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"Climigration" - Die Flucht vor dem Klima

Der Klimawandel wirkt sich zunehmend auf ganze Bevölkerungsstriche aus. Die Menschen müssen ihre Heimat verlassen, weil sie unbewohnbar geworden ist. Eine unfreiwillige Migration - und sie betrifft Abermillionen.

Von Monika Hoegen |
    Ihre genauen Zahlen kennt niemand. Doch voraussichtlich werden es sehr viele Menschen sein. Etwa 200, vielleicht sogar 500 Millionen Menschen werden bis zum Jahre 2050 gezwungen sein, ihre Heimat zu verlassen – aufgrund von Klimawandel und Umweltzerstörung. Farmer verlieren ihr Ackerland aufgrund von Dürrekatastrophen, Inseln gehen unter, Stürme und Überschwemmungen machen das Leben in küstennahen Gebieten unmöglich. Die Folge: immense Flüchtlingsströme, wie sie die Welt bislang noch nicht gesehen hat. Zahlreiche Experten fordern daher eine Neudefinition des Begriffs Flüchtling und eine neue rechtliche Grundlage für die Klima-Vertriebenen, darunter auch der Hohe Flüchtlingskommissariat der Vereinten Nationen, Antonio Guterres. Allerdings: Die Mehrheit von ihnen will die bestehende Genfer Konvention 1951 nicht antasten – aus Angst, der dort festgelegte Flüchtlingsbegriff könnte verwässert werden. Wie nun ein neues, internationales Rahmenwerk für Klimaflüchtlinge oder Klima-Vertriebene aussehen könnte, ist noch unklar, weiß Steffen Bauer vom Deutschen Institut für Entwicklungspolitik, DIE. Er hat im Auftrag des deutschen kirchlichen Hilfswerks Brot für die Welt eine Studie über die derzeitige Debatte um Klimaflucht erstellt.

    "Was sich weitgehend als Referenzpunkt für die Diskussion jetzt etabliert hat, ein gemeinsamer Vorschlag der International Organisation for Migration und des UNHCR, der eben 'environmentally displaced persons' definiert, und das versucht zu greifen. Das ist aber alles zum einen noch umstritten und dann teilweise eben auch schwammig und schwierig in der Abgrenzung. Und da wird man auf internationaler Ebene auch weiter noch sich mit befassen müssen. Denn erst mal hat man jetzt so eine Art Arbeitsdefinition, an der sich die weitere Diskussion orientieren kann."

    Was haben Betroffenen davon, wenn es ein internationales Regelwerk zur Klimaflucht gäbe? Immerhin könnten sie Rechtsansprüche geltend machen, sagt Bauer:

    "Wenn ich als Bewohner eines Inselstaats, der eben vom Anstieg des Meeresspiegels betroffen ist, einen Anspruch habe, in sichere Länder auswandern zu können oder entsprechend dort die Zuwanderungsbestimmungen angepasst werden, das Flüchtlingsrecht angepasst wird oder das Asylrecht ausgeweitet wird, auf solche Fälle, dann kann das natürlich einen erheblichen Unterschied machen."

    Für eine neue internationale Konvention zur Klima-Migration, in der Klima-Vertriebene klar von politischen Flüchtlingen abgegrenzt werden, spricht sich Dr. Tamer Afifi aus, der für das Institut für Umwelt und menschliche Sicherheit an der United Nations University in Bonn arbeitet. Das Institut hat im Auftrag der Europäischen Kommission an dem Projekt Each-For gearbeitet, einem Forschungsprojekt zu erzwungener, umweltbedingter Migration mit Fallstudien in 23 Ländern weltweit. Dabei wurden Migranten nach ihren Motiven für die Auswanderung befragt:

    "Ich habe mit Menschen gesprochen, die von der langfristigen Klimaveränderung betroffen sind. Viele davon sind einfache Farmer, und sie würden zunächst einmal selbst nicht sagen, dass sie Probleme wegen des Klimas haben und deshalb von einem Dorf in das andere ausgewandert sind. Sie sagen eher: Wir sind arm, wir haben finanzielle Probleme. Doch wenn man dann tiefer forscht und sie weiter fragt, stellt sich heraus, dass die Ursache doch Umweltprobleme sind. Wegen Dürre sinken die Ernteerträge und das ist der Grund, warum sie weggehen und anderswo nach einer Lebensgrundlage suchen."

    Wäre diesen Migranten die Ursache für ihre erzwungene Abwanderung klar, könnten sie ihre eigene Umwelt besser schützen, und so unter Umständen sogar ihre Abwanderung vermeiden, so Afifi.

    "Sich die Ursachen für die Abwanderung genau anzuschauen, hilft den Menschen, zu bleiben. Und sie möchten bleiben. Da bin ich sicher. Es ist ja nicht so, dass jeder das Land verlassen möchte. Viele würden auch gerne zurückgehen zu ihren Familien. Aber das Problem ist, dass sie in ihrer Heimat keine Lebensgrundlage mehr haben. Also diesen Menschen zu helfen, die Umwelt zu restaurieren, ihnen nachhaltige Hilfe zu geben – und nicht etwa nur Lebensmittel, sondern auch Entwicklungsprojekte, an denen sie teilhaben und die zur Wiederherstellung einer intakten Umwelt beitragen."