Am 15. April 1530, einem Karfreitag, war der Tross in Coburg angekommen. Mehr als einhundert Ritter, Edelleute, Soldaten, an der Spitze Kurfürst Johann der Beständige, begleitet von den Theologen Martin Luther, Philipp Melanchthon, Justus Jonas. Coburg war die südlichste Bastion des sächsisch-ernestinischen Kurfürstentums. Während Kurfürst Johann mit seinem Gefolge hinauf auf die Veste ritt, nahm Martin Luther zunächst unten in der Stadt Quartier. Luther hat sich ein paar Tage in der Stadt aufgehalten, hat in St. Moritz gepredigt. Und als der Tross weiter gezogen ist nach Augsburg, ist er eben auf die Veste, auf das kurfürstliche Schloss hoch gezogen, um dort Quartier zu nehmen.
Bereits 1524 hatte ein Freund Luthers, der Pfarrer Balthasar Düring, die Reformation in der Coburger Stadtkirche St. Moritz eingeführt. In einer seiner Oster-Predigten sprach der Reformator ein bis heute aktuelles Thema an. Wie Macht korrumpieren kann: "Jedermann denkt: In meinen Sack, in meinen Sack! Wohlan, so helfe dir der Teufel, dass du auch einmal voll werdest."
Luther hatte sich zunächst gesträubt, in Coburg zurückgelassen zu werden. Er wollte sich während des Reichstages lieber in Nürnberg aufhalten. Doch die freie Reichsstadt lehnte ab. So musste er sich fügen. In einem Brief an Melanchthon kündigte Luther an, was er sich in Coburg vorgenommen hatte:
"Endlich sind wir auf unserem Sinai angekommen, mein lieber Philipp, aber wir wollen einen Zion aus diesem Sinai machen, und wollen drei Hütten bauen, dem Psalter eine, den Propheten eine und dem Äsop eine."
Bibelübersetzung und programmatische Schriften
Luther fehlte es in den 165 Tagen auf der Veste an nichts. Er speiste in den fürstlichen Gemächern, wurde umsorgt und beschützt. Fast täglich empfing er Besuch, anders als neun Jahre zuvor auf der Wartburg. Und er schrieb nachweislich 120 Briefe. Zwei bis drei Tage dauerte damals die Übermittlung von Nachrichten nach Augsburg. So versuchte Luther, das Geschehen zu beeinflussen, sagt der Historiker Klaus Weschenfelder: "Er hat Melanchthon ermahnt, immer wieder streng zu sein und die Grundsätze zu wahren. Er hat auch selbst viel Post empfangen."
Luther arbeitete auf der Veste Coburg nicht nur an der Übersetzung der Hebräischen Bibel in eine verständliche deutsche Sprache, er verfasste auch programmatische Schriften, etwa wie "man Kinder zur Schule halten soll" oder den "Sendbrief vom Dolmetschen und Fürbitte der Heiligen". "Man muss nicht die Buchstaben in der lateinischen Sprache fragen, wie man deutsch reden solle, wie's die Esel tun, sondern man muss die Mutter im Hause, die Kinder auf der Gasse, den einfachen Mann auf dem Markt danach fragen und denselben auf das Maul sehen, wie sie reden; da verstehen sie es denn und merken, dass man deutsch mit ihnen redet."
Das sind programmatische Schriften, die noch einmal eine ganz starke Position zur Klärung der Position Luthers beigetragen haben, auch beitragen sollten vor dem Augsburger Reichstag.
Die erhoffte Anerkennung blieb aus
Ursprünglich sollte der Reichstag bereits im April 1530 beginnen. Immer wieder verzögerte sich die Versammlung der Fürsten und Vertreter der Reichsstände. Kaiser Karl V. traf erst am 15. Juni in Augsburg ein. Neben Maßnahmen gegen das Vordringen der Türken standen vor allem die konfessionell-theologischen Zwistigkeiten auf der Agenda. Zwistigkeiten, die zu großen politischen Spannungen im Heiligen Römischen Reich geführt hatten. Von Coburg aus versuchte Luther, die Stimmung in Augsburg zu beeinflussen. So schrieb er selbst an seinen ärgsten Widersacher, den Kardinal Albrecht von Brandenburg und Mainz, einen offenen Brief, datiert vom 6. Juli 1530: "Er schlägt eben vor, dass man sich darauf verständigen sollte, dass jeder nach seinem Glauben leben soll, man könne ohnehin niemanden zu seinem Glauben zwingen, das könne der Papst nicht und das könne auch der Kaiser nicht."
Aber dieser eher versöhnliche Brief Luthers an den einflussreichen Kardinal verfehlte sein Ziel. Der Apostolische Nuntius und Kaiser Karl V. wollten zwar die Standpunkte der Reformatoren hören, sie dachten jedoch nicht daran, ihnen Zugeständnisse zu machen. Ulrich Zwingli aus Zürich überreichte seine Schrift "Fidei ratio", "Rechenschaft über den Glauben", Melanchthon legte die wesentlich von ihm verfasste "Confessio Augustana" vor. Ein Gemälde im Coburger Lutherzimmer zeigt den Moment der Verlesung im Bischöflichen Palast:
Alle sind da, die wichtig sind. In der Mitte thront der Kaiser, zur einen Seite sein Bruder Ferdinant, später der Kaiser Ferdinant I., auf der anderen Seite der päpstliche Nuntius. Und sie sollen nun der Verlesung zuhören. Links und rechts neben dem Tisch stehen die Repräsentanten der evangelischen Stände, also die Territorien, die Fürsten, die Städte. Und das Ganze ist umgeben von viel, das da noch zuhört.
Kaiser Karl V. verwarf nicht nur Zwinglis "Fidei ratio" sondern auch die "Confessio Augustana". Die erhoffte Anerkennung blieb 1530 noch aus. Erst 1555 gelang dem Habsburgischen König Ferdinand I. eine Neuordnung der politisch-kirchlichen Verhältnisse im Reich. Dieser "Augsburger Religionsfrieden" ermöglichte es den Landesherren fortan, ihre Konfession selbst zu bestimmen, nach der Formel: "Cuios regio, eius religio", wessen Gebiet, dessen Religion".
Dank Heiratspolitik Einfluss in Europa
Der 1546 in Eisleben verstorbene Reformator wurde seither auch in Coburg wie ein Heiliger verehrt, als der "Coburger Luther". An der Fensterwand seiner Stube erinnert ein Vers aus Psalm 118 an Luthers Aufenthalt.
"Das ist Psalm "Non moriar sed vivam et narrabo opera domini", also 'nicht sterben werde ich, sondern leben und die Werke des Herrn verkünden'. Es ist überliefert, dass Luther diesen Psalm an die Wand geschrieben hat. Wir haben hier seit einigen Jahrzehnten diesen Psalm auch wieder hin geschrieben. Das Originalgraffito ist natürlich nicht erhalten."
Sachsen-Coburg war ein kleines Herzogtum, das aber durch geschickte Heiratspolitik enge Beziehungen zu den europäischen Fürstenhäusern pflegte. Aus dem Briefwechsel zwischen dem Coburger Prinzen Albert und jungen Königin Viktoria von England wird deutlich, wie sehr die Reformation für die Sachsen-Coburger auch zur Legitimation der eigenen Herrschaft diente. Kurz vor ihrer Hochzeit 1840 bat Queen Viktoria ihren Bräutigam um den Abriss seiner Familiengeschichte: "Denn in London gibt es Leute, die sind gegen unsere Hochzeit, erstens, weil sie sagen, wieder ein deutscher Prinz der an die Seite der englischen Königin kommen soll und zweitens, das ist ein Kathole."
Was der zukünftige Prinzgemahl klar widerlegen konnte: "Meine Familie war es, die den Reformator beschützt hat und die der Reformation zum Durchbruch verholfen hat, also dieser Stolz, dass die Wettiner, die ernestinischen Wettiner, aus denen auch das Haus Sachsen-Coburg hervorgeht, dass die es waren, die die Reformation zum Durchbruch verholfen haben, dieser Stolz ist im 19. Jahrhundert ganz stark wieder heraus gestrichen worden."
Ein nackter Mann zu Pferde
Von London aus hatte Prinz Albert von Sachsen Coburg eine bedeutende Sammlung von Erstdrucken der Lutherschriften angelegt und so einen wichtigen Beitrag für die Pflege des reformatorischen Erbes geleistet. Sie befindet sich heute in der Coburger Landesbibliothek Schloss Ehrenburg. Am Ende des Jahrhunderts wollte der letzte Herzog von Sachsen-Coburg-Gotha, Carl Eduard, die Veste Coburg sogar in Luther-Veste umbenennen, offenbar in Konkurrenz zu den preußischen Lutherstätten Eisleben und Wittenberg. Das sei zwar nicht gelungen, schmälere aber keinesfalls die Bedeutung des Ortes, sagt Museumsdirektor Klaus Weschenfelder.
Der Aufenthalt 1530 war von enormer reformationsgeschichtlicher Bedeutung. Es war ein entscheidendes Jahr in der Reformation. Und die Confessio Augustana ist ja auch ein Grunddokument, das von hier aus sozusagen mitredigiert wurde. Das macht die Bedeutung von Luthers Aufenthalt aus.
Hinter der Lutherkapelle der Veste Coburg steht erhöht auf einer Mauer das wohl ungewöhnlichste Lutherdenkmal. Der Herzog ließ es 1917 auf eigene Kosten gießen. Ursprünglich sollte in der Stadt ein überlebensgroßes Standbild des Reformators aufgestellt werden, der erste Preis eines Wettbewerbs. Anlass war das 400. Jubiläum des Wittenberger Thesenanschlags. Der 1. Weltkrieg verhinderte die Ausführung. Herzog Carl Eduard gefiel der moderne Entwurf "Licht und Kraft" von Hans Klett.
Ein Reiterstandbild. Ein Mann zu Pferde mit einer Fackel in der ausgestreckten Linken. Und es weicht eben vollständig ab von den klassischen Luther-Denkmälern, die ja meistens eben Luther zeigen, den standhaften, aufrecht stehenden, mit dem Buch in der Hand.
Die nackte Reiterfigur symbolisiert den Reformator als Lichtbringer des Glaubens.
Man kann sich das gar nicht als offizielles Luther-Denkmal vorstellen - einen nackten Mann zu Pferde mit Luther in Verbindung zu bringen, ist nicht ganz einfach.