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CO2-Zertifikate viel zu billig

Umweltorganisationen beklagen es schon lange: Viel zu großzügig habe die Europäische Union in den letzten Jahren CO2-Verschmutzungsrechte an Energieerzeuger und energieintensive Unternehmen ausgegeben. Allein die Firma ThyssenKrupp soll überschüssige CO2-Zertifikate im Wert von circa 250 Millionen Euro besitzen, sagt eine Studie der britischen Umweltorganisation Sandbag Climate Campaign. Tatsache ist, dass der Preis für den Ausstoß von einer Tonne CO2 viel niedriger als erwartet liegt - und das hat Folgen, denn der Preis soll Anreize für mehr Klimaschutz setzen.

Von Dieter Nürnberger |
    Aktuell liegt der Zertifikatspreis für eine Tonne CO2 bei knapp 9 Euro. Das ist natürlich ein enormer Preisverfall. Die Einnahmeerwartungen zu Beginn dieser Zertifikate-Handelsperiode lagen ja einmal bei rund 17 oder 18 Euro - das heißt, der Emissionshandel kann derzeit nicht die Einnahmen liefern, die auch für bestimmte Klimaschutzförderprogramme oder auch zur Finanzierung der Energiewende in Deutschland gebraucht würden.

    Zuallererst bedeutet der Preisverfall, dass es generell beim Klimaschutz langsamer vorangeht. Denn durch den gefallenen Preis verringert sich natürlich auch der Druck auf die beteiligten Unternehmen, Modernisierungen vorzunehmen, also umweltfreundlichere Technik zu verwenden. Hans-Jürgen Nantke ist Leiter der Deutschen Emissionshandelsstelle:

    "Richtig bleibt natürlich: je höher der Preis für die Emissionsberechtigungen, desto eher lohnen sich die Investitionen in emissionsärmere Technologien, in den Klimaschutz. Deswegen ist natürlich ein höher Preis besser. Bei 20 Euro pro Zertifikat wird mehr für den Klimaschutz getan, als wenn es nur 9 oder 10 Euro sind."

    Das heißt, dass derzeit auch direkt Maßnahmen zum Klimaschutz in den Unternehmen wohl zumindest weniger erfolgen, als politisch einmal gedacht und gewünscht war.

    Dass die Verluste beim Emissionshandel aber auch Folgen für konkrete Klimaschutzprogramme in Deutschland haben, darauf macht beispielsweise Germanwatch aufmerksam. Anja Esch ist Expertin für Klimafinanzierung bei dieser Nichtregierungsorganisation.

    "Mit Beginn dieses Jahres sollten die Erlöse aus dem Emissionshandel in eine neue Haushaltstruktur fließen - in das Sondervermögen Energie- und Klimafonds. Dieser Fonds soll ein Beitrag leisten zur Finanzierung der nationalen Energiewende und teilweise eben auch zur Finanzierung des internationalen Klimaschutzes."

    So will die Bundesregierung rund 85 Prozent der Einnahmen durch die Zertifikate für die Förderung der nationalen Energiewende verwenden. Doch nun fehlen Millionen. Das hat bereits dazu geführt, dass wichtige Programme inzwischen gekürzt worden sind. Etwa das Gebäudesanierungsprogramm der Kreditanstalt für Wiederaufbau. Von 1,5 Milliarden auf nun nur noch 900 Millionen Euro. Der Leiter der Emissionshandelsstelle macht folgende Rechnung auf.

    "Als der Klimafonds eingerichtet wurde, ist man von einem durchschnittlichen Zertifikatspreis von 17 Euro ausgegangen. Jetzt liegen wir bei 9 Euro. Das ist nur wenig mehr als die Hälfte. Somit kann man sagen, dass das Aufkommen nur entsprechend sein kann. Es ist aber klar: Aus diesem Fonds heraus sind nationale und auch internationale Zusagen gemacht worden, die sicherlich einzuhalten. Wenn dies nicht durch das Aufkommen aus dem Emissionshandel gedeckt werden kann, dann wird man sicherlich auch überlegen müssen, ob man hierfür reguläre Haushaltsmittel einsetzt."

    Die Mindereinnahmen könnten somit - so die Hoffnung von Hans-Jürgen Nantke - aus dem regulären Haushalt ausgeglichen werden. Neben diesen nationalen Programmen geht es aber auch noch um die Finanzierung von internationalen Zusagen. Anja Esch von Germanwatch:

    "Es gibt in der Tat eine Zusage der Bundesregierung, dass 500 Millionen Euro ab 2013 jährlich zur Finanzierung der Biodiversität aufgebracht werden sollen. Ein Teil der Gelder soll aus dem EKF, dem Energie- und Klimafonds, beigesteuert werden."

    Die Kritik an der Effizienz des Emissionshandels hat ganz allgemein zugenommen. Die Einnahmeverluste schmerzen. Deshalb wird natürlich über Gegenstrategien nachgedacht. Eine Möglichkeit ist sicherlich, dass Zertifikate aus dem Handel genommen werden könnten. Das würde im Umkehrschluss den Preis dann wieder erhöhen. Diesen Vorschlag macht beispielsweise auch Germanwatch. Expertin Anja Esch.

    "Die Zertifikatsmenge muss verringert werden. Das könnte man grundsätzlich tun, weil damit einen preistreibenden Effekt erzielen möchte. Wichtig wäre es zudem grundsätzlich, dass man sich auf eine Verbesserung des EU-Klimaschutzziels einlässt - von derzeit 20 auf 30 Prozent. Das würde sozusagen den Druck im Kessel erhöhen."

    Die Deutsche Emissionshandelsstelle hält eine kurzfristige Verringerung der Zertifikate allerdings nur für die zweitbeste Lösung. Hans-Jürgen Nantke favorisiert eindeutig eine Anhebung des EU-weiten Klimaschutzzieles, die Emissionen bis zum Jahr 2020 um 30 statt bisher um 20 Prozent zu verringern.

    "Wir glauben, dass damit ein guter Weg eingeschlagen werden kann. Und es wäre ein gutes und wichtiges Signal, wenn die EU sagt, wir gehen hier weiter voran und erhöhen das Klimaschutzziel auf minus 30 Prozent bis 2020. Die wirtschaftlichen Bedingungen dafür sind recht günstig. Weil wir durch den derzeit niedrigen Preis bei den Zertifikaten einen Spielraum nach oben haben. Das könnte die Wirtschaft durchaus verkraften."

    In den kommenden Wochen wird das Problem auf jeden Fall angegangen werden - sowohl in Brüssel und natürlich auch in Berlin.