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Citizen-Science-Netzwerk Safecast
Von der Hausfrau bis zum Strahlenexperten

Nach den Reaktorhavarien von Fukushima war das Misstrauen gegenüber den Messwerten staatlicher Stellen groß. Und viele Informationen kamen einfach zu spät. Damals gründete sich das Citizen-Scientists-Netzwerk Safecast, das sich inzwischen einen Namen machen konnte als Quelle für zuverlässige Daten radioaktiver Strahlung.

Von Dagmar Röhrlich |
    Die Ruine des Atomkraftswerks Fukushima fotografiert aus einem Helikopter.
    Die Geschichte von Safecast begann am Tag nach der Havarie von Fukushima Daiichi, weil die offiziellen Informationen unvollständig und missverständlich waren. (picture alliance / dpa )
    Azby Brown startet den kleinen Geigerzähler im durchsichtigen Plastikgehäuse. Der Direktor am Kanazawa Institute of Technology‘s Future Design ist einer der Gründer des inzwischen weltweit tätigen Citizen-Science-Netzwerks Safecast, ein Netzwerk, in dem jeder - nach einer Schulung - Radioaktivität messen kann.
    "Dieser Geigerzähler hat mehrere ungewöhnliche Eigenschaften."
    So sorgt beispielsweise ein eingebautes GPS dafür, dass die Messdaten problemlos in digitale Karten eintragen werden können. Die Geschichte von Safecast begann am Tag nach der Havarie von Fukushima Daiichi, weil die offiziellen Informationen unvollständig und missverständlich waren:
    "Dem konnte niemand trauen. Anfangs haben wir einfach Leute, die Geigerzähler besaßen, um unabhängige Strahlenmessungen gebeten. Wir merkten schnell, dass das für vernünftige Karten nicht ausreicht. Also haben wir ein Netzwerk gegründet und eine neue Klasse von leicht zu bedienenden Geräten entwickelt."
    Geigerzähler ständig weiterentwickelt
    Mitte April 2011 fuhren fünf Freiwillige mit den ersten Geräten durch die Stadt Koriyama in der Präfektur Fukushima. Seitdem werden die Geigerzähler ständig weiter entwickelt.
    "Wir denken, dass die Menschen ein Recht auf Umwelt-Informationen haben und darauf, an der Entscheidungsfindung teilzunehmen. Das erfordert ein gewisses Maß an Transparenz bei Regierung und staatlichen Institutionen. Gibt es die - wie im Fall von Japan - nicht, müssen wir selbst aktiv einen unabhängigen Datensatz erstellen."
    Rund 900 Citizen-Scientists - von der Hausfrau bis zum Strahlenexperten - sind bei safecast angemeldet. Die meisten in Japan, aber es gibt sie auch in vielen anderen Ländern. Inzwischen stehen mehr als 50 Millionen Messungen in der für jedermann zugänglichen Safecast-Datenbank
    "Rund 70 Prozent dieser Messungen stammen aus Japan, der Rest kommt von überall her, recht viele übrigens auch aus Europa."
    Wer mitmachen will, muss einen Bausatz kaufen und den Detektor, der Alpha-, Beta- und Gammastrahlung misst, selbst zusammenbauen. Der Grund: Es hat sich herausgestellt, dass geliehene oder geschenkte Geräte kaum genutzt werden. Das Messen selbst ist einfach. Das Gerät loggt sich ins GPS-Netz ein, misst eine Minute lang, schreibt die Daten auf eine SD-Karte, die später am Computer ausgelesen wird. Der Nutzer prüft seine Daten am Bildschirm und stimmt alles, schickt er sie an Safecast. Dort nimmt sich dann einer von acht freiwilligen Moderatoren ihrer annimmt.
    "Einer von uns überprüft die Daten auf typische Fehler oder ob sie ungewöhnlich hoch oder niedrig sind. Dann fragen wir noch einmal zurück, falls es einen Messfehler gegeben haben könnte. Aber das passiert sehr selten. Wir verändern die Werte nicht, sondern sie erscheinen so, wie sie sind, innerhalb weniger Stunden auf der Karte, die auf unserer Webseite ist."
    Messwerte entscheidend für die Risikoabschätzung
    In Japan geht es den Nutzern oft um mehr als um das Sammeln von Daten. Etliche Menschen, die knapp außerhalb der Evakuierungszonen lebten, hätten aufgrund ihrer Messdaten entschieden, ob sie bleiben oder gehen. Wer bleibt, kennt dann die kritischen Stellen, weiß, wie er sein Verhalten ändern sollte. Wer geht, entscheidet nicht aus dem Bauch heraus, sondern aufgrund von Messwerten:
    "Wir sagen nie, ob etwas sicher ist oder nicht. Wir geben den Leuten lediglich die Daten an die Hand, die sie brauchen, um selbst ihre Entscheidungen zu fällen."
    Wer Unterstützung bei der Risikoabschätzung brauche, der bekomme Informationen darüber, wo sich zuverlässige wissenschaftliche Studie finden lassen. Die Schlüsse, so betont Azby Brown, die muss jeder selbst ziehen.