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CO2-Pläne der EU
"Eine herkulische Aufgabe für die Autoindustrie"

Der Automobil-Experte Stefan Bratzel sieht die von der EU beschlossenen schärferen Grenzwerte für den CO2-Ausstoß kritisch: Wenn man die Werte wie geplant reduziere, werde es zu Verwerfungen in der Autoindustrie kommen - mit Konsequenzen für die Beschäftigung in Deutschland, sagte Bratzel im Dlf.

Stefan Bratzel im Gespräch mit Jörg Münchenberg |
    Die europäische Autoindustrie fürchtet Brexit ohne Vertrag (Archivfoto 2003).
    Die Reduzierung des CO2-Austoßes um 37,5 Prozent bezeichnete Stefan Bratzel als "ein ambitioniertes Ziel" (dpa / picture alliance / Roland Scheidemann)
    Jörg Münchenberg: Der Druck auf die Autoindustrie ist in den letzten Monaten enorm gewachsen. Da sind die anstehenden Fahrverbote in vielen deutschen Städten für ältere Dieselfahrzeuge, oder auch der schwelende Handelsstreit mit den USA, was wiederum höhere Zölle zur Folge haben könnte. Jetzt aber drohen der Branche auch noch strengere Auflagen für Neuwagen bis 2030. Darauf haben sich EU-Parlament, Mitgliedsstaaten und Kommission gestern Nacht verständigt.
    Zugehört hat Stefan Bratzel vom Center of Automotive Management in Bergisch Gladbach. Herr Bratzel, ich grüße Sie!
    Stefan Bratzel: Schönen guten Tag, Herr Münchenberg!
    Münchenberg: 37,5 Prozent weniger CO2 bis 2030 – ist das ein ambitioniertes Ziel?
    Bratzel: Aus meiner Sicht ist es ein sehr ambitioniertes Ziel. Es ist schon aus meiner Sicht eine herkulesische Aufgabe für die Autoindustrie, diese Reduktion zu erreichen. Nur eine Zahl: Wenn man das übersetzt, diese 95 Gramm und dann die Reduktion, dann reden wir über einen Durchschnittsverbrauch, wenn man jetzt nur Benziner einsetzen würde, von 2,6 Liter. Das ist schon nicht ganz einfach für die Autoindustrie, da hinzukommen.
    Auto-Industrie hat zu spät das Thema der reinen Elektromobilität erkannt
    Münchenberg: Auf der anderen Seite: Das EU-Parlament wollte ja sogar noch mehr, 40 Prozent Reduktion. Vollkommen weltfremd dann?
    Bratzel: Ich glaube, man ist schon jetzt am Rande dessen, was man noch als rational bezeichnen kann. Man muss vielleicht ein bisschen aufpassen vor dem Hintergrund des Dieselskandals, des Vertrauensverlustes. Man hört ja der Autoindustrie im Moment nicht mehr zu, zum Teil zurecht, weil sie sehr viel Vertrauen verloren hat. Aber die Regulationen, die jetzt stattfinden, da bin ich mir nicht so richtig sicher, ob man die Konsequenzen, die das hat, wirklich im Blick hatte in der EU und gegebenenfalls auch in Deutschland.
    Münchenberg: Aber vielleicht verkauft die Autoindustrie ja auch die falschen Fahrzeuge, weil zum Beispiel die SUV, derzeit sehr begehrt und beliebt, aufgrund des Gewichts mehr verbrauchen und damit auch mehr Schadstoffe ausstoßen?
    Bratzel: Natürlich reagiert die Autoindustrie ein Stück weit auf die Käufernachfrage. Die ist sehr stark Richtung SUV gestiegen. Da muss die Autoindustrie natürlich ein Stück weit auch das anbieten, was der Kunde möchte.
    Ein Punkt, den man sicherlich der deutschen Autoindustrie ein Stück weit vorwerfen kann, ist, dass sie relativ spät das Thema der reinen Elektromobilität in den Blick genommen hat. Dort ist man um einige Jahre zurück und entsprechend tut man sich auch schwer, die CO2-Ziele für 2020/21 zu erreichen. Aber das Thema der neuen Fahrzeugsegmente ist ja ein globales Thema. Das ist ja nicht nur ein Thema in Deutschland und der EU. In China gibt es ähnliche Tendenzen, dass die Kunden gerne SUV fahren wollen.
    Elektromobilität: "Man hat Defizite, die versucht man jetzt auszugleichen"
    Münchenberg: Herr Bratzel, Sie haben vorhin gesagt, es wäre eine Herkules-Aufgabe, was in Brüssel jetzt beschlossen worden ist. Die Autoindustrie sagt ja, das sei völlig überzogen. Hat sie Ihrer Meinung nach recht?
    Bratzel: Ich glaube schon, dass das sehr, sehr am Rand dessen ist, was man tatsächlich erreichen kann durch die Autoindustrie. Ich glaube, dass, wenn man in diese Richtung von minus 37,5 Prozent geht, es sehr starke Verwerfungen in der Autoindustrie geben wird. Es bedeutet ja, dass man in einer Größenordnung – wir rechnen 35 bis 40 Prozent - der Neuzulassungen mit Elektrofahrzeugen bauen muss. Heute – nur zum Vergleich – liegen wir in Deutschland bei zwei Prozent der Neuzulassungen. Das ist schon eine erhebliche Veränderung der Industrie, die natürlich enorme Konsequenzen auch für Beschäftigung in Deutschland haben wird.
    Ob die Wettbewerbsfähigkeit der Autoindustrie auch im, wenn man so will, Elektrozeitalter dann gewährleistet werden kann, das wird man erst in den nächsten Jahren sehen. Man hat Defizite, die versucht man jetzt auszugleichen. Ob die Fahrzeuge im Wettbewerb global standhalten, muss man dann sehen. Die Chancen sind so schlecht nicht. Die deutsche Autoindustrie ist sehr innovativ und sie muss jetzt diesen Pfad Richtung Elektromobilität noch viel stärker gehen als vorher und dabei aber auch andere Technologien wie die Brennstoffzelle nicht vollständig vergessen.
    "Wir rechnen mit einem Rückgang von rund 15 Prozent der Arbeitsplätze"
    Münchenberg: Auf der anderen Seite, Herr Bratzel. Sie haben es vorhin ja auch ausdrücklich gesagt. Die Autoindustrie hat unglaublich viel Vertrauen verspielt. Sie hat geschummelt. Volkswagen steht da ja an erster Stelle. Da stellt sich schon die Frage: Wie soll man solche Klagen denn noch ernst nehmen, wenn die Industrie es auf der anderen Seite mit Vorgaben, die ja einzuhalten gewesen wären, nicht so genau genommen hat?
    Bratzel: Ja, das ist schon ein durchaus berechtigter Vorwurf, und insofern ist diese Replik, die wir von der EU jetzt auch hören – die Kommentare sind ja sehr eindeutig -, wir haben euch, um es mal salopp zu formulieren, in der Vergangenheit Vorgaben gegeben, die habt ihr ja nicht einhalten wollen, jetzt verschärfen wir das Ganze. Das ist wohl emotional irgendwo verständlich. Aber man muss doch schauen, ob das tatsächlich noch sachdienlich ist, was man hier macht, und ob man nicht auf einen rationalen Pfad zurückkehrt.
    Münchenberg: Auf der anderen Seite, Herr Bratzel, warnt die Autoindustrie ja immer sofort mit der Verweigerung von Arbeitsplätzen, auch ein gewisses Totschlagargument.
    Bratzel: Ja, das ist sicherlich richtig, dass man ein bisschen vorsichtig sein muss, jetzt auf Seiten der Autoindustrie gleich zu sagen, na ja, dann wird das viele Arbeitsplätze kosten und wir verlagern die. Ich glaube, das Argument muss man sehr vorsichtig einsetzen. Aber im Bereich der Elektromobilität, wenn ein so großer Anteil dann mit elektrischen Neuzulassungen durchgeführt werden wird, dann wird das natürlich beschäftigungspolitische Konsequenzen haben müssen – allein deshalb, weil Elektrofahrzeuge natürlich viel weniger komplex sind, weniger Teile brauchen und auch in der Produktion entsprechend weniger Beschäftigung auslösen. Wir rechnen schon mit einem Rückgang von rund 15 Prozent der Arbeitsplätze in den nächsten 10, 15 Jahren, basierend auf diesen 800.000, die direkt beschäftigt sind in Deutschland.
    Neuwagenzulassungen bei Diesel: Von 48 Prozent auf 33 Prozent zurückgegangen
    Münchenberg: Herr Bratzel, noch ein Punkt. Den haben Sie vorhin auch angesprochen. Die Industrie hat ja jetzt schon Probleme, die Ziele für 2021 einzuhalten. Da geht es um 95 Gramm CO2 pro ausgestoßenem Kilometer. Man fragt sich ja schon: Sie sagen, bis 2030, das ist sehr ambitioniert. Warum schafft man es nicht mal jetzt, bis 2021 die Ziele einzuhalten?
    Bratzel: Da kam etwas dazwischen, mit dem die Autoindustrie nun gar nicht gerechnet hat, und das war der Dieselskandal und die Abkehr der Kunden vom Diesel bei den Neuwagenzulassungen. Die sind ja von 48 Prozent in Deutschland mittlerweile auf 33 Prozent zurückgegangen. Der Diesel ist nun mal energieeffizienter als der Benziner und da jetzt die Mehrzahl der Kunden auf den Benziner als Neuzulassung gegangen ist, verschlechtert das die CO2-Bilanz.
    Hinzu kam, dass immer mehr auf SUV gehen. Auch das ist ein Trend, der kam noch hinzu, und das führt dazu, dass es sehr schwierig werden wird, diese Ziele in 2020/21 zu erreichen.
    Münchenberg: … sagt Stefan Bratzel vom Center of Automotive Management in Bergisch Gladbach. Herr Bratzel, besten Dank für das Gespräch.
    Bratzel: Ich danke Ihnen!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.