das finde ich eigentlich noch viel schlimmer."

    Scheffners Film aber ist das Beste Beispiel dafür, dass Kino dann und wann auch etwas bewegen kann. Aus einzelnen Statements verantwortlicher Interviewter lassen sich nun juristische Schritte ableiten, die den Familien der Toten zumindest eine finanzielle Entschädigung in Aussicht stellen. Und so entlässt einen dieses 12. Wiesbadener "GoEast"-Filmfestival zum Glück trotz vieler grausamer Geschichten nicht nur mit einem Gefühl der Ohnmacht.