Linda Weiss steht vor einem großen, grauen Wärmeschrank am Lehrstuhl für Evolutionsökologie und Biodiversität der Tiere der Ruhr-Universität Bochum. In den Fächern im Inneren gut drei Dutzend mit trübem Wasser gefüllte Einmachgläser, in dem winzige Tierchen schwimmen. Daphnien, auch Wasserflöhe genannt, gerade noch groß genug, um sie mit dem bloßen Auge zu betrachten.
"Die Daphnien bestehen aus einem zweischaligen Panzer, der ist nach vorne zur Bauchseite hin geöffnet, und darin befinden sich der Darm, die Filterbeinchen, die haben fünf Beinpaare, und dann haben die einen Kopf und zwei große Ruderantennen. Und die schwimmen halt und machen so hüpfende Bewegungen und deshalb werden die auch im Volksmund Wasserfloh genannt, weil die so rauf- und runterhüpfen."
Daphnien nehmen im Ökosystem eines Sees eine besondere Stellung ein. Sie stehen in der Nahrungskette zwischen den Pflanzen, von denen sie sich ernähren, und anderen Insekten und kleinen Fischen, von denen sie selbst gefressen werden. Wenn sich die Wasserflöhe nicht mehr wohl fühlen und sich ihre Anzahl im Wasser verändert, kann das also Auswirkungen auf den gesamten See haben.
Versauernde Seen im Sauerland
Deshalb fielen Linda Weiss die Tiere auch als erstes ein, als sie bei der Auswertung von Langzeitmessungen der Wasserqualität von vier großen Süßwasserseen im Sauerland auf Veränderungen stieß: Zwischen 1981 und 2015 hatte sich in allen Gewässern vermehrt das Klimagas CO2 angereichert. Was den pH-Wert des Wassers absinken, die Seen also versauern ließ.
"Was wir ganz klar sehen ist, dass der pH-Wert sich um 0,3 verringert hat, und der CO2 ist drei Mal so hoch geworden. Und das sind natürlich schon Werte, die signifikant sind, und das innerhalb von 35 Jahren."
Prognosen für die Ozeane sagen ein derartig starkes Absinken des pH-Wertes erst bis zum Ende des Jahrhunderts voraus. Die Süßwasserreservoirs könnten also von der Versauerung sogar stärker betroffen sein als die salzwasserhaltigen Meere. Bisher hatte dieses Phänomen aber niemand nachgewiesen oder die Auswirkungen auf Tiere und Pflanzen untersucht. Laura Weiss fragte sich deshalb, welche Folgen die chemischen Veränderungen im Wasser für die Daphnien haben könnten.
Bei mehr CO2 verteidigen sich Wasserflöhe schlechter
Ein Zeichen dafür, wie gut oder schlecht die Tiere mit der Wasserqualität zurechtkommen, ist ihr Verteidigungsverhalten. Normalerweise riechen Daphnien, wenn sich ein Fressfeind in der Nähe aufhält und verändern daraufhin die Form ihres Panzers so, dass es für die jeweiligen Räuber schwerer wird, sie zu fressen. Durch verlängerte Schwanzspitzen oder einen vergrößerten Kopfpanzer zum Beispiel. Bleibt diese Reaktion aus, stimmt etwas nicht.
"Wir wissen aus den Ozeanen, dass die Erhöhung des CO2-Wertes dazu führt dass die Tiere sich untereinander nicht mehr so gut wahrnehmen können. Die Beute kann ihren Räuber nicht mehr so gut detektieren, das führt also immer dazu, dass irgendwelche sensorischen Systeme durch das CO2 gestört werden. Und deshalb haben wird das untersucht und haben festgestellt, dass die Daphnien, die ja normalerweise morphologische Verteidigungen in Räuberanwesenheit ausbilden, dass die das dann nicht mehr so stark machen. Also die können das schon noch, aber nicht mehr so gut, wie sie das vorher mal konnten. Das heißt, die sind weniger verteidigt und haben dadurch auch ein höheres Risiko erbeutet zu werden."
Was macht das mit Seen und Seebewohnern?
Die experimentellen CO2-Werte, bei denen die Daphnien nicht mehr in der Lage waren, ihre Feinde zu erkennen und entsprechend zu reagieren, lagen zwar noch über den in den Seen tatsächlich gemessenen Werten, aber Laura Weiss hält es für wahrscheinlich, dass die Daphnien auch außerhalb des Labors bald mit CO2-Werten leben müssen, die ihre Überlebenschancen verschlechtern.
Welche Folgen das für das Ökosystems eines Sees hat und ob noch andere Tiere von der Versauerung betroffen sind, wollen die Forscherin und ihr Team deshalb als nächstes herausfinden.