Wenn der Frühling stumm wird und immer weniger Vögel singen, dann kann eine Ursache dafür auch in der unmittelbaren Umgebung des Beobachters liegen. Pflegeleichte Gärten mit zugepflasterten Wegen und Terrassen, Gärten in denen Roboter den Rasen kurz halten und sonst nichts wächst, sind für Meisen, Spatzen und Bienen ziemlich unattraktiv - und deshalb lassen sie sich dort nur selten blicken. In ihrem Buch "Das Verstummen der Natur" gehen Volker Angres und Claus-Peter Hutter auch mit falsch verstandener Ordnungsliebe im Privatgarten ins Gericht. Claus Peter Hutter leitet die Akademie für Natur- und Umweltschutz Baden-Württemberg, Volker Angres ist im Hauptberuf Leiter der ZDF-Umweltredaktion und nebenbei Freizeitgärtner.
"Ich lebe am Stadtrand von Mainz, habe einen Garten, den wir sehr pflegen und schätzen und der auch in einigen Ecken sehr naturbelassen ist."
Der eigene Garten als Retter der Natur - ein Stück weit geht das, so die Ansicht der Autoren.
"Na klar: Man kann seinen Garten zubetonieren, man kann aber auch eine Arten- und Pflanzenvielfalt dort anlegen bis hin zu kleinen Teichen, wo sich eben bestimmte andere Arten und Lebewesen dann wiederfinden."
Überforderte Natur
Wie man es macht, auch darum geht es in "Das Verstummen der Natur": Praktische Tipps für Privatpersonen, für Unternehmer oder Politiker finden sich am Ende vieler Kapitel. Trotzdem umfasst das Buch vor allem die große Bandbreite des Themas - von der Naturwissenschaft bis zur Politik: Grundlagen zur Evolution gehören dazu und eine ausführliche Übersicht über die Entwicklungen, die derzeit die Natur zerstören.
"Vernichtungsfaktoren" heißt dieser Abschnitt und an erster Stelle steht dabei die Landwirtschaft. Sie hat in der Geschichte zwar dazu beigetragen, dass über Jahrtausende immer wieder neue Arten die Natur bereicherten. Offene Landschaften sind Ergebnis menschlicher Tätigkeit - mit ganz eigenen Biotopen und Arten, von der Feldlerche bis zum Giersch. Doch ihre Intensivierung und der immer stärkere Einsatz von Pestiziden und Kunstdüngern überforderten die Natur immer stärker - und sei damit die wichtigste Ursache des Artensterbens.
"Was wir jetzt beklagen, ist nicht über Nacht eingetreten. Seit Jahrzehnten hat sich unsere Umwelt, zum Teil vom Menschen unbemerkt, speziell für Bienen, Schmetterlinge und andere Insekten, aber in der Folge auch für Vögel, Kleinsäugetiere und viele Wildpflanzenarten dramatisch verändert. Die Industrialisierung der Landwirtschaft nimmt unentwegt zu, weil der Preisdruck steigt."
Dazu kommen aber andere Faktoren, wie etwa das Zubetonieren von Landschaften für Straßen und Häuser oder auch invasive Arten. Sie sind oft in guter Absicht durch den Menschen eingeschleppt worden - etwa der asiatische Marienkäfer, der Schädlinge bekämpfen soll und nun heimische Konkurrenten verdrängt.
Druck auf die Natur übt der Mensch auch durch den Wunsch aus, die letzten zuvor noch unberührten Lebensräume im Urlaub zu erleben. Und ganz wichtig - auch die Unwissenheit vieler Zeitgenossen über solche Zusammenhänge schadet der Vielfalt. Volker Angres ist überzeugt:
"dass man wohl sagen kann, dass es eine Art Erosion des Wissens gibt. Die meisten Menschen verstehen immer weniger, wie Natur eigentlich funktioniert, wozu Natur für uns Menschen da ist, welche Ökosystemleistung Natur erbringt, und dieses Wissensdefizit ein bisschen auszugleichen, war auch eine wichtige Motivation."
Übernutzung in Grenzen halten
Und nicht etwa um einzelne Arten, um Ökosysteme, geht es den Autoren und davon gibt es viele in Deutschland. Sie beschreiben detailreich Lebensräume wie Wälder, Moore und Wiesen mit den jeweils spezifischen Bedrohungen. Die Übernutzung durch den Menschen ist der gemeinsame Nenner, doch bei jedem einzelnen Ökosystem gibt es Möglichkeiten, die Übernutzung wenigstens in Grenzen zu halten. Einzelne Arten zu schützen, sei meist nicht sinnvoll:
"Was, glaube ich, ganz, ganz wichtig ist, dass wir wieder entdecken müssen, das Ökosystem in den Fokus zu nehmen. Nicht unbedingt die einzelne Art, das einzelne Tier, die einzelne Pflanze. Es ist dann zwar immer traurig, wenn man sagen muss: Da stirbt irgendetwas aus, das ist aber eigentlich nicht der Punkt. Eigentlich geht es um gesamte Ökosysteme und wenn die Ökosysteme voll funktionieren, dann kann man auch davon ausgehen, dass die entsprechenden Arten in diesen Ökosystemen vorkommen. Das heißt: Man muss keinen einzelnen Artenschutz betreiben, man muss Ökosystemschutz betreiben."
Die beiden Autoren bearbeiten das Thema aus unterschiedlicher Perspektive: Volker Angres aus seiner Erfahrung in Journalismus und Politik - Vorschriften und Instrumente der Europäischen Union zum Naturschutz etwa werden ausführlich in ihren Grenzen und Möglichkeiten behandelt. Claus-Peter Hutter steuert eher den naturschutz-fachlichen Blick auf Biotope und ihre Entwicklung bei. Mit viel Liebe zum Detail - etwa, wenn es um die Entwicklung einer Wiese im Jahresverlauf geht:
"Schon in wenigen Wochen wird sich die Talwiese vom Gelb und Weiß des Frühlings zu einem farbenprächtigen Blütenmosaik verwandelt haben. Dann leuchten weiße Margerite, tiefblauer Salbei, pinkfarbene Kuckuckslichtnelke und braunrötlicher Wiesenknopf mit dem Gelb von Wiesenpippau und Bocksbart nur so um die Wette."
Viele Stellen zum Ansetzen
Die immer wieder spürbare Liebe der Autoren zum Detail und zur Natur trägt dazu bei, dass das Buch auch als persönliches Bekenntnis zum Erhalt der Artenvielfalt, als einer Lebensgrundlage der Menschheit überzeugt. Für alle, die die Hintergründe des Artensterbens interessiert, ist es eine spannende Lektüre - wenn auch eine mit eher düsteren Untertönen:
"Was Nachhaltigkeit real bedeutet, merken Touristen erst, wenn sie am eigenen Müll auf Mallorca ersticken und in ihren eigenen Ausscheidungen baden. Und in Indien bleibt der Regierung nichts anderes übrig, als alle Verbrennungsmotoren ab 2030 zu verbieten - aber erst, nachdem Menschen in den Megacities reihenweise krank werden, oder an den Folgen der Luftverschmutzung sterben. Offenbar ändert sich nichts, bis auch das vorletzte Biotop zerstört ist. Einzig die Kraft der Katastrophen bringt die Menschen zum Handeln."
Die Ursachen dieser Entwicklung werden auch in anderen Büchern kundig erläutert. Die besonderen Stärken von "Das Verstummen der Natur" kommen zum Vorschein, wo die Autoren noch intakte Lebensräume beschreiben - also das, was es sich zu erhalten lohnt. Und vor allem, wenn das Buch politisch wird: In Europa hat der Naturschutz einen ausgefeilten rechtlichen Rahmen, trotzdem geht der Schwund von Biotopen und Arten weiter.
Vor allem, wer an Veränderung interessiert ist, erfährt, an welchen Stellen es sich lohnt anzusetzen. Die Möglichkeiten dafür sind groß: Sie reichen von politischem Engagement bis zum einfachen Stehenlassen einer Brennnessel-Ecke im eigenen Garten.
Volker Angres und Claus Peter Hutter: "Das Verstummen der Natur. Das unheimliche Verschwinden der Insekten, Vögel, Pflanzen - und wie wir es noch aufhalten können",
Ludwig Buchverlag, 336 Seiten, 20 Euro.
Ludwig Buchverlag, 336 Seiten, 20 Euro.