Kundus, deutsches Feldlager, vor wenigen Tagen: Ein Kran hebt einen beige angestrichenen Container auf einen Tieflader. Im äußersten der diversen Sicherheitsringe rund um den Stützpunkt, dort wo sich hinter Maschendraht die Straße Richtung Stadt abzeichnet, haben sich einige deutsche Offiziere versammelt.
"Wir stehen hier gerade an dem Haupttor, wo heute die letzten Container Kundus verlassen werden und nach Mazar-e-Sharif verbracht werden."
Oberst Jochen Schneider ist der letzte Kommandeur des deutschen Feldlagers. Er soll den geordneten Rückzug der deutschen Truppen organisieren.
"Jetzt noch vor uns liegt die Herausforderung, das hier entsprechend abzuschließen, ein paar Dinge noch zu übergeben und dann unsere letztendliche Schlussoperation: zurück nach Mazar-e-Sharif."
Während die Deutschen in ihrer Festung oben auf dem Hügel ihre Sachen einpacken, packen im Stadtzentrum auf dem Markt die Händler ihre Sachen aus. Ein Tag wie jeder andere, scheint es. Obst und Gemüse erscheint in den Auslagen vor den Verschlägen, die als Läden dienen. Bauern ziehen ihre Rinder zu Verkaufsplätzen. Motor-Rikschas fahren Slalom durch die Menschenmenge.
Wird sich durch den Abzug der deutschen Truppen irgendetwas ändern? Zwei Männer, die an benachbarten Ständen Gemüse feilbieten, geben sich gleichgültig:
"Die Sicherheitslage ist so wie immer. Ob die Deutschen da sind oder nicht, macht keinen Unterschied. Zum Beispiel hier auf dem Markt ist alles in Ordnung. Aber in anderen Teilen von Kundus sieht das anders aus. Dazu möchte ich lieber nichts mehr sagen."
"In diesem Teil von Kundus ist es im Moment einigermaßen sicher, aber insgesamt ist die Lage nicht stabil."
Ein Polizist in grauer Uniform, auch die Kappe grau, das Kalaschnikow-Sturmgewehr geschultert, steht Wache auf dem Markt.
"Die Gefahr in Kundus ist noch nicht gebannt. Vor allem im Bezirk Daschti Artschi ist sie noch groß. Die Deutschen haben nicht das getan, was sie uns versprochen haben. Sie haben keine funktionsfähige Polizei aufgebaut."
"Wir stehen hier gerade an dem Haupttor, wo heute die letzten Container Kundus verlassen werden und nach Mazar-e-Sharif verbracht werden."
Oberst Jochen Schneider ist der letzte Kommandeur des deutschen Feldlagers. Er soll den geordneten Rückzug der deutschen Truppen organisieren.
"Jetzt noch vor uns liegt die Herausforderung, das hier entsprechend abzuschließen, ein paar Dinge noch zu übergeben und dann unsere letztendliche Schlussoperation: zurück nach Mazar-e-Sharif."
Während die Deutschen in ihrer Festung oben auf dem Hügel ihre Sachen einpacken, packen im Stadtzentrum auf dem Markt die Händler ihre Sachen aus. Ein Tag wie jeder andere, scheint es. Obst und Gemüse erscheint in den Auslagen vor den Verschlägen, die als Läden dienen. Bauern ziehen ihre Rinder zu Verkaufsplätzen. Motor-Rikschas fahren Slalom durch die Menschenmenge.
Wird sich durch den Abzug der deutschen Truppen irgendetwas ändern? Zwei Männer, die an benachbarten Ständen Gemüse feilbieten, geben sich gleichgültig:
"Die Sicherheitslage ist so wie immer. Ob die Deutschen da sind oder nicht, macht keinen Unterschied. Zum Beispiel hier auf dem Markt ist alles in Ordnung. Aber in anderen Teilen von Kundus sieht das anders aus. Dazu möchte ich lieber nichts mehr sagen."
"In diesem Teil von Kundus ist es im Moment einigermaßen sicher, aber insgesamt ist die Lage nicht stabil."
Ein Polizist in grauer Uniform, auch die Kappe grau, das Kalaschnikow-Sturmgewehr geschultert, steht Wache auf dem Markt.
"Die Gefahr in Kundus ist noch nicht gebannt. Vor allem im Bezirk Daschti Artschi ist sie noch groß. Die Deutschen haben nicht das getan, was sie uns versprochen haben. Sie haben keine funktionsfähige Polizei aufgebaut."
Bundeswehr sollte Polizei aufbauen
Doch genau so lautete ursprünglich der Auftrag an die Bundeswehr: Aufbau einer funktionsfähigen Polizei. Als Teil der ISAF, der Internationalen Afghanistan-Schutztruppe, erhielt sie 2001 ein entsprechendes Mandat der Vereinten Nationen. Die internationale Gemeinschaft engagiert sich in Afghanistan offiziell mit dem Ziel, dort eine Zivilgesellschaft aufzubauen und sie gegenüber den Feinden von Freiheit und Rechtstaatlichkeit militärisch zu schützen.
Deutschland erklärte sich bereit, beim Polizeiaufbau sogar als Federführer aufzutreten und seine weithin positiv unterstellte Kompetenz auf diesem Gebiet einzubringen. Doch hat die ISAF, hat das deutsche Kontingent, den Praxistest bestanden?
In einem Wohnhaus im Zentrum von Kundus haben sich drei Gemeindeälteste aus Daschti Artschi eingefunden, neben dem chronisch unruhigen Chardarah derzeit der Unruhedistrikt in Afghanistan. Die älteren Männer tragen Vollbärte und die typische Tracht afghanischer Männer: Ein langes Hemd über weit geschnittener Hose. Sie haben einen gefährlichen Weg zurückgelegt, um ihre Bilanz des Bundeswehreinsatzes vorzutragen.
Sie zweifeln dabei ganz offen, ob sie es mit heiler Haut wieder in ihre Dörfer zurückschaffen werden entlang der gefährlichen Straßen und durch die diversen Checkpoints.
"Vor der letzten großen Militäroperation haben wir, die Gemeinde-Ältesten, selbst mit den Taliban verhandelt. Wir haben sie aufgefordert, unseren Bezirk zu räumen, damit wir von den Kämpfen und Zerstörungen verschont bleiben. Die Taliban sind dann unserer Aufforderung nachgekommen und verschwunden. Aber dann rückten die Sicherheitskräfte ein, die ALP, die neue Afghanische Lokalpolizei. Die zwingen uns, ihnen dreimal pro Tag Essen zu geben. Egal, ob man das kann oder nicht. Unterwegs lauern sie uns auf und stehlen unsere Sachen. Wenn eine Familie nur eine Kuh hat, um sich selbst zu verpflegen, dann schlachten die Lokalpolizisten die Kuh. Hauptsache, sie kriegen das Fleisch."
Deutschland erklärte sich bereit, beim Polizeiaufbau sogar als Federführer aufzutreten und seine weithin positiv unterstellte Kompetenz auf diesem Gebiet einzubringen. Doch hat die ISAF, hat das deutsche Kontingent, den Praxistest bestanden?
In einem Wohnhaus im Zentrum von Kundus haben sich drei Gemeindeälteste aus Daschti Artschi eingefunden, neben dem chronisch unruhigen Chardarah derzeit der Unruhedistrikt in Afghanistan. Die älteren Männer tragen Vollbärte und die typische Tracht afghanischer Männer: Ein langes Hemd über weit geschnittener Hose. Sie haben einen gefährlichen Weg zurückgelegt, um ihre Bilanz des Bundeswehreinsatzes vorzutragen.
Sie zweifeln dabei ganz offen, ob sie es mit heiler Haut wieder in ihre Dörfer zurückschaffen werden entlang der gefährlichen Straßen und durch die diversen Checkpoints.
"Vor der letzten großen Militäroperation haben wir, die Gemeinde-Ältesten, selbst mit den Taliban verhandelt. Wir haben sie aufgefordert, unseren Bezirk zu räumen, damit wir von den Kämpfen und Zerstörungen verschont bleiben. Die Taliban sind dann unserer Aufforderung nachgekommen und verschwunden. Aber dann rückten die Sicherheitskräfte ein, die ALP, die neue Afghanische Lokalpolizei. Die zwingen uns, ihnen dreimal pro Tag Essen zu geben. Egal, ob man das kann oder nicht. Unterwegs lauern sie uns auf und stehlen unsere Sachen. Wenn eine Familie nur eine Kuh hat, um sich selbst zu verpflegen, dann schlachten die Lokalpolizisten die Kuh. Hauptsache, sie kriegen das Fleisch."
Erstarkte Taliban, rücksichtslose Lokalpolizei
Für die Menschen in Kundus lautet inzwischen die mit solchen Beispielen verbundene, bittere Realität: Nach zwölf Jahren internationalen Engagements sind die Taliban wieder erstarkt. Und statt, wie versprochen, reguläre Sicherheitskräfte gemäß rechtsstaatlichen Grundsätzen auszubilden, hat die reguläre Macht lediglich Krieger rekrutiert. Und die beschützen die Bevölkerung nicht, sondern wenden sich sogar gegen sie. So jedenfalls schildert es der zweite Gemeindeälteste aus Daschti Artschi:
"Einer unserer Einwohner war gerade dabei, in seinem Haus eine Mauer auszubessern. Als die Lokalpolizei bei ihm klopfte, dauerte es etwas länger, bis er öffnete. Sie fragten ihn: Warum machst du nicht gleich auf? Du versteckst Taliban. Und dann erschossen sie ihn auf der Stelle. Wenn es Gefechte mit den Taliban gibt und unsere jungen Leute auch nur vor die Tür gehen, dann werden sie von den Lokalpolizisten gekidnappt. Ich habe mit eigenen Augen gesehen, wie das passierte. Die Jugendlichen werden erst wieder freigelassen, wenn wir für sie Lösegeld bezahlen: 20.000 Afghanis, 30.000 Afghanis, also etwa 300 bis 400 Euro."
Mehr als zehn Jahre lang haben Politiker der deutschen Öffentlichkeit erklärt, Deutschland lege bei seiner Mission, in Afghanistan Sicherheitskräfte aufzubauen, besonderen Wert auf Rechtsstaatlichkeit, künftige Polizisten sollten sich wie Beamte verhalten, die dem Bürger gegenüber korrekt auftreten. Im ISAF-Hauptquartier jedenfalls löst das Kürzel "ALP", "Afghanische Lokal-Polizei", durchaus freundliches Nicken aus. Generalmajor Franz Reinhard Golks, stellvertretender Oberkommandierender der Afghanistan-Schutztruppe ISAF:
"Die Taliban haben immer argumentiert: Wir schützen die Bevölkerung und stellen einen Rechtsrahmen her. Dasselbe, im Grundgedanken, macht ALP: Wir stellen einen Rechtsrahmen her. Das Ministerium des Inneren trägt die Verantwortung für Afghan Local Police. Sie sind Teil der Afghan National Police. Die Ausbildung wird über ‚NATO-Training Mission Afghanistan‘ in der Regel durch amerikanische Kräfte angeleitet, aber inzwischen auch durch afghanisches Personal selbst durchgeführt."
"Einer unserer Einwohner war gerade dabei, in seinem Haus eine Mauer auszubessern. Als die Lokalpolizei bei ihm klopfte, dauerte es etwas länger, bis er öffnete. Sie fragten ihn: Warum machst du nicht gleich auf? Du versteckst Taliban. Und dann erschossen sie ihn auf der Stelle. Wenn es Gefechte mit den Taliban gibt und unsere jungen Leute auch nur vor die Tür gehen, dann werden sie von den Lokalpolizisten gekidnappt. Ich habe mit eigenen Augen gesehen, wie das passierte. Die Jugendlichen werden erst wieder freigelassen, wenn wir für sie Lösegeld bezahlen: 20.000 Afghanis, 30.000 Afghanis, also etwa 300 bis 400 Euro."
Mehr als zehn Jahre lang haben Politiker der deutschen Öffentlichkeit erklärt, Deutschland lege bei seiner Mission, in Afghanistan Sicherheitskräfte aufzubauen, besonderen Wert auf Rechtsstaatlichkeit, künftige Polizisten sollten sich wie Beamte verhalten, die dem Bürger gegenüber korrekt auftreten. Im ISAF-Hauptquartier jedenfalls löst das Kürzel "ALP", "Afghanische Lokal-Polizei", durchaus freundliches Nicken aus. Generalmajor Franz Reinhard Golks, stellvertretender Oberkommandierender der Afghanistan-Schutztruppe ISAF:
"Die Taliban haben immer argumentiert: Wir schützen die Bevölkerung und stellen einen Rechtsrahmen her. Dasselbe, im Grundgedanken, macht ALP: Wir stellen einen Rechtsrahmen her. Das Ministerium des Inneren trägt die Verantwortung für Afghan Local Police. Sie sind Teil der Afghan National Police. Die Ausbildung wird über ‚NATO-Training Mission Afghanistan‘ in der Regel durch amerikanische Kräfte angeleitet, aber inzwischen auch durch afghanisches Personal selbst durchgeführt."
Der "freie Sheriff" fordert seinen Tribut
Kalai Sal, ein anderer Bezirk in der Provinz Kundus. Gut zwei Dutzend Hilfspolizisten von der ALP, die Gewehre und Raketenwerfer geschultert, knattern auf Motorrädern die ungepflasterten Straßen entlang, vorbei an kleinen Läden und Bewässerungskanälen. Sie tragen Turbane, oder randlose Kappen aus Wolle, Pluderhosen, Anoraks, vereinzelt Jacken in militärischem Tarnfleck.
Am Kalai Sal Fluss bewachen ihre Kameraden einen Checkpoint. Auch sie: Kämpfer ohne Uniform, denen außer Motorrädern allerdings auch noch ein grünes Polizeiauto zur Verfügung steht. Chef der Lokalpolizei von Kalai Sal ist der Kommandeur Nabi Gutschi.
"Ich habe schon gegen die Russen gekämpft. Während des Bürgerkrieges in den 1990er-Jahren war ich bei der islamistischen Hizb-Islami. Dann habe ich die Seiten gewechselt und bin zum usbekischen General Dostum übergelaufen."
In Nabi Gutschis Hauptquartier hängen weder afghanische Flaggen noch das in Amtsstuben obligate Porträt von Präsident Hamid Karzai. Dafür aber ziemlich viele Porträts von Führern der sogenannten Nordallianz – immer wieder taucht das Bild des Warlords Mir Allam auf, eines Milizenführers aus der Zeit des Bürgerkriegs und immer noch die graue Eminenz der Gegend. Loyalitätskonflikte scheinen Nabi Gutschi fremd zu sein. Er lächelt verschmitzt:
"Ich unterhalte ausgesprochen gute Beziehungen zu Mir Allam."
Meint er knapp. Zu Ordnungskräften ausgebildet wurden Kommandeur Nabi Gutschi und seine Männer nie. Genauso wenig kann er einen entsprechenden Auftrag vom Innenministerium oder gar einen Vertrag mit der Regierung vorweisen. Den habe es mal gegeben, sagt er, der sei aber schon vor mehr als einem Jahr ausgelaufen. Inzwischen mangele es an Geld und Waffen.
"Die Deutschen und die Amerikaner haben uns anderthalb Jahre lang 150 Dollar pro Mann bezahlt. Aber diese Unterstützung hat im April 2013 aufgehört. Inzwischen unterstützen uns die Menschen aus dem Bezirk, aus den Dörfern. Sie geben uns das Geld für Waffen und Munition sowie für unsere Motorräder. Das reicht zwar bei Weitem nicht aus – aber was sollen wir machen? Ich habe den Kommandanten des deutschen Provinz-Wiederaufbau-Teams in Kundus mehrfach gebeten, unsere Finanzierung sicherzustellen, aber von dem kam nie eine Antwort."
Und so macht Milizenführer Nabi Gutschi ohne derlei Unterstützung weiter, sozusagen als "freier Sheriff" und mit einem unausgesprochenen Freibrief selbst für den Lebensunterhalt zu sorgen, sprich: Tribut bei der Bevölkerung einzutreiben. Bundeswehr-General Golks, stellvertretender Oberkommandeur der ISAF:
"Darüber habe ich keine Erkenntnisse. Ich gehe davon aus, dass die Afghan Local Police, über die wir gerade geredet haben, Teil des Ministeriums des Inneren ist und von der auch qualifiziert beziehungsweise finanziert wird."
Am Kalai Sal Fluss bewachen ihre Kameraden einen Checkpoint. Auch sie: Kämpfer ohne Uniform, denen außer Motorrädern allerdings auch noch ein grünes Polizeiauto zur Verfügung steht. Chef der Lokalpolizei von Kalai Sal ist der Kommandeur Nabi Gutschi.
"Ich habe schon gegen die Russen gekämpft. Während des Bürgerkrieges in den 1990er-Jahren war ich bei der islamistischen Hizb-Islami. Dann habe ich die Seiten gewechselt und bin zum usbekischen General Dostum übergelaufen."
In Nabi Gutschis Hauptquartier hängen weder afghanische Flaggen noch das in Amtsstuben obligate Porträt von Präsident Hamid Karzai. Dafür aber ziemlich viele Porträts von Führern der sogenannten Nordallianz – immer wieder taucht das Bild des Warlords Mir Allam auf, eines Milizenführers aus der Zeit des Bürgerkriegs und immer noch die graue Eminenz der Gegend. Loyalitätskonflikte scheinen Nabi Gutschi fremd zu sein. Er lächelt verschmitzt:
"Ich unterhalte ausgesprochen gute Beziehungen zu Mir Allam."
Meint er knapp. Zu Ordnungskräften ausgebildet wurden Kommandeur Nabi Gutschi und seine Männer nie. Genauso wenig kann er einen entsprechenden Auftrag vom Innenministerium oder gar einen Vertrag mit der Regierung vorweisen. Den habe es mal gegeben, sagt er, der sei aber schon vor mehr als einem Jahr ausgelaufen. Inzwischen mangele es an Geld und Waffen.
"Die Deutschen und die Amerikaner haben uns anderthalb Jahre lang 150 Dollar pro Mann bezahlt. Aber diese Unterstützung hat im April 2013 aufgehört. Inzwischen unterstützen uns die Menschen aus dem Bezirk, aus den Dörfern. Sie geben uns das Geld für Waffen und Munition sowie für unsere Motorräder. Das reicht zwar bei Weitem nicht aus – aber was sollen wir machen? Ich habe den Kommandanten des deutschen Provinz-Wiederaufbau-Teams in Kundus mehrfach gebeten, unsere Finanzierung sicherzustellen, aber von dem kam nie eine Antwort."
Und so macht Milizenführer Nabi Gutschi ohne derlei Unterstützung weiter, sozusagen als "freier Sheriff" und mit einem unausgesprochenen Freibrief selbst für den Lebensunterhalt zu sorgen, sprich: Tribut bei der Bevölkerung einzutreiben. Bundeswehr-General Golks, stellvertretender Oberkommandeur der ISAF:
"Darüber habe ich keine Erkenntnisse. Ich gehe davon aus, dass die Afghan Local Police, über die wir gerade geredet haben, Teil des Ministeriums des Inneren ist und von der auch qualifiziert beziehungsweise finanziert wird."
Kritik am Einsatz der Afghanischen Lokalpolizei ALP
Abmachungen, Verträge, und Unterschriften von Vertragspartnern, die sich penibel an die vorgesehenen Bestimmungen halten. Die Denkweise im ISAF-Hauptquartier orientiert sich offenbar strikt an den üblichen Verhältnissen in Mitteleuropa.
Vertreter der afghanischen Zivilgesellschaft jedenfalls halten diesen Hilfspolizei-Einsatz, jene neueste Wendung in der ISAF-Strategie, für eine Katastrophe. Das zugrunde liegende Motiv dafür liege auf der Hand: Rasch abziehen können, dabei die Verluste unter den ISAF-Militärs reduzieren und in den nationalen Verteidigungshaushalten der ISAF-Staaten die Kosten senken.
Mir Ahmad Joyenda arbeitet für die "Afghanistan Research Unit", einem von den Vereinten Nationen beauftragten Institut, das den Nutzen der internationalen Aufbauprojekte untersuchen soll. Auch seine Bilanz ernüchtert:
"Offen gesagt: Diese ALP macht mir Angst. Sie wird sich zwangsläufig zur Ursache zukünftiger Konflikte in Afghanistan entwickeln. Und zwar wegen ihrer Verwicklung in Drogengeschäfte, in alle möglichen Verbrechen. In der Stadt Baghlan im Norden wurden zwei Kommandeure der Lokalpolizei aufgrund ihres Fehlverhaltens abgelöst. Jetzt sind sie wieder auf ihren Posten. Denn die Afghanische Lokalpolizei ist von den jeweiligen einflussreichen Drahtziehern der betreffenden Region aufgebaut worden. Meiner Ansicht nach funktioniert das so: Einige dieser Warlords schüren zunächst die Unsicherheit in einer bestimmten Gegend. In einem zweiten Schritt wenden sie sich an die Regierung und bieten an: Gebt mir 200 Leute, ich mach' euch hier die Lokalpolizei."
Verwicklung in Kriminalität; schwere Menschenrechtsverletzungen, willkürliche Tötungen – für das ISAF-Oberkommando kein Grund, das Programm zu beenden?
"Ich habe so etwas schon gehört. Ich denke aber nicht, dass es ein generelles Problem ist. Insgesamt ist das Lagebild, das wir durch begleitende Studien ermitteln, ausgesprochen positiv."
Doch die Studien unabhängiger Träger kommen zu einem anderen Ergebnis. Bereits 2011 veröffentlichte die US-Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch einen umfangreichen Report über die Afghanische Lokalpolizei ALP unter dem Titel: "Just don’t call it a militia" – "Sag einfach nicht Miliz dazu". Darin wurden zahlreiche Fälle von willkürlichen Morden, Schutzgelderpressung und sexuellen Übergriffen durch die neue Afghanische Lokalpolizei aufgelistet.
Besonders schlimme Übergriffe ereigneten sich in der Provinz Kundus, also unter der direkten Aufsicht des deutsch geführten Regionalkommandos Nord. Schon damals klagten die Bewohner dieser Provinz:
"Die mächtigsten unter diesen Milizenführern kommen manchmal zu einer Familie, wählen sich ein Mädchen aus und erzählen der Familie, dass sie heiraten wollen. Die Familie hat dann nur zwei Möglichkeiten: entweder das Mädchen herzugeben oder das Land zu verlassen. Ebenfalls..."
... so Human Rights Watch weiter …
"...waren Milizen-Kommandeure verantwortlich für den sexuellen Missbrauch von Jungen, dazu gehörte auch, dass Kommandeure Jungen rekrutierten, um sie in Wirklichkeit zum Sex zu gebrauchen."
Kurz nach dem Erscheinen des Reports warnte der damals höchste UN-Repräsentant in Afghanistan, Staffan de Mistura, davor, die Hilfspolizei aufzustellen und legte zugleich der ISAF dringend nahe, das Programm mit der Afghanischen Lokalpolizei nicht mehr weiter zu verfolgen:
"Wenn Sie das Programm von einem rein militärischen Standpunkt aus betrachten, mag es positiv aussehen. Bezogen auf den menschenrechtlichen Aspekt ist es besorgniserregend. Die Bevölkerung ist zweifellos nicht glücklich damit. Viele befürchten, dass solch eine milizähnliche Struktur die Macht vom Zentralstaat weg hin zu sich ziehen könnte. Außerdem geht die Bevölkerung davon aus, dass dieses Programm der Bestechung und Korruption Tür und Tor öffnet."
Vertreter der afghanischen Zivilgesellschaft jedenfalls halten diesen Hilfspolizei-Einsatz, jene neueste Wendung in der ISAF-Strategie, für eine Katastrophe. Das zugrunde liegende Motiv dafür liege auf der Hand: Rasch abziehen können, dabei die Verluste unter den ISAF-Militärs reduzieren und in den nationalen Verteidigungshaushalten der ISAF-Staaten die Kosten senken.
Mir Ahmad Joyenda arbeitet für die "Afghanistan Research Unit", einem von den Vereinten Nationen beauftragten Institut, das den Nutzen der internationalen Aufbauprojekte untersuchen soll. Auch seine Bilanz ernüchtert:
"Offen gesagt: Diese ALP macht mir Angst. Sie wird sich zwangsläufig zur Ursache zukünftiger Konflikte in Afghanistan entwickeln. Und zwar wegen ihrer Verwicklung in Drogengeschäfte, in alle möglichen Verbrechen. In der Stadt Baghlan im Norden wurden zwei Kommandeure der Lokalpolizei aufgrund ihres Fehlverhaltens abgelöst. Jetzt sind sie wieder auf ihren Posten. Denn die Afghanische Lokalpolizei ist von den jeweiligen einflussreichen Drahtziehern der betreffenden Region aufgebaut worden. Meiner Ansicht nach funktioniert das so: Einige dieser Warlords schüren zunächst die Unsicherheit in einer bestimmten Gegend. In einem zweiten Schritt wenden sie sich an die Regierung und bieten an: Gebt mir 200 Leute, ich mach' euch hier die Lokalpolizei."
Verwicklung in Kriminalität; schwere Menschenrechtsverletzungen, willkürliche Tötungen – für das ISAF-Oberkommando kein Grund, das Programm zu beenden?
"Ich habe so etwas schon gehört. Ich denke aber nicht, dass es ein generelles Problem ist. Insgesamt ist das Lagebild, das wir durch begleitende Studien ermitteln, ausgesprochen positiv."
Doch die Studien unabhängiger Träger kommen zu einem anderen Ergebnis. Bereits 2011 veröffentlichte die US-Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch einen umfangreichen Report über die Afghanische Lokalpolizei ALP unter dem Titel: "Just don’t call it a militia" – "Sag einfach nicht Miliz dazu". Darin wurden zahlreiche Fälle von willkürlichen Morden, Schutzgelderpressung und sexuellen Übergriffen durch die neue Afghanische Lokalpolizei aufgelistet.
Besonders schlimme Übergriffe ereigneten sich in der Provinz Kundus, also unter der direkten Aufsicht des deutsch geführten Regionalkommandos Nord. Schon damals klagten die Bewohner dieser Provinz:
"Die mächtigsten unter diesen Milizenführern kommen manchmal zu einer Familie, wählen sich ein Mädchen aus und erzählen der Familie, dass sie heiraten wollen. Die Familie hat dann nur zwei Möglichkeiten: entweder das Mädchen herzugeben oder das Land zu verlassen. Ebenfalls..."
... so Human Rights Watch weiter …
"...waren Milizen-Kommandeure verantwortlich für den sexuellen Missbrauch von Jungen, dazu gehörte auch, dass Kommandeure Jungen rekrutierten, um sie in Wirklichkeit zum Sex zu gebrauchen."
Kurz nach dem Erscheinen des Reports warnte der damals höchste UN-Repräsentant in Afghanistan, Staffan de Mistura, davor, die Hilfspolizei aufzustellen und legte zugleich der ISAF dringend nahe, das Programm mit der Afghanischen Lokalpolizei nicht mehr weiter zu verfolgen:
"Wenn Sie das Programm von einem rein militärischen Standpunkt aus betrachten, mag es positiv aussehen. Bezogen auf den menschenrechtlichen Aspekt ist es besorgniserregend. Die Bevölkerung ist zweifellos nicht glücklich damit. Viele befürchten, dass solch eine milizähnliche Struktur die Macht vom Zentralstaat weg hin zu sich ziehen könnte. Außerdem geht die Bevölkerung davon aus, dass dieses Programm der Bestechung und Korruption Tür und Tor öffnet."
ISAF will Lokalpolizei sogar noch ausbauen
Entgegen allen Erkenntnissen, Expertisen und Ratschlägen seitens afghanischer wie ausländischer Menschenrechtler und UN-Fachleute an die ISAF, das offenkundig fehlgeschlagene Experiment mit der Lokalpolizei zu beenden, halten die internationalen Militärs an dem Konzept fest. Mehr noch: Sie wollen die umstrittene Afghanische Lokalpolizei ALP sogar noch ausbauen:
"Heute haben wir eine Stärke von rund 25.000, wir wollen bis zum Ende des nächsten Jahres ungefähr 30.000 erreicht haben – dann denke ich schon, dass das einen festen Platz im Gesamtsystem der afghanischen Sicherheit haben wird."
Afghanische Politiker interessiert das Problem augenscheinlich nicht. Kein Wunder: Sie sind zu einem großen Teil identisch mit jenen regionalen Drahtziehern und Clan-Häuptlingen, denen die jeweiligen Kommandeure der Lokalpolizei ihrerseits Gefolgschaft schulden.
Diese ehemaligen Warlords stehen heute schon wieder bereit, um als Kandidaten für das Präsidenten- oder Vizepräsidentenamt in Afghanistan anzutreten.
"Heute haben wir eine Stärke von rund 25.000, wir wollen bis zum Ende des nächsten Jahres ungefähr 30.000 erreicht haben – dann denke ich schon, dass das einen festen Platz im Gesamtsystem der afghanischen Sicherheit haben wird."
Afghanische Politiker interessiert das Problem augenscheinlich nicht. Kein Wunder: Sie sind zu einem großen Teil identisch mit jenen regionalen Drahtziehern und Clan-Häuptlingen, denen die jeweiligen Kommandeure der Lokalpolizei ihrerseits Gefolgschaft schulden.
Diese ehemaligen Warlords stehen heute schon wieder bereit, um als Kandidaten für das Präsidenten- oder Vizepräsidentenamt in Afghanistan anzutreten.
Setzen sich die deutschen Militärs über Anweisungen hinweg?
Das Verteidigungsministerium in Berlin scheint sich des ALP-Problems durchaus bewusst zu sein. Auf Anfrage dementierte die Bundesregierung gegenüber dem Parlament schriftlich jegliche Zusammenarbeit zwischen der ALP und der Bundeswehr:
"Die Bundesregierung beteiligt sich weder an Aufstellung, Ausrüstung, noch an Ausbildung der ALP."
Und Verteidigungsminister Thomas de Maizière erklärte den Bundestagsabgeordneten noch vor wenigen Wochen, im Sommer, er habe eine Weisung an die Truppe in Afghanistan erteilt, wonach
"... keine Einbindung der Milizen in die eigene Operationsführung vorzunehmen ist."
Bei Oberst Jochen Schneider, dem letzten Kommandeur des deutschen Feldlagers in Kundus, klingt das indes ganz anders. Demnach gibt es nicht nur gemeinsame Operationen; auch im Rahmen der zivilmilitärischen Zusammenarbeit, kurz CIMIC, sei die Afghanische Lokalpolizei ausgerüstet worden:
"Wir haben engen Kontakt gehalten im Bereich CIMIC. Wir haben sie auch ausgestattet, wir haben ihre Stellungen verbessert. Und auch gerade jetzt im Hinblick auf unsere Konvois ist diese Verbindung sogar sehr wichtig. Die ALP haben die größten Verluste in der Vergangenheit hinnehmen müssen und die leisten auf der Fläche einen sehr wichtigen Beitrag."
Wie verträgt sich das mit der anders lautenden Auskunft des Bundesverteidigungsministeriums? Setzen sich die Militärs vor Ort offen über die Anweisungen ihres Dienstherren hinweg, weil es ihnen nicht vorrangig um den Schutz der örtlichen Zivilbevölkerung geht, sondern darum, sich selbst zu schützen – mithilfe von lokalen Verbänden, die rasch zu rekrutieren sind, nicht viel kosten und sich dort einsetzen lassen, wo man selbst nicht hin möchte?
Trifft diese Vermutung zu, dann hätten Bundeswehroffiziere wohl zum ersten Mal in der deutschen Nachkriegsgeschichte den Willen ihrer politischen Führung konterkariert und ihrerseits der Politik ihren eigenen Kurs aufgezwungen - mithin ein Präzedenzfall, nicht zuletzt für das deutsche Parlament, den Bundestag.
Für die direkt betroffenen Afghanen jedenfalls ist die Grenze dessen, was sie zu tolerieren bereit sind, längst überschritten:
"Was diese Milizionäre mit uns machen, das haben nicht mal die Taliban gemacht. Wenn alles so weitergeht wie jetzt, dann haben wir keine Wahl. Dann werden wir gegen diese Lokalpolizei zu den Waffen greifen."
"Die Bundesregierung beteiligt sich weder an Aufstellung, Ausrüstung, noch an Ausbildung der ALP."
Und Verteidigungsminister Thomas de Maizière erklärte den Bundestagsabgeordneten noch vor wenigen Wochen, im Sommer, er habe eine Weisung an die Truppe in Afghanistan erteilt, wonach
"... keine Einbindung der Milizen in die eigene Operationsführung vorzunehmen ist."
Bei Oberst Jochen Schneider, dem letzten Kommandeur des deutschen Feldlagers in Kundus, klingt das indes ganz anders. Demnach gibt es nicht nur gemeinsame Operationen; auch im Rahmen der zivilmilitärischen Zusammenarbeit, kurz CIMIC, sei die Afghanische Lokalpolizei ausgerüstet worden:
"Wir haben engen Kontakt gehalten im Bereich CIMIC. Wir haben sie auch ausgestattet, wir haben ihre Stellungen verbessert. Und auch gerade jetzt im Hinblick auf unsere Konvois ist diese Verbindung sogar sehr wichtig. Die ALP haben die größten Verluste in der Vergangenheit hinnehmen müssen und die leisten auf der Fläche einen sehr wichtigen Beitrag."
Wie verträgt sich das mit der anders lautenden Auskunft des Bundesverteidigungsministeriums? Setzen sich die Militärs vor Ort offen über die Anweisungen ihres Dienstherren hinweg, weil es ihnen nicht vorrangig um den Schutz der örtlichen Zivilbevölkerung geht, sondern darum, sich selbst zu schützen – mithilfe von lokalen Verbänden, die rasch zu rekrutieren sind, nicht viel kosten und sich dort einsetzen lassen, wo man selbst nicht hin möchte?
Trifft diese Vermutung zu, dann hätten Bundeswehroffiziere wohl zum ersten Mal in der deutschen Nachkriegsgeschichte den Willen ihrer politischen Führung konterkariert und ihrerseits der Politik ihren eigenen Kurs aufgezwungen - mithin ein Präzedenzfall, nicht zuletzt für das deutsche Parlament, den Bundestag.
Für die direkt betroffenen Afghanen jedenfalls ist die Grenze dessen, was sie zu tolerieren bereit sind, längst überschritten:
"Was diese Milizionäre mit uns machen, das haben nicht mal die Taliban gemacht. Wenn alles so weitergeht wie jetzt, dann haben wir keine Wahl. Dann werden wir gegen diese Lokalpolizei zu den Waffen greifen."