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Clement kritisiert Montagsdemonstrationen gegen Hartz IV

Remme: Am Telefon mitgehört hat Wolfgang Clement, der Bundeswirtschaftsminister. Guten Morgen, Herr Clement.

Moderation: Klaus Remme |
    Clement: Guten Morgen, Herr Remme.

    Remme: Herr Clement, Sie stecken viel Mühe und viel Arbeit in diese Reform, was denken Sie, wenn Sie solche Stimmen hören?

    Clement: Das ist natürlich bedrückend und mir ist auch klar, dass viele Menschen verunsichert sind, vor allen Dingen durch manche Veröffentlichungen. Wir haben ja regelrecht in manchen Medien, natürlich nicht in allen, eine Skandalisierung der Reformpolitik, die durch nichts gerechtfertigt ist. Desto wichtiger ist mir, dass, wie ich heute auch noch einmal gehört habe bei Ihnen, dass die Wohlfahrtsverbände sagen, dass eine solche Reform wichtig ist, denn wir wissen doch alle, wenn wir nichts tun, steigt die Langzeitarbeitslosigkeit immer weiter an. Wir liegen jetzt schon in Europa fast schon in der Spitze was die Dauer der Arbeitslosigkeit angeht und was die Zahlen angeht und deshalb müssen wir eine andere Arbeitsmarktpolitik machen und das machen wir mit Hartz IV und deshalb ist sie auch gerechtfertigt. Wir hören das von den Wohlfahrtsverbänden bei uns, wir hören das von der OECD aus Paris, national und international, alle, die es gut meinen mit dem, was in Deutschland zu tun ist, die wissen, es geht so wie bisher nicht weiter und wir müssen umsteuern.

    Remme: Hätten Sie sich jemals vorstellen können, dass Ihre Politik zu Montagsdemonstrationen im Osten wird?

    Clement: Nein, das habe ich mir nie vorstellen können und ich finde den Vergleich schon eine Zumutung. Ich finde es geradezu eine Beleidigung der historischen Montagsdemonstration und übrigens auch der Zivilcourage, die viel Ostdeutsche damals gezeigt haben. Manchmal fragt man sich wirklich, wo wir eigentlich leben. Der gesellschaftliche Skandal, mit dem wir zu tun haben, ist doch nicht Hartz IV sondern das ist die Langzeitarbeitslosigkeit, das ist ein gewisser Fatalismus, das ist eine Gewöhnung an die Langzeitarbeitslosigkeit. Wer jetzt zu zivilem Ungehorsam aufruft, dem muss ich sagen, das ist völlig deplaziert. Ich versuche im ganzen Land aufzurufen zu zivilen Aktionen für Ausbildungsplätze, für Arbeitsplätze, das ist das, was wir heute in Deutschland brauchen, eine soziale Bewegung für Ausbildung und Arbeit, aber nicht gegen Reformen, die die Arbeitslosigkeit überwinden können, denn wir wissen doch, dass wir sie so wie bisher nicht haben überwinden können. Wir müssen den neuen Weg einschlagen und das ist das Ziel von Hartz IV, das ist das Ziel all unserer Arbeitsmarktreformen.

    Remme: Trotzdem, wenn aus Thüringen jetzt berichtet wird, dass mehr und mehr Sparer ihre Konten auflösen oder wenn der Bundesverband Deutscher Versicherungskaufleute auf einen starken Anstieg bei der Kündigung von Lebensversicherungen hinzeigt, heißt das, die Leute reagieren richtig oder hat man sie falsch informiert?

    Clement: Nein, die Leute werden natürlich beraten, beispielsweise die Lebensversicherung umzustellen von der kapitalisierten zur kapitalisierenden Lebensversicherung, die nicht geschützt ist, weil sie zu Geld gemacht wird, auf eine Lebensversicherung, die tatsächlich als eine Rente ab dem sechzigsten Lebensjahr ausgezahlt wird. Das sind teilweise ganz normale Umstände, die dort stattfinden und dagegen ist auch gar nichts zu sagen, das ist nun mal eine Reaktion auf die gesetzliche Maßnahme. Aber ich bitte Sie, man kann sein eigenes Haus, seine eigenes Häuschen, seine eigene Wohnung behalten, seinen eigengenutzten Wagen, man hat pro Lebensjahr 200 Euro, die nicht angegriffen werden, mindestens 4100 Euro bis zu 13.000 Euro pro Person zur Verfügung. Man hat geschützt die Altersvorsorge in der gleichen Höhe, man hat geschützt zusätzlich noch eine Riesterrente, all das ist geschützt, es kommen hinzu 750 Euro pro Person für Sonderanschaffung, für Kinder, die daraus ein Sparbuch bestreiten können. Das alles ist geschützt, das alles braucht nicht angegriffen zu werden, auch wenn man in der Notlage einer Langzeitarbeitslosigkeit ist. Das ist doch besser, als es irgendwo sonst, ich wüsste kaum eine Volkswirtschaft, eine soziale Gesellschaft, in der das besser gestellt ist als hier bei uns in Deutschland.

    Remme: Ein zentraler Punkt, über den in diesen Tagen gestritten wird, ist der Auszahlungstermin für das neue Arbeitslosengeld. Bezieher der alten Arbeitslosenhilfe würden nach Ihren Vorstellungen im Januar kein Geld erhalten. Wird es dabei bleiben?

    Clement: Mein Vorschlag ist, sie bekommen ja Ende Dezember ihre Auszahlung und sie bekommen dann zum ersten Februar wieder ihre Auszahlung und sie bekommen vor allen Dingen, wenn sie dann ins Berufsleben zurückkehren, in eine Arbeit kommen oder in Rente gehen, dann bekommen sie, wenn sie ausscheiden, noch einmal eine Auszahlung, weil sie die Rente und nach neuerem Recht auch das Geld, das sie an einem Arbeitsplatz verdienen, erst zum Ende des Monats bekommen. Gleichzeitig werden sie durchgehend renten-, kranken- und pflegeversichert, das heißt, niemand verliert etwas dabei. Aber wir diskutieren, das ist mein Vorschlag, wir diskutieren über diese Frage auch noch innerhalb der Koalition, wie sie wissen und wir werden dazu Ende August, das heißt, wenn die parlamentarische Arbeit wieder beginnt, wir werden dazu dann eine Entscheidung fällen, ob es bei meinem Vorschlag bleibt oder ob es dort noch zu Modalitäten kommt.

    Remme: Überzeugt Sie denn der Einwand von Bundesrichter Uwe Berlit, nachdem die geplante Regelung, wie Sie sie gerade skizziert haben, unvereinbar ist mit geltendem Sozialrecht?

    Clement: Nein, das überzeugt mich nicht. Wir hätten ja diesen Vorschlag nicht gemacht, wenn wir nicht davon ausgingen, dass der rechtlich einwandfrei ist und dass wir dies so regeln können, wie wir dies hier vorgeschlagen haben. Es ist ja im Grunde genommen ein Streit, der die ganze Republik zu bewegen scheint, ob man zum 31. Dezember oder zum ersten Januar sein Geld bekommt, statt dass wir darüber diskutieren, wie wir die Kinder und die Familien aus der sozialen Hilfe herausholen, jedenfalls die erwerbsfähigen Menschen, wie wir die Leute aus der Langzeitarbeitslosigkeit herausholen. Nein, wir sind anders als der Richter der Meinung, dass die Rechtsgrundlage stimmt.

    Remme: Wenn es für Sie dann ein Randaspekt ist, sehen Sie eine Lösung, können Sie sie skizzieren, die die unterschiedlichen Interessen berücksichtigt?

    Clement: Nein, das möchte ich jetzt nicht öffentlich tun. Unser Vorschlag liegt ja auf dem Tisch, der besten Gewissens gemacht und besten Wissens und Gewissens. Daran gibt es Kritik, teilweise kann ich diese Kritik nicht akzeptieren, teilweise werden wir darüber zu diskutieren haben und das wird dann innerhalb der Koalition, innerhalb sehr überschaubarer Zeit geschehen.

    Remme: Um weiterer Verunsicherung entgegenzuwirken, die Süddeutsche Zeitung berichtet heute über Warnungen des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, demzufolge Langzeitarbeitslose, die einen Job finden, das im selben Monat ausgezahlte Alg II möglicherweise doch zurückzahlen müssen. Kann dieser Fall eintreten?

    Clement: Nein, das ist falsch. Das ist genau das Gegenteil dessen, was ich gerade gesagt habe, es wird derjenige, der einen Job annimmt und zu Ende des Monats erst einen Job haben wird, der wird zu Anfang noch einmal die soziale Grundsicherung, also das Arbeitslosengeld II bekommen, weil er in dieser Zeit ja noch bedürftig ist.

    Remme: Und er bekommt es auch nicht als Darlehen.

    Clement: Nein, er bekommt es so.

    Remme: Das war Bundeswirtschaftminister Wolfgang Clement ...

    Clement: Das ist ja der Vorschlag, den wir gemacht haben und der ja zur Zeit in der Diskussion ist und genau an der Fragestellung zeigt sich, dass unser Vorschlag niemandem etwas wegnimmt sondern dass die Frage ist, wann ist jemand bedürftig und wann nicht. Wenn er am 31. Dezember Geld bekommen hat, ist er nicht am ersten Januar bedürftig, aber er ist bedürftig, wenn er einen Job annimmt und sein Geld erst, das Einkommen erst zum Ende des Monats bekommen wird.

    Remme: Herr Clement, vielen Dank fürs Gespräch.

    Clement: Ich danke Ihnen.