Politiker wie Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Reul (CDU) sehen die gesellschaftliche Ordnung durch „Clankriminelle“ bedroht. Dabei geht es um Massenschlägereien zwischen Männergruppen, aber auch den Juwelendiebstahl aus dem Dresdner Grünen Gewölbe oder den Raub der 100-Kilo-Goldmünze aus dem Berliner Bode-Museum.
Neben Nordrhein-Westfalen haben vor allem Berlin und Niedersachsen einen Schwerpunkt auf die Bekämpfung der Clankriminalität gelegt. So soll auch das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung wachsen. Kritiker warnen allerdings vor rassistischen Stereotypen. Sie fordern nicht nur die Abschaffung des Begriffes, sondern halten auch das Vorgehen der Polizei für problematisch.
Was ist ein Clan und wie wird Clankriminalität definiert?
Bei der Berichterstattung über Clankriminalität geht es meist um mehrere Großfamilien arabischer, türkischer oder kurdischer Herkunft. Wie der sogenannte Remmo-Clan stammen sie ursprünglich aus der Provinz Mardin im Südosten der Türkei. Über den Libanon kamen sie Ende der 1970er-Jahre als staatenlose Flüchtlinge in die Bundesrepublik.
Der Politikwissenschaftler Mahmoud Jaraba geht davon aus, dass 35.000 bis 50.000 Personen zu diesen Familien in Deutschland gehören. Sie kennen sich teils untereinander nicht. Auch seien die meisten nicht kriminell.
In der offiziellen Definition des Bundeskriminalamts (BKA) tauchen familiäre Bezüge nicht auf. Das BKA definiert einen Clan als eine „informelle soziale Organisation, die durch ein gemeinsames Abstammungsverständnis ihrer Angehörigen bestimmt“ sei. Zudem hebt das BKA eine „hierarchische Struktur, ein ausgeprägtes Zugehörigkeitsgefühl und ein gemeinsames Normen- und Werteverständnis“ hervor.
Clankriminalität ist demnach das straffällige Verhalten von Clanangehörigen. „Die Clanzugehörigkeit stellt dabei eine verbindende, die Tatbegehung fördernde oder die Aufklärung der Tat hindernde Komponente dar", so das BKA. "Wobei die eigenen Normen und Werte über die in Deutschland geltende Rechtsordnung gestellt werden können.“ Bund und Länder haben sich 2022 weitgehend auf diese Definition verständigt.
Offiziell benennt nur Niedersachsen, dass mit „Clans“ vor allem verwandtschaftliche Beziehungen gemeint sind. In ihren Lagebildern schreiben die Landespolizeien in Berlin, Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen aber explizit: Clankriminalität sei weiterhin ein Problem türkischer, kurdischer und arabischer Communitys.
Was fällt unter Clankriminalität?
Spektakuläre Fälle wie der Raub der Goldmünze aus dem Berliner Bode-Museum oder der Juwelendiebstahl aus dem Grünen Gewölbe in Dresden wurden der Clankriminalität zugerechnet. Mehrere Angehörige der arabischstämmigen Großfamilie Remmo wurden dafür verurteilt.
Das Spektrum von Straftaten ist breit – allerdings nur selten so aufsehenerregend: Es reicht von Bagatelldelikten bis zu Organisierter Kriminalität.
Clankriminalität macht auch nur einen Bruchteil der Kriminalstatistik aus. In Berlin zum Beispiel wurden 2023 dieser Kategorie 1063 Straftaten zugeordnet, rund 0,2 Prozent aller registrierten 536.697 Straftaten.
Wie erfasst die Polizei sogenannte Clans und Clankriminalität?
Das Landeskriminalamt Berlin betont, dass die Zugehörigkeit zu einem Clan nicht mit Kriminalität gleichzusetzen sei. Gezielte Maßnahmen der Polizei richteten sich ausschließlich auf das „kriminelle Verhalten einzelner Personen bzw. Strukturen, die dem Phänomen zugerechnet werden können“.
Rund 500 Personen führt die Berliner Polizei mit einem „ermittlungsunterstützenden Hinweis Clankriminalität“. Mehr als 100 Menschen zählen zum Umfeld. Sie werden mit einem “Clan-Merker” markiert.
In Nordrhein-Westfalen führt das Innenministerium eine Liste mit Nachnamen, die der Clankriminalität zugerechnet werden. 118 türkische und arabische Namen stehen aktuell darauf.
Jede Körperverletzung und jeder Strafzettel einer Person mit einem entsprechenden Nachnamen landen in der Statistik. So kommt die nordrhein-westfälische Polizei für 2023 auf 7000 Straftaten durch sogenannte Clans. Das ist eine Zunahme von knapp sieben Prozent gegenüber dem Vorjahr.
Welche Kritik gibt es am Begriff und am Vorgehen der Polizei?
In Niedersachsen vergeben örtliche Polizeibeamte „Clan-Merker“. Das kann laut der Soziologin Astrid Jacobsen von der dortigen Polizeiakademie zu willkürlichen Zuordnungen führen. Auch wenn die Merker von spezialisierten Beamten überprüft werden.
In einer Studie hat Jacobsen bestimmte Polizeipraktiken wie den Streifendienst untersucht. Aus ihrer Sicht müsste das Konzept der Clankriminalität wegen „systematischer Diskriminierung“ abgeschafft werden.
Die Polizeikategorie Clankriminalität lasse sich ohne Rassismus nicht definieren, schreibt die Kriminologin Laila Abdul-Rahman im Sammelband „Generalverdacht“. Ihr Fazit der Studienlage: „Die dem Konstrukt zugrunde liegenden Annahmen sind entweder widerlegt oder nur unzureichend nachgewiesen.“
Abdul-Rahman zufolge wird das Phänomen aufgeblasen. Denn in die Lagebilder der Polizeibehörden zur Clankriminalität fließe alles von Organisierter Kriminalität bis zu Parkverstößen. Dabei reichten die bereits vorhandenen Polizeikategorien aus, um Straftaten zu bekämpfen.
Stigmatisierende Erfahrungen und Großrazzien
Auch der Strafrechtler Kilian Wegner kritisiert den Begriff Clan grundlegend: „Da schwingt immer die Idee mit, Clans seien irgendwelche archaischen Gebilde aus dem Nahen Osten, die gefährlicher seien als normale Organisierte Kriminalität.“ Dafür gebe es keine wissenschaftlichen Belege.
Der Politologe Mahmoud Jaraba betont, dass die Zugehörigkeit zu einem vermeintlichen Clan – etwa durch einen gemeinsamen Nachnamen – nichts über tatsächliche Kontakte aussage. Falsche Zuordnungen könnten schwere Konsequenzen haben. Jaraba nennt Probleme bei der Wohnungs- oder Ausbildungsplatzsuche.
Wer solche stigmatisierenden Erfahrungen mache, fühle sich nicht als Teil der deutschen Gesellschaft und verliere das Vertrauen in Behörden. Statt auf Prävention setzten diese fast ausschließlich auf Repression.
Als problematisch gelten dabei vor allem öffentlichkeitswirksame „Großrazzien“, polizeiliche Großeinsätze. Besitzer von Shisha-Bars oder Cafés in Berlin-Neukölln beispielsweise fürchten um ihr Geschäft und ihren Ruf.
Statt des auf Herkunft bezogenen Begriffs Clankriminalität fordern Kritiker andere Bezeichnungen wie Banden- oder Netzwerkkriminalität. Sollte Verwandtschaft bei einer Tat eine Rolle spielen, könne man von „familienbasierter Kriminalität“ sprechen.
Was sagen Befürworter der Kategorie Clankriminalität?
Das niedersächsische Innenministerium weist den von der Polizeiforscherin Astrid Jacobsen erhobenen Vorwurf der strukturellen Diskriminierung zurück. Ein Sprecher betont, dass Clankriminalität das Sicherheitsgefühl beeinträchtige. Trotzdem wolle man die Studienergebnisse bei der Überarbeitung des Ansatzes berücksichtigen, da die Schwerpunktsetzung ein Risiko für Diskriminierung berge.
Bei der Berliner Polizei heißt es, kriminelle Strukturen und Netzwerke könnten nicht allein durch strafrechtliche und präventive Maßnahmen aufgedeckt werden. Es gehe darum, Informationen zu bündeln.
Das Problem der Clankriminalität gebe es schon „jahrzehntelang“, so Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Reul (CDU) 2023: „In Deutschland gibt es nur ein Recht, nämlich das Recht des Staates und nicht das Recht der Familie. Einige haben das nicht verstanden. Wir haben sie ja auch ewig lange agieren lassen.“ Wenn man seit 30 Jahren im Ruhrgebiet „diese türkisch-libanesischen Clans“ habe und nichts unternehme, dürfe man sich nicht wundern, „dass die sich immer sicherer fühlen“.
Seit einigen Jahren gehen die Behörden laut Reul nun wirkungsvoll „mit Razzien, mit Nadelstichen, mit systematischer Ermittlungsarbeit, aber auch mit Ausstiegsprogrammen“ dagegen vor. So sei die Zahl der sogenannten Tumultlagen von 179 im Jahr 2018 auf 37 im Jahr 2022 zurückgegangen.
Das Kalkül hinter der Null-Toleranz-Politik: Wenn die Behörden jeden noch so kleinen Verstoß vermeintlicher Clans ahnden, bekommen diese Respekt vor dem deutschen Rechtsstaat. Gleichzeitig steige so das Sicherheitsgefühl aller anderen Bürgerinnen und Bürger.
bth