Wie Phoenix aus der Asche – der Mann, der Cleveland neu erfand. Von der Industriestadt zum Innovationszentrum
Vergangenheit und Zukunft liegen in Cleveland ganz dicht beieinander. Die Zukunft liegt Uptown. Die Vergangenheit Downtown. Da unten an den Sandbänken am Ufer des Cuyahoga etwa, wo sich marode Brücken über den Fluss spannen und kaputte Kräne ihre Hälse in den Himmel recken. Eine gigantische Industriebrache aus Rost und Scherben. Neulich hat Donald Trump in seinem Wahlkampf die Rückkehr ins Industriezeitalter beschworen – und dabei Kohle und Stahl zum Hoffnungsträger für die amerikanische Wirtschaft erklärt. In diesen Tagen hat Donald Trump vom Konferenzzentrum aus einen Blick hinüber auf das alte, untergegangene Cleveland.
Chris kennt diese Welt der Stahlwerke und rauchenden Fabrikschlote noch. Chris Ronayne ist hier aufgewachsen und erinnert sich an den Strom von Arbeitern, die sich jeden Morgen auf den Weg in die Fabriken machten.
"Es war eine einfache Stadt. Die Leute hatten alle einen Job und ein sicheres Einkommen. Es waren alles angelernte Arbeiter. Man brauchte keinen Schulabschluss und kein Unidiplom, um über die Runden zu kommen."
Aber dann setzte der Niedergang ein: In den 1970er- und frühen 80er-Jahren ging die alte Industrie in Cleveland endgültig unter. Zurück blieben kontaminierte Industriebrachen. Der Cuyahoga war so von Ölschlamm verseucht, dass er Feuer fing. Eine Art Ur-Erlebnis für Chris: Mit diesem Bild im Kopf – dem brennenden Fluss und dem Friedhof aus aufgelassenen Fabrikanlagen – studierte er Stadtplanung. Und wusste: So hat Cleveland keine Chance mehr, zu überleben.
"Wir waren ein Mikrokosmos des Niedergangs. Wir hatten einen wahnsinnigen Jobverlust und binnen weniger Jahre verloren wir die Hälfte der Einwohner. Wir mussten eine Stadt wieder aufbauen und attraktiv machen, um wieder Leute anzuziehen."
Im Jahr 2000 wurde Chris zum Planungsdirektor der Stadt Cleveland berufen – da war er gerade einmal 33 Jahre alt. Aber offenbar schon damals so energiegeladen wie heute als 47-Jähriger: 1,90 Meter, breite Schultern, graue Haare.
Auf der Fahrt von Downtown nach Uptown erzählt Chris, was er vorfand: Eine heruntergekommene Stadt kurz vor dem finanziellen Zusammenbruch, von Rassenunruhen erschüttert, ohne jede Perspektive. Chris legte einen Masterplan vor und hatte die Vision einer wachsenden Stadt am Ufer des Erie-Sees, voller Vitalität und Aufbruchsstimmung.
"Von öffentlichen Plätzen bis zum funktionierenden Nahverkehr: Wir wollten eine begehbare Stadt schaffen und fragten uns: Wie soll das neue Cleveland aussehen?"
Vision von einem neuen Aufbruch
Chris sah das Kapital Clevelands mit seinem industriellen Erbe, mit Theatern, Kinos, einem Rock'n'Roll Museum, einem Orchester von Weltruf und einer Universität mit herausragenden Ärzten. Alle arbeiteten zusammen, sagt Chris, über alle Parteigrenzen hinweg.
"Es war nur die Frage, wie es uns gelingen würde, alle Fähigkeiten und Talente zusammenzuführen, die es in unserer Stadt gab. Wir haben uns neu erfunden. Da gab es keine politischen Hürden. Ob Republikaner oder Demokraten – wir waren so am Boden, es konnte ja nur besser werden."
Cleveland Uptown: Mitten im Grünen steht ein altes, renoviertes Lagerhaus. Sieben Stockwerke hoch, viel Stahl, viel Glas, hohe Fenster – Thinkbox, nennen die jungen Leute ihr Projekt einer innovativen Denk- und Erfindungswerkstatt: Ian Charnas, um die 30, Hornbrille, hellwache Augen. Er ist der Manager hier.
"Thinkbox ist ein Zentrum für Innovation und Tüftelei. Hier kommen Leute rein, die Ideen haben und sie auch umsetzen wollen."
Dieses Zentrum ist offen für jedermann, sagt Ian. Für Techniker. Designer. Für Tüftler aller Disziplinen. Für Leute, die Geld verdienen wollen. Oder einfach nur eine verrückte Idee haben. Jeder hat freien Zugang zum Maschinen- und Apparatepark auf 4.700 Quadratmetern. Hier stehen 3D-Drucker im Wert von einer Viertelmillion Dollar, Elektronenmikroskope, Oszilloskope – alles da. Eine Armada von Bildschirmen. Und eine Menge junger Leute.
"Ich sehe da gerade einen Typen von der Uni Akron. Er ist hier, um einen Prototypen herzustellen, keine Ahnung für was. Ich sehe einen Künstler und einen Industriedesigner vom Kunstinstitut: Wenn man tüfteln will, ist man hier richtig."
Finanziert wird das alles von Sponsoren, von einer Stiftung, von Unternehmen, von privaten Spendern. Auf sieben Etagen dieses Innovationszentrums gibt es neben dem Maschinenraum ein Designzentrum; einen Metallbaubetrieb; ein Lager für Prototypen, die in die Serienproduktion gehen sollen; ein Beratungszentrum für Unternehmensgründer; eine permanente Kontaktbörse für Entwickler und Unternehmen aus den ganzen USA. Das gibt es in dieser Form nirgendwo auf der Welt, sagt Ian.
Chris steht im Aufzug. Thinkbox sei ja nur ein Beispiel von vielen, sagt er. Und ist sichtlich zufrieden nach einem Jahrzehnt der Planung und Umsetzung.
Kein Weg zurück zum Stahl
Heute ist Chris der Präsident einer Gesellschaft, die sich University Circle nennt, nannt nach dem Stadtviertel in Uptown, das sich um die neuen Universitätsinstitute, Kliniken, Krankenhäuser und medizintechnischen Forschungszentren herumgruppiert. Neben dem Institut der schönen Künste, den Museen der Stadt, dem weltberühmten Orchester. Chris koordiniert sie alle. Ud ist nebenbei auch noch Chef der Hafenbehörde und Vater zweier kleiner Kinder. Cleveland hat mit seiner Hilfe den Rost abgeschüttelt und sich neu erfunden. Eine Erfolgsgeschichte.
"Alle versuchen hier, die Synergien der Menschen mit ihren Ideen zu nutzen. Deshalb nennen wir dieses Gelände unseren Innovationsdistrikt - und das ist eigentlich die neue City."
Zurück in Downtown Cleveland, wo sich dieser Tage alles um den Parteitag der Republikaner dreht und Tausende von Politikern, Journalisten und Sicherheitskräften die Stadt in Atem halten.
In Downtown Cleveland kommt Chris noch einmal auf Donald Trump zu sprechen: "Nein", sagt er, "das mit der Rückkehr zu Kohle und Stahl, das wird nichts mehr."