Bei den Landtagswahlen in Sachsen und Brandenburg wurde die AfD zweitstärkste Kraft. Die Wahlergebnisse unterstreichen die Aktualität des Buches von Claus Leggewie. In "Jetzt! Opposition, Protest, Widerstand" fragt der Politikwissenschaftler: Wie kann man Widerstand leisten – gegen Populisten, Autokraten und Rassisten? Was ist legitim? Und ist der Einzelne moralisch verpflichtet zum Widerstand?
Auf insgesamt 224 Seiten skizziert Leggewie zunächst Konzepte sowie Formen des Widerstands. Er blickt auf das Dritte Reich, die DDR sowie die BRD bis heute. Ebenso schaut er ins Ausland. Er erinnert an Personen wie die US-amerikanische Bürgerrechtlerin Rosa Parks, den DDR-Regimekritiker Robert Havemann oder den Politikwissenschaftler Gene Sharp. Und er greift Artikel 20 Absatz 4 des Grundgesetzes auf, der den Deutschen ein verfassungsmäßiges Recht auf Widerstand einräumt.
Widerstand ist vielfältig, das macht Leggewie schnell deutlich. Vom zivilen Ungehorsam bis hin zur Gewalt – immer verbunden mit dem Dilemma von Legalität und Legitimität, das Leggewie für sich am Ende des Buches wie folgt auflöst:
"Der Grad legitimierter politischer Legalitätsbrüche korrespondiert mit dem Grad der Verletzung beziehungsweise Bedrohung der demokratischen Institutionen. Für den lange undenkbaren Fall, dass auch in einem Land wie Deutschland alle Abwehrversuche scheitern könnten, ist als Ultima Ratio auch die gewaltsame Auflehnung gegen eine Diktatur legitim. Bei diesem Gedankenexperiment möge es unbedingt bleiben."
"Autokratische Reaktionen sind kein normaler Pendelausschlag"
Die Lage der deutschen Demokratie beschreibt Leggewie ohne Panikmache. Aber er will sensibilisieren: Deutschland müsse sich den antidemokratischen Umtrieben entgegenstellen. Und eben jetzt. Widerstand sei kein Anachronismus. Das macht er auch fest an der politischen Entwicklung weltweit. Denn:
"Die autokratische Reaktion in vielen Ländern ist kein normaler Pendelausschlag auf der politischen Rechts-links-Achse, sie strebt wie im Krebsgang einen radikalen Bruch mit der liberalen Weltordnung an, die Revision aller liberalen und progressiven Errungenschaften."
Diesen Bruch untersucht Leggewie anhand von fünf Ländern: Er blickt nach Russland und in die Türkei, die von Autokraten geführt werden. Nach Polen und Ungarn, denen der Rückfall ins Autokratische drohe – und er widmet sich den USA, einer Demokratie, die unter ihrem aktuellen Präsidenten leidet. Und er macht Parallelen aus wie die populistische Dauermobilisierung oder die Absage an die Gewaltenteilung. Er beschreibt ebenso den Protest und den Widerstand in den Ländern.
Mit diesen Länder-Analysen liefert das Buch einen wichtigen Überblick. Vieles wird den Lesern aus den Medien bekannt sein, doch die Ereignisse werden hier gebündelt und eingeordnet. Schade ist, dass Leggewie nicht noch umfangreicher auf den Widerstand der Bürgerinnen und Bürger eingeht. Und wenn er im Fall der Türkei der Diaspora in Deutschland eine wichtige Rolle zuschreibt, um das Land wieder zu demokratisieren, dann vergisst er den teils tiefen politischen Riss, der die Deutsch-Türkische Gemeinde mittlerweile prägt.
Zuletzt zeigt Leggewie in dem Kapitel "Es muss nicht geschehen", wie Widerstand möglich ist. Mit Blick auf Deutschland schreibt er der Politik eine wichtige Rolle zu:
"Republikanischer Liberalismus erschöpft sich nicht in kleinlauter Selbstbestätigung. Er muss reagieren, wenn im GroKo-Konsens übersehene und zu kurz gekommene Themen auch durch die AfD auf die Tagesordnung gesetzt werden, darf sich dann aber nicht etwa in einem oberflächlichen Heimatdiskurs anpassen, sondern muss offensiv Lösungen für Problemanzeigen bieten, die die Rechte groß gemacht haben."
Wunsch nach lebendiger Bürgergesellschaft
Für Leggewie gehören dazu Themen wie ein sozialverträglicher Klimaschutz oder eine wie er schreibt "vernünftige" Einwanderungspolitik. Die Politiker müssten mit den Bürgern wieder diskutieren. So wünscht er sich die vom französischen Präsidenten Emmanuel Macron initiierte Generaldebatte auch auf europäischer Ebene.
Leggewie geht ebenso auf die Medien, Kirchen und Gewerkschaften ein – und auf die Bürgerinnen und Bürger. Er wünscht sich eine lebendige Bürgergesellschaft und Demonstrationen gegen rechte Aufmärsche, die auf Gewaltfreiheit setzen – und das eben JETZT, bevor die Demokratie ernsthaft bedroht ist.
Das Buch ist lesenswert, auch weil es Fragen aufwirft: Wie bewerte ich meine moralische Pflicht zum Widerstand? Würde ich so viel riskieren, wie es Demonstranten in der Türkei oder Russland schon heute tun? Dabei machen die vielen Beispiele von Widerstand in der Geschichte bis heute Mut. Doch zugleich stellt sich auch Ernüchterung ein. Viele der Vorschläge und Forderungen Leggewies, um die Demokratie zu stärken, liegen bereits auf dem Tisch, doch ihre Umsetzung ist halbherzig.
Claus Leggewie: "Jetzt! Opposition, Protest, Widerstand",
KiWi Verlag, 224 Seiten, 10 Euro.
KiWi Verlag, 224 Seiten, 10 Euro.