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CO2-Kompromiss
"Wir wollen den Menschen nicht das Auto verbieten"

Menschen bringe man nicht mit Verboten zu einem anderen Bewusstsein, sagte Kirsten Lühmann, die verkehrspolitische Sprecherin der SPD, im Dlf. Sinnvoller sei es, ihnen den Umstieg auf andere Verkehrsmittel zu erleichtern. Auch der Schienenverkehr müsse gesteigert werden.

Kirsten Lühmann im Gespräch mit Sandra Schulz |
    Berufsverkehr auf der Aachener Straße in Köln
    Um von A nach B zu kommen, sind viele Menschen in Deutschland auf ein Auto angewiesen (imago stock&people)
    Sandra Schulz: "Total unrealistisch" heißt es vom Europäischen Automobilherstellerverband über die Einigung der Europäischen Union vom Montagabend auf strengere CO2-Grenzwerte. Bis 2030 sollen die PKW-Hersteller den CO2-Ausstoß ihrer Neuwagenflotte um 37,5 Prozent senken. Damit will die EU jetzt vorangehen im Kampf gegen die klimaschädlichen Treibhausgase.
    Besonders kritisch äußern sich die Autobauer in Deutschland. Diese Regulierung fordert zu viel und fördert zu wenig, heißt es vom Verband der Automobilindustrie. Auch der CDU-Wirtschaftsminister Altmaier nennt die Vereinbarungen ambitioniert.
    Wir konnten uns dazu vor der Sendung mit Kirsten Lühmann verabreden, mit der verkehrspolitischen Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion. Und weil die Bundesregierung nur die Senkung um 30 Prozent wollte, habe ich sie als erstes gefragt, warum Deutschland beim Klimaschutz wieder auf der Bremse stand.
    Kirsten Lühmann: Es gibt ja mehrere Teile dieser Koalition und die SPD-Bundestagsfraktion hatte ja für sich deutlich ambitioniertere Ziele vorgegeben. Letztendlich ist innerhalb der Regierung dieser Kompromiss von weniger Prozenten Reduzierung herausgekommen, mit dem dann Svenja Schulze, die Umweltministerin, nach Brüssel gereist ist.
    Auf der Bremse stehen kann die Bundesregierung nicht, denn wir haben internationale Verpflichtungen. Im Koalitionsvertrag haben wir uns auf ein Klimaschutzgesetz geeinigt. Und all das, was wir nicht mit Technik erreichen können an CO2-Minderungen, müssen wir auf andere Wege dann in dieses Gesetz reinschreiben, und das geht dann deutlich zu Lasten der Menschen, die mobil sein wollen, und das kann nicht in unserem Sinne sein.
    Die SPD-Verkehrspolitikerin Kirsten Lühmann.
    Die SPD-Verkehrspolitikerin Kirsten Lühmann. (dpa/Bernd von Jutrczenka)
    Schulz: Jetzt sind ja 37,5 Prozent verabredet. Was heißt diese Einigung jetzt fürs Autoland Deutschland?
    Lühmann: Ich denke, das sind ambitionierte Ziele. Das ist jetzt nichts, was unsere Automobilindustrie mit Dingen, die sie schon in der Schublade hat, einfach erreichen kann. Aber es ist machbar. Wir sehen ja, dass Automobilkonzerne umsteuern. Zum Beispiel VW hat gesagt, dass sie nur noch in die Entwicklung von Elektrofahrzeugen investieren werden. Und ich glaube, das ist jetzt noch mal ein zusätzlicher Anreiz, um diese Veränderung in der Produktion schneller voranzutreiben.
    "Die Veränderungen, die sowieso schon begonnen wurden, kommen jetzt schon vielleicht etwas schneller"
    Schulz: Sie haben die Reaktionen jetzt sicherlich auch verfolgt. Kritik, scharfe Kritik kommt ja auch von den Gewerkschaften. IG Metall-Chef Jörg Hofmann spricht von einem Vabanquespiel mit den Arbeitsplätzen der Beschäftigten. Was ist Ihre Antwort?
    Lühmann: Nein. Gerade die Gewerkschaften selber haben ja schon ein eigenes Papier gemacht, wie man in der Automobilindustrie den Transformationsprozess gestalten könnte, und dieses Papier kann auch als Grundlage, als Blaupause genommen werden zu dem, was in den nächsten Jahren passieren muss. Die Automobilkonzerne selber haben bei den Zielen der Kommission 15 Prozent bis 2025 und 30 Prozent bis 2030 gesagt, dass es machbar ist.
    In unseren Gesprächen wurde uns immer wieder gesagt: Bitte macht das Zwischenziel nicht zu ambitioniert. Am Ende 2030 können wir das erreichen, aber nicht so schnell. Und das ist ja jetzt auch bei diesem Ergebnis herausgekommen: Das Zwischenziel liegt bei 15 Prozent 2025, um dann fünf Jahre später ambitionierter abzuschließen.
    Schulz: Aber wir haben jetzt ja die klare Kritik und die klare Einschätzung auch aus der Automobilindustrie, dass das zumindest mit der Zielmarke 2030 nicht machbar ist. Wieso können Sie das als Verkehrspolitikerin besser einschätzen als die Automobilindustrie selbst?
    Lühmann: Ich habe Gespräche geführt, auch mit der Automobilindustrie und natürlich auch mit den Gewerkschaften und anderen Playern am Markt. Und sagen wir mal so: Die Äußerungen waren nicht so, dass es hieß, es ist unmöglich. Auch andere Länder, andere Automobilkonzerne sagen ja auch, es ist nicht unmöglich. Es ist ambitioniert und das Ergebnis macht ja auch etwas, was wir vorher nicht gemacht haben, was ich aber durchaus positiv sehe.
    Sie differenzieren zwischen PKW und leichten Nutzfahrzeugen. Bei PKW gibt es dieses ambitionierte Minderungsziel von 37,5 Prozent. Bei leichten Nutzfahrzeugen liegt das nur bei 31 Prozent, und ich halte das für eine sachgerechte Veränderung und natürlich auch bei diesen leichten Nutzfahrzeugen ist es dann auch einfacher, dieses Ziel zu erreichen.
    Mitarbeiter der Porsche AG montieren am im Stammwerk in Stuttgart-Zuffenhausen auf einem Band Sportwagen.
    Die deutsche Automobilindustrie muss sich wandeln (dpa / Marijan Murat)
    "Wir wollen, dass die Menschen individuell mobil bleiben"
    Schulz: Diese ganze Kritik von der Automobilindustrie, Arbeitsplätze, interessiert Sie heute alles nicht?
    Lühmann: Natürlich interessiert uns das. Die Automobilbranche in Deutschland ist nicht nur ein Teil des Wirtschaftsmotors, sondern auch ein großer Arbeitgeber. Allerdings die Gespräche, die wir geführt haben, weisen darauf hin, dass die Veränderungen, die sowieso schon begonnen wurden, jetzt vielleicht etwas schneller kommen, aber dass sie durchaus machbar sind.
    Schulz: Was wird das Ganze denn jetzt unterm Strich für den Klimaschutz bringen? Mit diesen neuen Vorgaben, wird es da gelingen, die Trendwende einzuleiten, dass die CO2-Emissionen im Verkehrssektor nicht weiter wachsen, anders als jetzt in der Vergangenheit?
    Lühmann: Das wird ein wichtiger Baustein sein für die Trendwende. Das allein kann es aber noch nicht bringen. Wir brauchen weitere Maßnahmen, die wir im Klimaschutzgesetz vereinbaren werden. Aber diese ambitionierten Ziele sind natürlich ein großer Schritt hin zu der Senkung des CO2-Ausstoßes im Gesamtverkehr, denn wir wollen ja auch, dass die Menschen weiterhin individuell mobil bleiben können.
    Wir wollen nicht den Menschen verbieten, das Auto zu nutzen oder Ausflüge zu machen, und das können wir nur in einem Mehrklang: Ambitionierte CO2-Minderungsziele in der Technik, am PKW und weitere Maßnahmen.
    Was uns ein bisschen ärgert ist, dass der Vorschlag der SPD-Bundestagsfraktion und auch von anderen Umweltverbänden und dergleichen, auch von der Automobilindustrie selber übrigens, dass wir synthetische Kraftstoffe anrechnen auf die Minderungsziele, von Brüssel nicht aufgenommen wurde. Ich halte das aus zwei Gründen für schwierig. Erstens können dadurch natürlich die Minderungsziele einfacher erreicht werden für die Industrie und trotzdem bei weniger CO2 in der Luft.
    Und zweitens könnten wir damit diese synthetischen Kraftstoffe in den Markt bringen, weil das ja im Moment noch sehr schwierig ist. Die Produktion ist sehr teuer und wenn man die hätte anrechnen können, dann wäre da so ein Schub gekommen. Dann würde es sich auch lohnen für die Automobilkonzerne, in diese Kraftstoffe zu investieren. Mittelfristig bis langfristig gibt es Transportarten, wo wir um diese synthetischen Kraftstoffe nicht drum herumkommen werden, weil es noch keine vernünftige Alternative zum Verbrennungsmotor dann mit diesen synthetischen Kraftstoffen gibt.
    Schulz: Okay. Ich glaube, der Punkt ist angekommen mit den synthetischen Kraftstoffen. Ich würde den Schritt gerne noch mal zurück machen. Sie sagen, das soll jetzt keiner verboten bekommen, Auto zu fahren. Das ist ja im Moment überhaupt nicht die Baustelle, die wir in Deutschland haben. Wir haben ja die Situation jetzt seit Jahrzehnten, dass die Autos eigentlich immer sauberer werden, immer weniger emittieren, dass insgesamt aber die CO2-Emissionen immer weiter wachsen, weil wir auch immer mehr Verkehr haben. Wie wollen Sie denn da gegensteuern?
    Lühmann: Richtig. Wir haben ein gemeinsames Ziel im Koalitionsvertrag festgeschrieben, dass wir mehr Verkehr auf die Schiene bringen wollen. Die Schiene, so sie denn elektrisch ist, ist ja schon sehr klimafreundlich. Deswegen wollen wir auch weitere Strecken elektrifizieren, um so den Straßenverkehr zu reduzieren.
    Schulz: Aber beim Straßenverkehr wollen Sie - das war ja auch eine Position jetzt im Streit um die Dieselfahrzeuge - schon dafür kämpfen, dass freie Bürger immer noch freie Fahrt haben?
    Lühmann: Ich finde es schwierig, mit Verboten zu arbeiten. Ich glaube, dass wir Menschen auch mit Verboten nicht zu einem anderen Bewusstsein und zu einem anderen Handeln bringen können. Ich finde es sinnvoller, dass wir die Mobilität, die wir haben wollen, mit Anreizen schmackhaft machen. Da muss noch eine Menge passieren, weil im Moment ist es noch sehr, sehr schwierig, wenn Sie ohne eigenes Fahrzeug von A nach B kommen wollen.
    Sie müssen mehrere Tickets lösen, Sie haben vielleicht verschiedene Verkehrsmittel, ein Leifahrrad, einen Bus, einen Zug. Das ist noch nicht sehr komfortabel und ich glaube, es ist sinnvoller, wenn man den Menschen den Umstieg auf andere Verkehrsmittel leichter macht. Da kriegt man sie eher mit als mit Verboten.
    Schulz: Das passt ja auch dazu, dass Sie in Ihrem Positionspapier jetzt im Oktober schreiben, Sie wollten Mobilität neu denken. Wann fangen Sie denn damit an?
    Lühmann: Wir haben da schon sehr lange mit angefangen in der SPD-Bundestagsfraktion. Wir haben dazu auch mehrere Workshops gemacht und Fachveranstaltungen, wo wir mit Fachleuten geredet haben. Andere tun das auch, Agora Verkehrswende, die verschiedenen Verkehrsclubs und Nichtregierungsorganisationen, die auf diesem Feld sich tummeln. Das heißt, eine Menge Akteure sind da schon am Start.
    Was mir ein wenig fehlt, ist die Koordinierung des Ganzen. Wir haben sehr viele gute Ideen in verschiedenen Ecken dieser Republik, aber sie zu einem großen Ganzen zusammenzuführen, das fehlte noch und das hoffe ich mir durch das Klimaschutzgesetz und die folgenden Aktionspläne dazu.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.