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Claudia Seifert: Wenn du lächelst, bist du schöner!

In der Zeit, als Hans Johst und andere Ewig Gestrige immer mehr verbitterten, sich die westdeutsche Gesellschaft privatisierte und man sich in Ostdeutschland die Auseinandersetzung mit der individuellen Vergangenheit mit der Floskel vom antifaschistischen Widerstand vom Leibe hielt, spielt das Buch, das wir Ihnen nun am Ende der Sendung vorstellen wollen. "Wenn du lächelst, bist du schöner" ist es überschrieben, und die Journalistin Claudia Seifert hat es herausgegeben. Hören Sie die Rezension von Elke Suhr.

Von Elke Suhr |
    Im Moment, als eine in Lindenblütentee getunkte Madeleine den Gaumen des Dichters berührt, taucht die versunkene Vergangenheit in ihm auf und vermischt sich mit der Gegenwart. Der altvertraute Geschmack aus Kindertagen lässt ihn in die unbewussten Tiefen seines Gedächtnisses vordringen, die dem analysierenden Intellekt verschlossen bleiben.

    Die berühmte Madeleine-Episode aus Marcel Prousts "Suche nach der verlorenen Zeit" symbolisiert bis heute die Kunst des Erinnerns als Vergegenwärtigung vergangener Sinneseindrücke. Ein Geschmack, ein Duft oder ein Photo lösen Kettenreaktionen im Gedächtnis aus. Sie ließen in der Historie authentische Erinnerungen "von unten" an Bedeutung gewinnen, "Zeitzeugen" geben sich ihrerseits nicht mehr mit der Objektrolle zufrieden und wollen selbst zu Wort kommen. Im Spannungsfeld zwischen trivialer Selbstbespiegelung und authentischem Vergegenwärtigen bewegt sich Claudia Seiferts Lesebuch über die "Kindheit in den 50er und 60er Jahren".

    Die Unfähigkeit der Mütter und Väter der Kriegsgeneration, Gefühle zu zeigen, ist das zentrale Thema der Erzählungen von sieben Frauen um die Fünfzig, die die Herausgeberin zusammengetragen und ausgewertet hat. Die Mehrheit entstammt eher kleinbürgerlichen Verhältnissen; einige sind in Flüchtlingslagern aufgewachsen. Auf der reflektierten Suche nach dem Typischen ihrer Biographie und ihres Milieus gelingt es ihnen über weite Strecken, die Vielheit subjektiver Erfahrungen in anschaulichen Bildern zu verdichten. Der Reiz der Geschichten liegt in ihrem Wiedererkennungswert; Dinge werden Symbole, um die sich das Gedächtnis der Autorinnen wie der Leserin kristallisiert:

    "Ordentliche" Perlongardinen gehörten sich für jede kleinbürgerliche Musterfamilie und signalisierten den Rückzug ins Private. Sie galten als Visitenkarte einer jeden Hausfrau, an ihnen maß man "Ordnung" und "Sauberkeit". Blütenweiß und sorgsam gefältelt hingen sie vor blitzblank gewienerten Fenstern.

    Dahinter verbarg sich für viele Mädchen ein trister Alltag unter der Fuchtel einer vereinsamenden Mutter mit ihren Ängsten, ihrem Ordnungsfimmel und ihrer "Gier nach Normalität". Töchter waren – mehr noch als Söhne – Objekte mütterlichen Ehrgeizes. Darin sind sich alle Autorinnen einig. Aber dann gehen die Ansichten auch schon auseinander. Die eine beklagt die stramm geflochtenen Zöpfe; die andere hätte so gern ihr schwarzes Haar lang und offen getragen, musste sich aber jeden Monat den praktischen Pottdeckelschnitt für eine Mark verpassen lassen. Das gepunktete Pettycoatkleid, von dem das Mädchen im selbstgeschneiderten "Sack" in der Flüchtlingssiedlung träumte, war einer Altersgenossin in der Oberstadt ein Greuel. Kleider machten auch bei Kindern Leute, an ihnen manifestierten sich in der Schule wie in der "Bande" Klassenunterschiede. Auch deshalb nehmen Töchter ihren Müttern die Ignoranz gegenüber den eigenen Wünschen übel.

    Die heimliche Hauptrolle in vielen "Mädchengeschichten" spielt der meist abwesende oder unerreichbar am Kopfende des Tisches thronende Vater. Der vielzitierte Leitspruch "Kinder, die was wollen, kriegen was auf die Bollen!" markiert die Transformation selbst erlittener Kasernenhofpädagogik auf die eigenen Kinder. Seelisch versehrte Kriegsheimkehrer kompensierten die verlorene Großmannssucht in den eigenen vier Wänden.

    Die Vaterbilder in Claudia Seiferts Buch wirken wie Illustrationen zu Margarete und Alexander Mitscherlichs Studie "Die Unfähigkeit zu trauern", die "Ich-Entleerung" und "psychosoziale Immobilität" infolge der "Verleugnung" der NS-Verbrechen konstatiert. Die kollektive Beschweigsamkeit brachte die Väter um ihre Wurzeln. Der Verlust der Vergangenheit übertrug sich auf die Kinder, wenn die Lehrer dieser Generation die Jahre 1933-1945 im Geschichtsunterricht übergingen. Die krampfhaft aufrechterhaltene Lüge stand wie eine unsichtbare Wand zwischen den Generationen.

    Kinder spürten die unterdrückten Ängste und Traumata, die unter dem Korsett aus Konventionen westen. Manche Autorinnen schleppen sie bis heute mit sich rum. Einige haben sich endgültig von ihren Vätern distanziert, andere leiden noch immer darunter, dass sie ihnen nie richtig nahe kamen.

    Tatsächlich erstarrten nicht alle Väter in der autoritären Pose des Familienoberhauptes. Manche litten sichtlich unter der eigenen Sprachlosigkeit und flüchteten in hilflose Handwerkeleien. Die in monatelanger Nachtarbeit gebastelte Puppenstube oder das Tretauto aus Schrott für den Bruder erscheinen heute als Zeichen zärtlicher Zuneigung, bei den Kindern sind sie selten richtig angekommen.

    In der DDR wurde unter dem Banner des offiziellen Antifaschismus die Mitverantwortung der "arbeitenden Massen" für den Nazismus ebenfalls geleugnet. Zudem impfte das Regime den Kindern einen unauslöschlichen Schuldkomplex gegenüber den "antifaschistischen Widerstandskämpfern" und Staatsgründern der DDR ein. Die wiederum hatten ihrerseits die stalinistischen Verbrechen und die Deportation eigener Genossen zu verleugnen, ihre innere Erstarrtheit übertrug sich auf die Menschen, die diese Staatslüge und mit ihr ein ungewolltes System hinnahmen.

    In beinahe jeder Geschichte taucht eine Oma als "Gegenspielerin" der Mutter auf. Es waren Frauen, die beide Kriege seelisch überstanden und sich vom gesellschaftlichen Zwang frei gemacht hatten. Sie lebten noch einmal mit ihren Enkeln auf, gingen mit ihnen baden und unternahmen Spritztouren, für die Eltern selten Zeit hatten. Sie litten unter keinem Sparzwang wie die Mütter und hatten Sinn für "unnütze Dinge" wie leckeres Essen.

    In einer Zeit, in der man nicht über Gefühle sprach, wurde es zum Synonym für Zuwendung. Das allgegenwärtige Diktat "Was auf den Tisch kommt, wird gegessen!" signalisierte, das Wünsche von Kindern nicht zählen. Sie litten nicht eigentlich unter der Einfachheit der Eintöpfe, sondern unter der lieblosen Eintönigkeit eines Speiseplans, der zum Erziehungsinstrument wurde.

    Unbekümmerte Lebensfreude erlebte man zuweilen auch bei den "Schmuddelkindern" jenseits der sozialen Grenze, die sich durch beinahe jeden Ort zog. Dort tauchten auch die ersten Fernseher auf, die in den "ordentlichen" Familien aus pädagogischen Gründen verpönt waren. Glücklich, wer bei Erdnusswürmchen und Limo "mitgucken" durfte. In dieser Umgebung konnte sich auch eine innige "Notgemeinschaft" mit der Mutter bilden.

    Die Herausgeberin schießt zuweilen übers Ziel hinaus, wenn sie versucht, Typisches für eine ganze Generation aus den sieben Lebensbildern herauszukämmen. Ihr Buch ist keine wissenschaftliche Studie, sondern ein sozialhistorisches Lesebuch, das Zusammenhänge nicht systematisch erschließt, aber zu jenem mitfühlenden Verstehen anregt, das die Mitscherlichs als Schlüssel zu einer befreienden Aufarbeitung der Vergangenheit jenseits von Schuldzuweisungen ausgewiesen haben. Der Sammelband "Wenn du lächelst, bist du schöner!" ist ein Gesprächsangebot an die Elterngeneration und an die nachwachsenden Enkel.

    Elke Suhr über "Wenn du lächelst, bist du schöner! - Kindheit in den 50er und 60er Jahren". Der Band wird von Claudia Seifert in der Reihe dtv premium herausgegeben, hat 255 Seiten und kostet 14,50 Euro.