Manchmal, wenn der Stress am Gate nicht zu groß ist, dürfen Passagiere vor einem Flug ins Cockpit schauen. Sie dürfen sich auf einen der beiden sogenannten Jump seats setzen, die Klappsitze hinter den Pilotensesseln. Hier bekommen sie einen Eindruck von der Enge und technischen Überladenheit eines Airliner-Cockpits. Man kann hier weder stehen noch gehen, es gibt so gut wie keinen ungenutzten Raum. Die Cockpit-Tür ist weniger als einen Meter von den Pilotensitzen entfernt.
Hochsicherheitstür hat drei Stufen
Als diese Tür nach den Anschlägen des 11.September zu einer Hochsicherheitsschleuse umgebaut wurde, hielt sich die Begeisterung der Piloten in Grenzen. Zwar sahen die meisten die Notwendigkeit, sie sahen aber auch die Schwierigkeiten einer solchen Tür: die Abschottung vom Team und von den Passagieren, sowohl räumlich als auch psychologisch. Die komplizierten Abläufe. Und die technischen Probleme eines so komplexen Bauteils. Was, wenn etwas klemmt? Wenn die Tür sich mal nicht öffnen lässt?
Die Hochsicherheitstür hat drei Betriebsstufen: das normale Öffnen zum Ein- und Aussteigen der Piloten. Das Öffnen für andere, etwa das Bodenpersonal, das nach ganz klar festgelegten Ritualen erfolgen muss. Schließlich der dritte Fall: was, wenn die Piloten bewusstlos sind und die Tür von innen nicht mehr öffnen können? Dafür gibt es ein festgelegtes Prozedere: jedes Besatzungs-Mitglied kennt einen Notfall-Code. Nach dem Eintippen dieses Codes auf einer Tastatur vor der Tür ertönt hinter der Tür im Cockpit ein Warnhinweis. Die Piloten können nun entscheiden, ob sie den Anklopfenden hineinlassen oder nicht. Wenn sie nicht reagieren – etwa weil sie bewusstlos sind – öffnet sich die Tür nach 30 Sekunden automatisch.
Mit diesem komplizierten System wollte man alle Eventualitäten berücksichtigen. Aber den Fall eines Selbstmord-Piloten konnte man so nicht ausschalten. Lufthansa-Chef Karsten Spohr sagte heute, ein solcher Fall habe seine Vorstellungskraft überstiegen.
"Ich kann das nur nochmal wiederholen: Wir sind betroffen und erschüttert und ich habe mir nicht vorstellen können, dass sich das nochmal verstärkt. Mit dem, was heute zu meiner Kenntnis gebracht wurde, hat es sich aber nochmal verstärkt. Wenn es sowas überhaupt geben kann."
Allerdings ist der jetzige German-Wings-Fall, so außergewöhnlich tragisch er ist, nicht der erste Fall dieser Art. Im November 2013 brachte ein mosambikanischer Pilot eine Passagiermaschine in Afrika auf fast identische Weise zum Absturz. Fast 40 Menschen starben damals. Änderungen an den Abläufen im Cockpit erfolgten nicht. Würde man noch schärfere Sicherheits-Vorkehrungen, noch kompliziertere Abläufe in den Pilotenalltag integrieren – die Belastung für die Luftfahrzeugführer könnte überborden. Die Lufthansa versucht, auf anderem Wege ausschließen, dass ein Pilot zum Selbstmord-Täter wird.
Airline-Chef Carsten Spohr:
"Wir untersuchen bei unseren Kandidaten nicht nur kognitive und technische Fähigkeiten, sondern gerade auch lassen wir viel Raum für die psychologische Eignung der Kandidaten."
Lufthansa überprüft mentale Zuverlässigkeit ihrer Pilotenanwärter
Das passiert in einem dreitägigen Test. Dort – noch vor dem Beginn der Ausbildung – überprüft die Lufthansa Teamfähigkeit, Stress-Resistenz und mentale Zuverlässigkeit. Der Test ist – das bestätigen Teilnehmer – hochkomplex und anspruchsvoll. Ein Mensch mit offensichtlichen psychischen Problemen könnte diesen Test kaum bestehen. Und auch nicht das anschließende zweijährige Ausbildungsprogramm.
Es findet im Fall der Lufthansa in Bremen und Arizona, USA, statt. Fast alle Piloten von Lufthansa und German Wings durchlaufen dieses Programm. Es gilt als vorbildlich – nicht nur flugtechnisch, sondern auch, weil es die Piloten, Fluglehrer und andere Lufthansa-Mitarbeiter zusammenschweißt. Es entsteht ein Team-Spirit, sagen Teilnehmer. LH-Chef Carsten Spohr:
"Trotz dieses fürchterlichen Einzelfalles haben ich und meine Kollegen festes Vertrauen in diese erprobte Auswahl- und Ausbildungsverfahren. Diese homogene Pilotenausbildung ist ein wichtiges Sicherheitsmerkmal, da lässt mich dieser schreckliche Einzelfall nicht dran zweifeln."
Nach dem Ausbildungs-Programm müssen Piloten jedes Jahr ihre Flugtauglichkeit bei einer fliegerärztlichen Untersuchung beweisen. Dabei geht es in erster Linie um Fitness, Hörvermögen und Sehtests. Allerdings müssen Piloten auch angeben, ob sie gesundheitliche Probleme hatten. Auch psychologische. Wenn es Zweifel gibt, kann ein Fliegerarzt weitere Tests anordnen. Aber wie soll man psychische Probleme eines Piloten erkennen, der diese geschickt verbirgt? Piloten-Kollegen sind angehalten, auffällige Beobachtungen mitzuteilen. Aber ein Spitzelsystem will keine Airline. Stattdessen bietet sie die Hilfe eines Vertrauens-Teams an. Es besteht aus einem Luftfahrt-Psychologen, einem Mediziner und einem Pilotenkollegen. Dieses Team steht unter Schweigepflicht – aber ob psychisch angeschlagene Piloten ihm vertrauen, ist unsicher. Nach bisherigen Erkenntnissen hat German-Wings-Pilot Andreas L. dieses Team nicht konsultiert.