Wenn man die Jugendherberge in Essen betritt, herrscht keine Schulatmosphäre. Niemand rennt durch die Flure oder schreit. Dabei ist gerade Pause. Stattdessen sieht man Jugendliche, die sich darüber unterhalten, was ein guter Eisbrecher in Bewerbungsgesprächen wäre. Ein Thema, das Charleen Pereira vor drei Wochen, als die Sommerakademie begann, kaum von sich aus angesprochen hätte.
"Also, ich finde sehr gut an dieser Sommerakademie, dass man sich hier weiterentwickeln kann. Ich habe jetzt herausgefunden, was sind meine Stärken, was meine Schwächen, und wie ich das halt alles verbessern kann. Es gibt hier halt auch Unterricht: Mathe und Deutsch. Und wir lernen, wie wir uns in den Berufen verhalten sollen und wie ein Bewerbungsgespräch abläuft."
Alle Jugendlichen haben sich freiwillig für den Kurs beworben. Einige haben daran gezweifelt, ob so eine dreiwöchige Veranstaltung überhaupt das Richtige ist. Ein Junge erzählt, er habe bisher Schwierigkeiten gehabt, Kontakt zu Mitschülern aufzunehmen. Hier habe er jetzt zum ersten Mal so etwas wie Freunde gefunden.
"Nicht nur Pädagogen, auch Psychologen begleiten den Unterricht"
Die Leuphana Universität setzt auf ein ganzheitliches Konzept. Nicht nur Pädagogen, sondern auch Psychologen begleiten den Deutsch- und Matheunterricht. Sie versuchen Blockaden, die in der Schule entstanden sind, auf therapeutische Art und Weise zu lösen.
Durch eine bessere Lehrerausbildung könnten einige Probleme schon im Keim erstickt werden, sagt Projektleiterin Maren Voßhage-Zehnder.
"Da muss ich halt leider sagen, dass die Lehrerbildung nicht da ist, wo ich sie aus meiner Expertise heraus sehen würde gerne. Da gibt es immer einzelne Projekte, aber am Ende des Tages ist auch das ein Beruf, also alles mit Menschen bedeutet, es hat etwas mit einem selbst zu tun. Das heißt, da muss man sich natürlich auch auf eine Weise reingeben und immer, wenn man mit Menschen zu tun hat, kann man nicht sagen: So, jetzt habe ich zu viel gearbeitet, jetzt bin ich fertig. Sondern eigentlich muss man sagen: Da hat man viel Verantwortung und kann die nicht irgendwann beenden."
Doch emphatisches Einfühlungsvermögen lasse sich nicht unbedingt im Lehramtsstudium lernen und mit einer Prüfung abfragen. Es sei mehr eine Charakter- und Einstellungsfrage.
Als Lehrer hat man "einen gewissen Zugriff auf Lebenswege"
"Ich glaube, dass es fantastische Lehrerinnen und Lehrer gibt, die genau diesen Spirit in sich tragen. Und das auch in Schulstrukturen schaffen, mit den Jugendlichen eigentlich so einen unterstützenden, emphatischen Zugang zu finden. Ich sehe das hier an der Lehrerin dieser jugendlichen Geflüchteten. Das ist einfach eine ganz besondere liebevolle Lehrerin. Und das heißt die Jugendlichen vertrauen ihr. Das heißt, da hat sie natürlich auch einen gewissen Zugriff auf Lebenswege."
Und genau dies sei der Schlüssel, um alle Schülerinnen und Schüler in der Klasse mitzunehmen und zu erreichen, rät die Expertin. Doch im hektischen Schulalltag ist das oft leichter gesagt, als getan. Musiker Herbert Grönemeyer, der mit den Jugendlichen ein Musical geprobt hat, musste sich als Jugendlicher selbst oft genug anhören, aus ihm werde sowieso nichts. Heute engagiert er sich dafür, dass das Selbstvertrauen der Jugendlichen gestärkt wird.
"Ich glaube an dich. Aus dir wird was."
"Dass wir auch untereinander und gerade unseren Kindern, also dieser Generation gegenüber sagen: Komm, wir gucken mal, was du besonders gut kannst. Wo du schwächelst, da arbeiten wir dran. Aber letztendlich glaube ich an dich als Eltern. Ich glaube an dich. Aus dir wird was. Und das ist wichtig, glaube ich, letztendlich für eine Gesellschaft. Da ist insgesamt viel Potenzial und das muss man nur auftauen und nicht immer nur sagen: Aber, aber, oh, oh, oh, das wird wohl nix."
Die Schülerinnen und Schüler sind gleich ohne Berührungsängste auf Herbert Grönemeyer zugegangen. Denn sie wussten anfangs gar nicht, wer er ist.
"Nee, die kannten mich gar nicht. Das ist ja auch gerade das Erfrischende daran. Mir tut das gut, mal Einblick zu gewinnen. Also, einfach mal zu schauen, worüber denken die nach, was sind deren Probleme, wie funktioniert so eine Akademie. Und gerade, dass dann die Leute auch unbeschwert auf mich zukommen."
Die meisten Jugendlichen fahren am Ende dieser Woche mit einem guten Gefühl nach Hause. Sie haben jetzt eine klare Vorstellung von ihrer Zukunft - so wie Charleen Pereira aus Düsseldorf.
"Es hat mir sehr geholfen. Denn man denkt auch viel über sein Leben, finde ich, nach, weil hier kann man so richtig darüber nachdenken, was man später machen möchte und was man alles dafür braucht."