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Clement: Hartz IV kann Wende am Arbeitsmarkt bringen

Volker Wagener: Nicht die Reform ist das Problem sondern die Arbeitslosigkeit, so Wolfgang Clements Standardantwort, wenn es um Hartz IV geht. Seit gestern hat das Reformpaket die Probierküche verlassen, jetzt ist die neue Regelung in der Praxis angekommen. Der Arbeits- und Wirtschaftsminister nutzte die Feuertaufe und verfolgte den Start persönlich in Leipzig und Nürnberg. Gestern Abend sprach mein Kollege Jürgen Zurheide in unserem Journal vor Mitternacht mit Wolfgang Clement über die ersten Erkenntnisse mit der Arbeitsmarktsreform. Die Langversion dieses Interviews könne Sie jetzt hören. Die erste Frage an den Minister lautete: Demonstranten haben Änderungen am Hartzgesetz verlangt, warum schließen Sie Korrekturen zum jetzigen Zeitpunkt dennoch aus?

    Wolfgang Clement: Ich handele auf der Basis eines Gesetzes, das von der übergroßen Mehrheit des Bundestages und des Bundesrates beschlossen worden ist. Außer der FDP und der PDS haben alle politischen Kräfte dieses Projekt unterstützt. Wir sind überzeugt, das Projekt ist rechtmäßig, in Deutschland gilt der Rechtsstaat und der politische Wille der Mehrheit. Beides wird jetzt umgesetzt. Deshalb: Ich habe Verständnis für Demonstrationen, ich weiß, dass Demonstrationen legitim sind, Proteste sind legitim, niemand ist gehindert, seine Meinung zu äußern. Aber genauso klar muss sein, dass Gesetze, die gelten, in Deutschland realisiert werden. Dieses Gesetz ist überaus dringlich, denn wir haben genug Zeit verloren im Kampf gegen die Arbeitslosigkeit, wir sind nicht ausreichend erfolgreich und wir müssen jetzt diese Reform ins Werk setzen, um eine Änderung, eine wirkliche Wende am Arbeitsmarkt zu erzielen. Ich bin überzeugt, das geht.

    Jürgen Zurheide: Nun ist natürlich so etwas wie die Computerpanne, über die wir in den letzten Tagen berichten mussten, etwas, was die Akzeptanz nicht gerade erhöht. Wie kann so etwas eigentlich passieren?

    Clement: Das fragen Sie mich? Ich kann es Ihnen auch nicht wirklich begründen, es ist ein wirklich sehr, sehr ärgerlicher Fehler, ein Programmierfehler, der dort vorgekommen ist. Manchmal denkt man, so etwas kann es gar nicht geben, aber das gibt es dann eben doch. Aber das ist ja gut überstanden. Nicht zuletzt dadurch, dass die Unternehmen der Kreditwirtschaft, die Banken, die Sparkassen, die Volksbanken, die Reifeisenbanken, die Postbank, dass sie alle mitgemacht haben, sodass die eigentlich Betroffenen, also die Menschen, die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die Anspruch auf öffentlich Fürsorge haben, kaum etwas davon gemerkt haben dürften. Denn bei den meisten Fällen war das Geld auf dem Konto, in den letzten Fällen ist es heute auf das Konto gekommen. Wer Geld abheben wollte, wir haben gut 3000 Bürgerinnen und Bürger in Deutschland gehabt, die Geld abgeholt haben bei der Bundesagentur. Es waren aber teilweise auch Menschen, die ihren Antrag zu spät gestellt haben, alles das ist erledigt. Heute kann man eigentlich nur noch den Kopf darüber schütteln und sollte sich jetzt wieder der Zukunft zuwenden, denn es darf nicht verwischt werden. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Bundesagentur, der Kommunen, von T-Systems, die das IT-System aufgebaut haben, die habe gewaltiges geleistet in den letzten Wochen und Monaten, und ich möchte nicht, dass dies jetzt verwischt wird nur durch diese Schlusspanne kurz vor Toresschluss. Das ist hinter uns und jetzt geht es um das viel Wichtigere, nämlich den Menschen schneller und besser und individueller zu betreuen und wieder in Arbeit zu vermitteln.

    Zurheide: Genau da sind wir beim anderen Kernthema: Die Vermittlung soll ja eben das Kerngeschäft der Bundesanstalt für Arbeit werden. Da erreicht die Agentur die selbst gesteckten Ziele noch nicht. Wann wird das soweit sein?

    Clement: Bei den Jugendlichen jetzt sofort. Bei den jungen Arbeitslosen unter 25 Jahren starten wir ja jetzt sofort mit einem Betreuungsverhältnis von einem Fallmanager oder einer Fallmanagerin auf 75 Jugendliche. Bei den älteren wird das etwas mehr Zeit in Anspruch nehmen. Aber bis zum zweiten Quartal dieses Jahres sind wir dann bei einem Betreuungsverhältnis von eins zu 150. Wenn man bedenkt, dass wir von einem Verhältnis kommen von eins zu 800, ist das eine gewaltige Veränderung. Das ist aber kein Zahlenverhältnis, sondern es geht ja um die individuelle Beratung. Bei den Jugendlichen etwa um das Ziel, bis März, April etwa dieses Jahres mit jedem Jugendlichen, mit jedem, der heute arbeitslos ist und unter 25 Jahren, eine Eingliederungsvereinbarung abzuschließen. Das heißt, ein klare Absprache zwischen dem Vermittler und dem Jugendlichen: Wie kommen sie in einen Ausbildungsplatz, wie kommen sie in einen Arbeitsplatz, wie kommen sie über eine Qualifizierungsmaßnahme in Ausbildung oder Arbeit?

    Jeder Jugendliche in Deutschland, der jetzt arbeitssuchend ist, wird ein solches Angebot bekommen, jeder Jugendliche muss allerdings ein solches Angebot auch annehmen. Ich gehe davon aus, dass überall in Deutschland schon in diesem Monat mit allen Jugendlichen ein solches Gespräch geführt wird mit dem Ziel, wieder in den Arbeitsmarkt zurückzukommen. Da sehe ich den ersten großen Wendepunkt, den wir erreichen können bei der Jugendarbeitslosigkeit.

    Darauf aufbauend, wenn wir gewissermaßen der großen Arbeitslosigkeit den Nachwuchs genommen haben, hoffe ich, dass in der zweiten Jahreshälfte wir dann die Vermittlungsarbeit wirklich auf einer absolut professionellen Ebene, auf einem professionellen Niveau haben und dass wir dann noch deutlichere Fortschritte erzielen. Wir haben übrigens auch schon im abgelaufenen Jahr erheblich mehr Integrationsleistung erbracht, - wir, damit meine ich die Bundesagentur -, als es in den allgemeinen Zahlen zum Ausdruck kommt. Wir haben immerhin über 500.000 Vollzeitarbeitsplätze im vergangenen Jahr durch Auslagerung verloren, und das hat die Bundesagentur durch ihre Vermittlungsarbeit, nicht zuletzt durch ihre Vermittlungsarbeit auch weitgehend kompensiert, denn die Arbeitslosigkeit ist im Jahresdurchschnitt nicht gestiegen. Die Erwerbstätigkeit ist sogar zum ersten Mal mit über 100.000 angestiegen.

    Zurheide: Aber dennoch, wir brauchen in Deutschland mehr Beschäftigung. Das ist doch keine Frage. Warum zum Beispiel schaffen wir so etwas nicht, was die Franzosen geschafft haben über Sarkozy, den Minister, dass das Konsumklima etwas angeregt wurde, auch indem man große Unternehmen mit ins Boot geholt hat. Warum schaffen wir das in Deutschland nicht?

    Clement: In Frankreich gab es offensichtlich genügend Luft. In Frankreich gibt es nicht einen solchen Preiswettbewerb wie in Deutschland. In Frankreich hat Herr Sarkozy die Möglichkeit zu sagen, ihr müsst mit zwei Prozent bei euren Preisen runtergehen. In Deutschland sind aber die Preise bereits so niedrig, denken Sie mal an die Slogans unseres Handels, von bestimmten Handelsunternehmen in Deutschland, "Geiz ist geil" und Ähnliches, das kommt nicht von ungefähr. Es gibt nirgendwo so geringe Gewinnspannen wie in Deutschland im Handel. Aber ich will darüber auch gar nicht lamentieren, ich bin im Gegenteil sehr glücklich, dass über den Weihnachtseinkauf, den Weihnachtshandel offensichtlich ein Stimmungswandel eingetreten ist in Deutschland, und ich hoffe, dass er weiter trägt. Es wird ja befördert jetzt dadurch, dass in diesem Monat, mit Beginn des Jahres weitere Steuerentlastungen stattfinden, sodass ich hoffe und auch davon ausgehe, dass auch die Nachfrage jetzt in Deutschland steigt.

    Zurheide: Es gibt immer noch viel Verunsicherung. Gerade bei den Arbeitnehmern, die haben das Gefühl, bei Reformen geht es immer ans Portemonai, da kommen dann solche Steuersenkungen eben doch nicht an. Aber das hat auch damit zu tun, dass Tarifverhandlungen natürlich sehr viel härter geworden sind. Mutet man den Arbeitnehmern vielleicht zuviel zu in diesen Tagen?

    Clement: Es wird einiges an Anpassung von uns allen verlangt und das zeigt sich natürlich auch bei den Arbeitnehmern. Die Anpassungserwartungen und die Anpassungsanforderungen sind enorm. Aber ich kann sie ja auch nicht wegreden, sie haben sehr viel mit der internationalen Wettbewerbslage zu tun, mit dem, was wir als Globalisierung betrachten. Wir haben eben heute Wettbewerber wie China oder Indien oder Brasilien oder andere, die mit Produkten auf den Markt kommen, von denen wir vor kurzer Zeit noch geglaubt hatten, das könnten nur wir. Das setzt uns enorm unter Anpassungsdruck. Daran gemessen, glaube ich, kommen wir mit unserer hohen Produktivität, mit der hohen Leistungsfähigkeit, mit der Qualität unserer Produkte noch glänzend über die Situation.

    Wenn man es auf die weltweite Situation transferiert und sich vor Augen führt, wie der weltweite Wettbewerb stattfindet, dann stehen wir als Exportnation Nummer Eins noch sehr gut da. Allerdings, es geht nur, wenn auf allen Ebenen auch alle Kräfte mobilisiert werden und dazu gehören eben auch alle Kräfte der Anpassung, das kann ich ja nicht bestreiten, dass beispielsweise auch bei der Arbeitsmarktreform die finanziellen Überlegungen eine Rolle spielen und spielen müssen. Denn wir brauchen finanzielle Kraft, die wir heute in diesem Sektor einsetzen müssen, wir brauchen sie auf längere Sicht, statt in die Langzeitarbeitslosigkeit zu investieren, die wir überwinden müssen. Wir brauchen diese Kraft, um sie in Schulen und Hochschulen und Wissenschaft und Forschung investieren zu können. Das sichert die Zukunft auch der nächsten Generationen in Deutschland.

    Zurheide: Kommen die Eliten ihrer Vorbildfunktion ausreichend nach. Da hat man hin und wieder den Eindruck, dass die Managergehälter steigen, die Gewinne steigen, die Aktiendepots haben sich auch im vergangene Jahr ganz gut entwickelt, aber Arbeitnehmer bleiben auf der Strecke. Ist das nicht manchmal zu einseitig?

    Clement: Man muss es ein bisschen auseinander halten. Die Gewinnsituation, soweit die Gewinne wieder investiert werden, ist natürlich schon in Ordnung. Wir müssen die Wettbewerbsfähigkeit sichern. Aber natürlich, ich muss mich zwar vor Pauschalurteilen hüten, aber natürlich muss man auch erwarten, dass die Manager, dass die Unternehmensleitungen, wenn sie von ihren Mitarbeitern Anpassungsfähigkeit verlangen, und das heißt ja dann eine Orientierung nicht kräftig nach oben, dass das dann für alle gilt und dass da auch eine Vorbildfunktion wahrgenommen wird durch die Vorstände, durch das Management.

    In vielen Bereichen geschieht das ja auch, es ist ja nicht so als wenn es nicht geschähe. Aber wir haben Exzesse und diese Exzesse sind enorm ärgerlich und wir haben auch die Situation, dass bei manchen Redereien nicht beachtet wird, dass Unternehmen, die hier entstanden sind, die hier ihren Erfolg begründet haben, dass dort auch so etwas wie eine regionale und soziale Verantwortung besteht und dass die auch wahrgenommen werden muss. Das stimmt, das muss geschehen und das will ich auch sehr deutlich sagen. Ich habe von Heinz Kühn, einem meiner Vorgänger als Ministerpräsident in Nordrhein-Westfalen, immer noch im Kopf, es ist nun mal so, die Salzsteuer bringt eben mehr als die Sektsteuer. Das heißt, die große Zahl der Menschen, der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, wird unser Gemeinwesen nicht nur tragen mit ihren Händen und mit ihrer Hände- und Köpfearbeit, sondern auch eben mit ihren finanziellen Beiträgen. Die Menge macht es dann.

    Zurheide: Lassen Sie uns noch mal kurz zurückkommen zu Hartz IV. Da wird ja auch manchmal kritisiert, dass man zuwenig hinzuverdienen kann, dass dann zuwenig in der Tasche bleibt. Damit könnte man vielleicht auch das Problem lösen, dass diejenigen, die ohnehin niedrigere Löhne haben durch zu hohe Lohnnebenkosten vom offiziellen ersten Arbeitsmarkt ferngehalten werden. Müsste man da nicht mehr tun?

    Clement: Das ist eine Diskussion, die wir im Vermittlungsverfahren geführt haben, insbesondere über die 400-Euro-Jobs, also die Minijobs, die zusätzlich geleistet werden. Natürlich kann man sich andere Regelungen vorstellen. Nur, ich bitte um Verständnis: Wir starten jetzt auf der gesetzlichen Grundlage, die wir übereinstimmend geschaffen haben, die gilt jetzt und die muss auch so eingehalten werden, dann werden wir auf der Strecke sehen, ob es dort bessere Lösungen gibt. Jetzt handeln wir so wie der Gesetzgeber es gewollt hat und zwar der Gesetzgeber mit riesigen Mehrheiten, für deutsche, für unsere gegenwärtigen Verhältnisse wirklich riesige Mehrheiten im Bundestag und Bundesrat. Ich glaube, es ist richtig, dass wir so handeln und dass wir jetzt auch nicht Unsicherheit verbreiten durch so genannte Nachbesserungsdiskussionen. Es geht auch gar nicht um Nachbessern, sondern wenn sich herausstellen sollte, dass etwas besser geht, dann wird man es besser machen. Aber jetzt haben wir nach bestem Wissen und Gewissen das in Gesetzeskraft gebracht, was wir wollten und das müssen wir jetzt auch praktizieren.

    Wagener: Das war der Bundesminister für Arbeit und Wirtschaft, Wolfgang Clement, vielen Dank für das Gespräch.