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Claudia Hillebrandt über Loriot
"So harmlos war Loriot gar nicht!"

Die Deutschen lieben Loriot, auch zehn Jahre nach seinem Tod. Dabei hielt er den Bundesbürgern in seinen Sketchen recht unschmeichelhaft den Spiegel vor. Aber er sei nie persönlich verletzend geworden und habe sich immer selbstironisch "dieselben Diagnosen gestellt", sagt Claudia Hillebrandt im Dlf.

Claudia Hillebrandt im Gespräch mit Gisa Funck |
Die Loriotausgabe von Text +Kritik vor einem Loriotdenkmal
Da sitzt es und tut so, als könne kein Wässerchen trüben: Loriots berühmtes Knollennasen-Männchen (Cover Text + Kritik / Hintergrund dpa / Robert B. Fishman)
Gisa Funck: Er ist bekannt für seine Knollennasen-Männchen im Frack, für seine wie Menschen agierenden Hunde und skurril scheiternde Gespräche. Und man kann auch knapp zehn Jahre nach dem Tod von Loriot alias Vicco von Bülow sagen: Alle lieben Loriot und seine Sketche. Warum ist das eigentlich so? Also warum lieben die Deutschen Loriots Witze so sehr, quer durch alle Altersgruppen und über alle politische Parteizugehörigkeiten hinweg?
Claudia Hillebrandt: Das ist glaube ich eine Frage, auf die es keine so ganz einfache Antwort gibt. Ich würde sogar fast sagen, wenn man sich die Rezeptionsgeschichte anschaut, ist es ein bisschen erstaunlich. Denn als Loriot anfängt, ist es tatsächlich überhaupt nicht so unumstritten, was er macht. So das radikalste Beispiel ist vielleicht eine frühe Serie "Auf den Hund gekommen", die er zeichnet, die tatsächlich dazu führt, dass die Leserreaktionen so heftig sind, dass Loriot beim STERN rausgeschmissen wird.

"1954 wurde Loriot wegen seiner Cartoons rausgeschmissen!"

Funck: Damit fing er ja an, 1951 bis 1954. Mit dieser Cartoon-Serie. Die hieß: "Auf den Hund gekommen", weil die Hunde sich verhielten wie Menschen und Menschen umgekehrt wie Hunde. Was regte die Nachkriegsdeutschen denn so daran auf?
Hillebrandt: Wenn man sich diese Leserbriefe anguckt, also da ist von "ekelerregend" die Rede, "unwürdig". Leser drohen damit, das Abonnement des Blattes aufzugeben. Dann hat das wahrscheinlich doch einiges damit zu tun, dass dieses Schema der verkehrten Welt – dass eben in dem Fall die Hunde zu Menschen macht und die Menschen zu Hunden – also dieses Verhältnis von Herr und Hund umkehrt, auf eine untergründige Weise auch wieder anrührt dieses Verständnis von Herrenrasse und die Frage, welches Verhältnis hat der Mensch überhaupt zum Tier. Was glaube ich für viele Menschen zu der Zeit noch nicht so entspannt angegangen werden konnte. Das ist die Frühphase der Bundesrepublik, da sind die Menschen mit dem Wiederaufbau beschäftigt. Da wird alles verdrängt, was zur Vergangenheit gehört. Damals hat es eben diese ganz heftige Entrüstung hervorgerufen, weil es dazu anregt, über die eigene Stellung in dieser Gesellschaft nochmal nachzudenken.
Funck: Ja, in diesem Text + Kritik-Band, da ist die Rede davon, dass Loriot der Nachkriegsgesellschaft – also wohlgemerkt der westdeutschen Nachkriegsgesellschaft, also der bundesrepublikanischen Nachkriegsgesellschaft – in seinen Cartoons den Spiegel vorhielt. Und später dann eben auch in seinen Fernseh-Sketchen. Also Loriot und die alte Bundesrepublik, das scheint eine Kombination zu sein, die untrennbar zusammengehört. Können Sie sagen, was so typisch westdeutsch-bundesrepublikanisch an Loriots Cartoons und Sketchen war?
Hillebrandt: Das ist auch das, was den Erfolg am Ende ausmacht. Loriot setzt sich mit der Alltagskultur dieser BRD intensiv auseinander. Das geht bei ihm in der Regel nicht im engeren Sinne um politische Fragen. Aber er zeigt die Auswirkungen politischer Entscheidungen auf diese Gesellschaft. Das betrifft den Tourismus, das betrifft die Konsumgesellschaft. Ne, denken Sie an "Weihnachten bei Hoppenstedt", wo die irgendwann in diesem ganzen Geschenkpapier ertrinken und permanent davon reden, dass es jetzt ganz gemütlich wird, das aber unter diesem ganzen Konsumverhalten eigentlich gar nicht mehr stattfinden kann. Das sind Themen, die Loriot aufgreift, übrigens ganz früh auch schon das Thema Umwelt-Verschmutzung, Verkehr, Probleme des Verkehrs. Das sind Themen, die er aufgreift. Und die er immer wieder neu verarbeitet und spiegelt. Und dann haben wir natürlich dieses Generalthema, was ihn eigentlich immer beschäftigt, ist das Thema Kommunikation. Und da stellt er eigentlich auch eine Diagnose, die bedrückend ist, nämlich: Diese Gesellschaft kann nicht miteinander reden, wenn man es so drastisch sagen mag. Die Leute reden permanent aneinander vorbei und treffen nie das Gemeinte. Und das ist glaube ich ein ganz wesentlicher Kern der Loriot’schen Perspektive auf diese Bundesrepublik.

"Umweltverschmutzung war früh ein Thema bei ihm"

Funck: Also, was erstaunlich ist an Loriot, ist ja, dass er ein humorvoller Beobachter der Nachkriegsdeutschen in der BRD ist und sich auch über deren Verklemmtheiten, deren Förmlichkeiten, dieses übertriebene Sicherheits- und Ordnungsbedürfnis lustig macht und eben auch über dieses scheiternde Kommunikationsverhalten, aber das Erstaunliche ist ja, dass die Westdeutschen – zumindest ab den 70er und 80er Jahren – ihm das überhaupt nicht mehr übelnehmen in seinen Sketchen, sondern Loriot galt ja als ein ausgesprochen liebenswürdiger Komiker! Das ist ja wirklich frappierend. Woran lag das?
Hillebrandt: Diese Frage ist gar nicht so leicht zu beantworten. Und ich würde mir dazu tatsächlich noch mehr Diskussion wünschen. Ich glaube, ein Grund ist, wenn man sich anschaut, wie diese Kritik geäußert wird. Nehmen Sie das Knollennasen-Männchen, das ist nicht in einer Weise personifiziert, dass da einzelne gesellschaftliche Gruppen oder einzelne Personen angesprochen werden. Sondern das ist so ein symbolischer Repräsentant des Durchschnittsbürgers in dieser Gesellschaft. Und damit ist sozusagen die Reichweite derjenigen, die gemeint sind, natürlich sehr breit. Und das Zweite ist, dass Loriot sich bis zu einem gewissen Grad selber auch eingemeindet. In den Fernseh-Sketchen ist er meistens selbst der Protagonist. Vorher hat man ihn noch auf dem Sofa gesehen als Moderator, sieht immer diese kühl-distanzierte Haltung, die aber mit diesem Augenzwinkern irgendwie auch auftritt, und ich glaube, das ist ein Teil der Erklärung, warum das dann auch goutiert wird. Weil man das Gefühl hat, der nimmt sich selbst in dies Komik mit hinein. Der stellt sich die gleichen Diagnosen, die er uns stellt. Und er hat darauf auch keine Antwort in dem Sinne, das man sagen kann, so müsste es besser sein. So wäre es richtig. Walter Jens hat mal gesagt, der stellt eigentlich immer nur Fragen. Er weist auf Probleme hin, ohne dafür schon Lösungen zu präsenteren. Und ich glaube, das führt dazu, dass diese Kritik nicht negativ aufgefasst wird, sondern eher so einen – na ja, einen öffnenden Effekt hat.

Bei seinem Spott auf die Bundesbürger nahm er sich selbst nie aus

Funck: Er sprach sich ja zu Lebzeiten immer strikt gegen Spott und Häme in der Satire aus. Und er bezog in seinen Witzen auch ganz auffällig nie politisch Stellung. Was störte ihn denn eigentlich an dem provokativen Sound der politischen Satire, die war in den 70er/80er Jahren in der Bundesrepublik ja auch sehr populär – etwa die "Neue Frankfurter Schule"?
Hillebrandt: Es passt glaube ich schlecht zu Loriots Stil, so böse zu werden. In einem direkten Sinne auf jemanden loszugehen. Aber ich würde auch sagen, dass man gar nicht sagen kann, dass Loriots Satire immer nur inkludierend und freundlich funktioniert. Sondern es gibt tatsächlich auch Aspekte, die ganz anders funktionieren. Nehmen Sie die Mediensatire, da wird sehr scharf auf einzelne Fernsehmoderatoren geschossen. Also, es gibt tatsächlich auch den etwas böseren Loriot. Was ihn aber auf jeden Fall, was er für absolut unzulässig gehalten hat, das hat er auch wiederholt in Interviews gesagt, ist, sich da lustig zu machen, wo andere wirklich leiden. Also das ist für ihn ein Tabu, kann man sagen. Für seine Komik.

"Es gibt auch den böseren Loriot"

Funck: Ein anderes wiederkehrendes Motiv der Loriot-Sketche, das haben Sie auch gerade schon erwähnt, das ist dieses Kommunikationsversagen. Also dieses ständige Aneinander-Vorbeireden der Protagonisten Warum missverstehen sich die Figuren in seinen Sketchen so oft? Und: Was ist daran eigentlich so lustig?
Hillebrandt: Das grundlegende Problem ist, dass die Protagonisten ihr eigenes kommunikatives Verhalten nicht einsortieren können. Also, sie können nicht von sich selbst zurücktreten und einen Moment fragen, was habe ich da eigentlich gerade gesagt? Wie hat das der andere aufgefasst? Wie sollte der andere es eigentlich auffassen? Es gibt immer viel zu schnell diesen Punkt, an dem – nehmen Sie die Eheszenen! – sich der eine Gesprächspartner auf den Schlips getreten fühlt. Wo dann plötzlich eine ganze Kaskade von verletzten Gefühlen hochgeschwemmt wird und man gar nicht mehr darauf achtet, was hat der andere in dem Moment eigentlich wirklich gesagt. Das entzündet sich oft an Kleinigkeiten, das macht glaube ich auch einen Teil des Witzes aus. Es geht dann eben darum, dass das Frühstücksei zu hart ist. Aber darüber kann man dann eine Viertelstunde lang reden. Und kommt trotzdem zu keiner Einigung. Also, es sind immer solche scheinbar banalen Ausgangspunkte in diesen privaten Szenen. Und grundlegend würde ich sagen, ist die Diagnose ein Empathie-Problem. Also, es fällt den Kommunikations-Teilnehmern anscheinend schwer, sich in die Schuhe des anderen zu stellen und zu überlegen: Was will der? Und auf welcher Basis können wir eigentlich zu einer Einigung kommen? Und da es meistens um Dinge geht, die nicht besonders schwerwiegend sind, finden wir das dann lustig. Aber ganz so harmlos, wie es im Verlachen dann oft erscheint, ist diese Diagnose eigentlich nicht, sondern die ist grundproblematisch, wenn man davon ausgeht, dass das ja in einer Demokratie stattfindet.

Seine Figuren haben "ein Empathie-Problem" und reden ständig aneinander vorbei

Funck: Seinen Durchbruch feierte Loriot ja dann 1967, als er mit seinen Zeichentrickfilmen ins Fernsehen kam. Und 1967, das war auch die Zeit der Studentenunruhen und der 68er-Revolte. Kann es sein, dass Loriot auch dieses andere Klima zu Hilfe kam bei seinem Durchbruch? Also jetzt im vergleich zu den doch recht spießigen 50er Jahren?
Hillebrandt: Absolut! Also ich würde sagen, das ist ein wesentlicher Faktor. Denn Loriot wird genau in der Zeit, so Ende der 50er/Anfang der 60er Jahre langsam immer erfolgreicher wird, in der wir auch so eine gesellschaftliche Öffnung beobachten können. Und er ist nicht umsonst auch gerade bei den Studenten sehr beliebt. Loriot begleitet in gewisser Weise diese Öffnung. Und das erklärt, warum er im Rückblick auch so erfolgreich geworden ist. Weil er Teil dieser sozialen Öffnung ist. Christoph Stölzl hat mal gesagt: "Ein Preuße lockert die Deutschen!" Das hat Loriot gemacht. Er hat wesentlich dazu beigetragen, diese Gesellschaft etwas zu entkrampfen. Ihr auf freundlich-augenzwinkernde Art den Spiegel vorzuhalten – und sie auch dazu anzuregen, sich mit sich selbst auseinanderzusetzen.
Anna Bers / Claudia Hillebrandt (Hg.): "Loriot"
Text + Kritik, Zeitschrift für Literatur. Bd. 230.
edition text + kritik, München. 96 Seiten, 24 Euro