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Club Transmediale in Berlin
"Wille und Mut zum Experiment"

Eigentlich war sie die musikalische Begleitveranstaltung des Berliner Transmediale-Kunstfestivals, doch mittlerweile ist der "Club Transmediale" "der Motor der Pärchenveranstaltung" geworden, findet der Musikkritiker Jens Balzer. Und das liege nicht nur an der programmatischen Vielfalt, sagte er im DLF.

Jens Balzer im Gespräch mit Christoph Reimann |
    Ein Künstler beim CTM-Festival
    Ein Künstler beim CTM-Festival (CTM Festival)
    Christoph Reimann: Hallo, Herr Balzer.
    Jens Balzer: Guten Tag, Hallo.
    Reimann: Herr Balzer, was ist das Besondere am CTM, das ja den Beinamen "Festival für Adventurous Music and Art" trägt?
    Balzer: Also es ist tatsächlich mein Lieblings-Festival in Berlin, vielleicht überhaupt. Es gibt ja eine ganze Reihe von Festival-Veranstaltungen, die versuchen, die musikalische Avantgarde, die Pop-Avantgarde, zusammen zu bringen mit der Club-Musik und auch Multimedia-Installationen, also allen Künsten, mit denen sich Popmusik so verbinden kann. So Performance, Video, Tanz et cetera. Und das Festival gibt es seit 1999 und hat sich in der Zeit entwickelt von einem reinen Festival für elektronische Musik - das hat ja mal so begonnen als Beiboot des Transmediale Kunstfestivals und sich mittlerweile zu einer ganz eigenständigen Marke und einer ganz eigenständigen Institution entwickelt. Das hat dann auch den Gründungsbereich der elektronischen Musik relativ schnell verlassen, weswegen es ja inzwischen auch "Festival für abenteuerliche Musik" heißt. Es gab dann Metal-Abende und es gab den Versuch, sich mit Fried-Jazz und den elektronischen Verzweigungen, die der Fried-Jazz so genommen hat in den letzten Jahren, zu beschäftigen. Und in diesem Jahr gibt es ganz außerordentlich interessantes Programm, bei dem man sieht, wie stark die Sprache der elektronischen Musik zu einer globalen Musiksprache geworden ist. Also eigentlich wird alles nochmal re-institutionalisiert, was man früher unter dem Namen "Weltmusik" kannte.
    "Experimentellen Umgangsweise mit den Orten"
    Reimann: Es gibt zum Beispiel Inuit-Kehlkopf-Gesang.
    Balzer: Ja, das eigentliche Eröffnungskonzert morgen Abend im Hebbel-Theater hier in Berlin, da ist eine extrem interessante Inuit-Kehlkopfsängerin namens Tanya Tagaq. Die singt so mit einer ganz tiefen Stimme jenseits aller klanglichen Zuordnungsmöglichkeiten, ob das jetzt männlicher oder weiblicher Gesang ist. Wenn man die nicht sieht auf der Bühne und nicht weiß wer das ist, hat man überhaupt keine Ahnung, aus was für einer Art von Körper diese Musik entspringt. Und die ist zugleich hochpolitisch, weil sie sich dann auch mit diesen post-kolonialen Begebenheiten ihrer Ethnie und deren Kampf um Autonomie beschäftigt, in ihren Kompositionen und stimmlichen Experimenten. Das ist wirklich ausgesprochen interessant. Und es gibt dann eine ganze Reihe von experimentellen Umgangsweisen mit den Orten, an denen dieses Festival stattfindet, was ich persönlich immer höchst reizvoll und wichtig finde. Also zum Beispiel Thomas Ankersmit, ein niederländischer Klangkünstler, wird im Techno-Club Berghain einen Abend mit Bässen bestreiten. Nun denkt man: Bässe gibt's in Techno Clubs und speziell im Berghain immer, aber er versucht das mit sogenannten Infraschall-Bässen, das heißt, die sind so tief, dass das menschliche Ohr sie gar nicht mehr wahrnimmt, sondern man spürt dann nur die Vibration die von diesen Bässen ausgehen. Und ein Kollege von mir, der bei einer der ersten Proben zugegen war, meinte, es wurde einem einfach nur plötzlich total blümerant zumute.
    Tanya Tagaq tritt in diesem Jahr beim CTM-Festival auf
    Tanya Tagaq tritt in diesem Jahr beim CTM-Festival auf (CTM-Festival)
    "Das Klangerleben an seine Grenzen treiben"
    Reimann: Das heißt, das CTM-Festival ist manchmal auch einfach so eine Art Prüfung dessen, was man so aushalten kann an Klängen, Gefühlen und Emotionen, die Musik bewirken kann.
    Balzer: Es gibt wie bei aller guten Avantgarde, wenn man diesen etwas angestaubten Begriff nochmal hochhalten möchte, darum, das Klangerleben und die musikalischen Möglichkeiten so an ihre Grenzen zu treiben. Man kann es sehr laut machen, sehr monoton, das hatten wir alles so in den letzten Jahren vielfach. Es gab dann auch so Doom-Metal-Konzerte, wo dann stundenlang nur ein und derselbe Bassriff wiederholt wurde. Das hat sich alles so ein bisschen erschöpft und ich sehe dieses Jahr dann doch dann auch irgendwie den starken Willen an neuen klanglichen Sprachen zu öffnen. Es gibt extrem interessante DJs, die dann auflegen werden nach den Konzerten, Mobilegirl zum Beispiel - eine in Berlin und München lebende Chinesin, die so eine Art Glitsch-R'n'B macht. Also die so zerschredderte RnB-Mainstream Stücke in wahnsinnig hohem Tempo mit ganz vielen drei bis vier CD-Spielern gleichzeitig zu einer neuen musikalischen Sprache verbindet, die nicht nur avantgardistisch, sondern auch tanzbar ist erstaunlicherweise. Und das finde ich an diesem Festival auch das Tolle, dass es eben dann nicht bei allem Willen und Mut zum Experiment sich nicht um reine Zuhör-Konzerte handelt, in denen man mit irgendwas konfrontiert wird, das man dann vielleicht nicht versteht, sondern dass es dann auch immer - zumindest in den späteren Abendprogrammen - dann in den Bereich der Tanzbarkeit hineingeht. Diese Vermischung von Musik, zu der man tanzen kann, Musik, die einen überfordert, Musik, die Genres verbindet, finde ich in der Virtuosität nur beim Club Transmediale - ein ganz tolles Festival.
    Thomas Ankersmit tritt im Berghain auf
    Thomas Ankersmit tritt im Berghain auf (CTM Festival)
    Reimann: Und wer kommt dann? Ist das dann ein Nischenpublikum oder eben auch die Neugierigen? Ist es dann überhaupt richtig voll?
    Balzer: Ich erinnere mich immer noch: Es hat eine ganze Weile gedauert, also ich bin ein treuer Club Transmediale-Gänger seit Anfang der Nuller-Jahre. Man stand da wirklich Jahre lang gerade werktags teilweise mit 30, 40 Leuten und hörte sich seltsame Klänge an. Irgendwann ist dann der Knoten geplatzt und plötzlich wurde es zu einem Publikumsfestival, also da kommen 10.000 bis 20.000 Leute über die Festivaltage hinweg. Vor dem Berghain stehen lange Schlangen. Es gab schon Abendkonzerte im Hebbel-Theater, die wegen Überfüllung geschlossen werden mussten. Da kann man schon recht gute Laune kriegen. Wenn man findet, dass die Musik, die man selber als Kritiker so toll findet - und die ja dann häufig doch auch nur in irgendwelchen Nischen gespielt wird und unter Eingeweihten kursiert - dass die zumindest in Berlin, zumindest bei diesem Festival ein ganz großes, neugieriges, offenes, aufgeschlossenes Publikum erreicht, das auch aus allen möglichen Ländern und Himmelsrichtungen extra deswegen anreist.
    "Stätten der Avantgarde" in der ganzen Stadt
    Reimann: Sie schwärmen und wenn man die Berliner tuscheln hört, dann schwärmen die ja auch oft vom CTM-Festival, aber es gibt ja auch noch die Transmediale, das Medien- und Kunstfestival. Und das gibt es ja eigentlich schon viel länger, nämlich in diesem Jahr 30 Jahre. Trotzdem man hat ja so ein bisschen das Gefühl, dass das CTM-Festival der Transmediale den Rang abgelaufen hat.
    Balzer: Ja, das Gefühl habe ich auch. Das ist auch eine erstaunliche Entwicklung, weil natürlich - sie haben es schon gesagt - der Club Transmediale wurde gewissermaßen so als Beiboot gegründet und fand dann auch eine ganze Weile so im Schatten der Transmediale statt - es wurden dann eher die Aftershow-Partys bespielt. Und irgendwann im Verlauf der Nuller-Jahre hat es sich dann davon emanzipiert und ist dann eigentlich eher ins Zentrum der Wahrnehmung gerückt. Das hat glaube ich zwei Gründe. Zum Einen: Also ich finde das Programm, das die Transmediale dieses Jahr jetzt vorgelegt hat -"Alien Matter" - da geht es um die Naturalisierung von Technologie, also wie gewissermaßen die technischen Erfindungen, mit denen wir umgeben werden, zu unserer zweiten Natur werden. Wie Natur und Technik ununterscheidbar werden. Das ist alles schon ganz interessant. Das wird dann in Form von so Videoausstellungen, Filmprogrammen und Diskussionen dargeboten. Es kommt mir ein bisschen so vor, als ob sich das Genre als Medienkunstfestivals eigentlich so ein bisschen überlebt hat, weil unsere Gegenwart, unser Alltag und auch unsere gesamte Kunst dermaßen von Medien durchdrungen ist, dass es da eigentlich gar keine Distinktionslinie mehr gibt. Also wenn Sie hier auf der Berlin-Biennale waren oder wenn sie auf andere große Ausstellungen gehen, das ist eigentlich alles Medienkunst. Und ein Medienkunstfestival als solches hat dann auch glaube ich fast so ein Legitimationsproblem.
    Das ist der eine Grund. Und der andere Grund ist glaube ich tatsächlich auch, dass es im Haus der Kulturen der Welt stattfindet hier in Berlin. Das ist immer ein bisschen jenseits der Routen wo die Leute so langkommen, während sich der Club Transmediale über die ganze Stadt ausgebreitet hat. Es findet dann im Berghain statt oder im Festsaal Kreuzberg - einer gerade wiedereröffneten Institution des Berliner Nachtlebens. Oder im Hebbel-Theater. Die ganze Stadt, wo auch der normale Clubgänger, die normale Clubgängerin abends immer so hingehen, das sind jetzt plötzlich Stätten der Avantgarde, während die Transmediale im Haus der Kulturen der Welt mit so ein paar Satellitenorten, aber trotzdem doch mit dem klassischen Modell einer in sich geschlossenen Kunstausstellung folgt.
    Der Techno-Club Berghain in Berlin
    Der Techno-Club Berghain in Berlin (dpa / picture alliance / Paul Zinken)
    Reimann: Ein bisschen angestaubt.
    Balzer: Ich weiß gar nicht, ob es so angestaubt ist, aber es ist halt sehr zentriert. Also ich finde das Programm gar nicht so angestaubt, aber es hat so einen Ausstallungscharakter. Die Entwicklung des Clubs Transmediale, die Avantgarde mit dem Leben zu verbinden oder die anspruchsvolle Zuhörmusik mit Dance Floor. Das ist eine ausgesprochen gelungene Vermischung und man sieht das dann auch zum Beispiel bei der Eröffnung der Transmediale: Ganz viele Künstler, die zum Club Transmediale gehören, dann im Haus der Kulturen der Welt auch noch einmal auftreten und dann diesen Raum bespielen, was ja auch völlig in Ordnung ist. Aber es kommt mir so vor, als sei eigentlich der Club Transmediale in diesem Jahr auch eher dann so der Stichwortgeber oder der Motor geworden dieser ganzen Pärchen-Veranstaltung. Also eigentlich ist es ja schon ein getrenntes Pärchen inzwischen.
    Reimann: Jens Balzer, Vielen Dank für das Gespräch.
    Balzer: Vielen Dank.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.