Peter Kapern: Er hat Winston Churchill zitiert, er hat Jean Monnet zitiert, er hat Adenauer und de Gaulle zitiert und es ist gut möglich, dass die Rede, die Helmut Schmidt gestern beim SPD-Parteitag gehalten hat, selbst in zehn oder 20 Jahren noch als Quelle von Zitaten dient, denn es war eine große Rede, in der er historisch hergeleitet hat, warum Deutschland die EU und die Währungsunion hüten und pflegen muss, ohne selbst nach Dominanz zu streben. Und dann hat er das Europaparlament aufgerufen, endlich gegenüber den Mitgliedsstaaten seine Macht als Vertreter der europäischen Bürger zu beanspruchen – ein 92jähriger, der den Aufstand der Europaabgeordneten verlangt.
O-Ton Helmut Schmidt: "Damals, als wir die Volkswahl zum Europäischen Parlament eingeführt haben, bin ich dem Irrtum unterlegen, das Parlament würde sich schon selber Gewicht verschaffen. Tatsächlich hat es bisher auf die Bewältigung der Krise keinen erkennbaren Einfluss genommen und seine Beratungen und Entschlüsse sind bisher ohne öffentliche Wirkung geblieben. Und deswegen möchte ich an Martin Schulz appellieren: Es wird höchste Zeit, dass Sie und Ihre christdemokratischen, Ihre sozialdemokratischen, ihre sozialistischen, Ihre liberalen und Ihre grünen Kollegen, dass sie sich gemeinsam, aber drastisch zu öffentlichem Gehör bringen. Wahrscheinlich eignet sich das Feld der seit der G-20 im Jahre 2008 abermals völlig unzureichend gebliebenen Aufsicht über Banken, Börsen und deren Finanzinstrumente, wahrscheinlich eignet sich dieses Feld am besten für einen solchen Aufstand des Europäischen Parlaments."
Kapern: Altkanzler Helmut Schmidt gestern in Berlin. – Und am Telefon ist jetzt Daniel Cohn-Bendit, der Vorsitzende der Grünen-Fraktion im Europaparlament. Guten Morgen, Herr Cohn-Bendit.
Daniel Cohn-Bendit: Guten Morgen.
Kapern: Vor 43 Jahre, Herr Cohn-Bendit, da waren Sie ja schon mal auf den Barrikaden. Wird es jetzt also Zeit, als Europaabgeordneter noch einmal einen Aufstand anzuzetteln?
Cohn-Bendit: Na ja, an mir und an uns wird es nicht liegen. Die Aufforderung war ja von Helmut Schmidt ganz klar: Da müssen ja die Mehrheiten, letztendlich die Christdemokraten, die Liberalen, mit uns Grünen da mitmachen. Richtig ist, dass das, was vorgeschlagen wird von der Bundeskanzlerin und Staatspräsident Sarkozy zum Beispiel, unzureichend ist und demokratisch ohne Fundament ist. Das heißt, im Grunde genommen soll das Parlament – und da bin ich völlig einverstanden – Frau Merkel sagen, so kriegen sie zum Beispiel ihre Vertragsveränderungen nicht durch, das müssen sie schon mit dem Europaparlament aushandeln, und Stabilität ohne Solidarität, das geht nicht, und Solidarität ohne Stabilität auch nicht, im Doppelpack kriegen sie es mit dem Europaparlament. Das ist eine völlig richtige Aufforderung von Helmut Schmidt.
Kapern: Werden eigentlich - täuscht der Eindruck, den Helmut Schmidt da gestern vermittelt hat – die europäischen Institutionen, also Parlament und Kommission, derzeit von den Regierungen an die Wand gespielt?
Cohn-Bendit: Na ja, gut, das ist ja im Grunde genommen von Anfang an so gewesen. Was heißt, an die Wand gespielt? Ich meine, Sarkozy hat es ja im Grunde genommen in Toulon vor einigen Tagen gesagt: Für ihn ist europäische Demokratie eine Intergouvernementale, also eine Vereinbarung zwischen den Regierungen. Er kennt überhaupt nicht die europäische Demokratie des Europaparlaments. Und Frau Merkel spricht immer dann säuselnd über die Gemeinschaftsmethode, aber im Grunde genommen hebelt sie die permanent aus, und in dieser Krisensituation versuchen sie, uns im Grunde genommen unter Druck zu setzen, wir haben keine Zeit zu verlieren, und damit werden demokratische Verfahren, Mitbestimmung des Europäischen Parlaments zum Beispiel, versuchen sie, außer Kraft zu setzen.
Kapern: Aber ist denn das Zeitargument so falsch, Herr Cohn-Bendit? Denn wir erinnern uns doch alle an den Prozess, der zum Lissabon-Vertrag geführt hat. Der hat sich über Jahre hingezogen. Kann sich Europa ein solches Gezerre über Jahre noch einmal leisten in dieser Schuldenkrise?
Cohn-Bendit: Also ich finde das ja schon mal ganz merkwürdig, denn das Zeitargument, das hat Frau Merkel mit eingeführt. Hätte sie kurz vor der Nordrhein-Westfalen-Wahl die richtige Entscheidung getroffen, zugestimmt zu Griechenland, dann hätten wir nicht 14, 15, 16 Monate verloren.
Kapern: Aber jetzt ist die Situation da, wie Adenauer gesagt hätte.
Cohn-Bendit: Na ja, die war schon damals da. – Was heißt das, seitdem? Frau Merkel will eine Vertragsveränderung. Eine Vertragsveränderung dauert 18 Monate, egal wie sie es macht. Die muss in allen 27 Ländern ratifiziert werden – mit Kroatien sind es 28. Das dauert und es wird vielleicht sogar Referenden in Irland und vielleicht sogar im Vereinigten Königreich geben. Also das geht nicht schnell. Das heißt, entweder gibt es Entscheidungen jetzt, die man jetzt treffen kann. In Vereinbarungen mit dem Europaparlament, unter der Gesetzeslage kann man heute natürlich Stabilität und Solidarität entwickeln. Man kann zum Beispiel sofort mit der Europäischen Zentralbank eine Antwort auf die Finanzkrisen der Länder wie Italien oder Spanien finden. Man kann diese Eurobonds einführen. Aber dann muss einfach Frau Merkel ihre blinde Ideologie oder blind machende Ideologie der Stabilität ein bisschen dann beiseiteschieben. Helmut Schmidt hatte gestern Recht: Diese Art und Weise, wie Deutschland handelt, widerspricht dem Geist der Europäischen Union, nämlich kein Land soll hegemonisch sein. Kein Land heißt: weder Frankreich, noch Luxemburg, noch Deutschland. Und im Moment gebären sich im Grunde genommen die Frau Merkel und Sarkozy als eine Doppel-, also zwei Länder sollen einfach, sollen oder wollen hegemonisch sein, und das schwächt die Europäische Union und das schwächt auch die Abstimmung in der Europäischen Union. Das heißt, es verlangsamt den Prozess.
Kapern: Aber, Herr Cohn-Bendit, nun ist ja jahrelang immer wieder bedauert worden, bemängelt worden, dass der deutsch-französische Motor nicht richtig laufe. Jetzt läuft er auf Hochtouren, und nun ist es auch wieder nicht recht.
Cohn-Bendit: Nein! Das Problem ist ja: Er kann laufen. Wissen Sie, aber wenn er mit 250 auf der Autobahn fährt, ist es auch nicht richtig, denn es ist verboten, so schnell auf der Autobahn zu fahren. Und Laufen bedeutet, Deutschland und Frankreich müssen begründete Vorschläge einbringen – das ist ja nicht falsch -, aber nicht die anderen Staaten dann erpressen. Das ist der Unterschied. Das heißt, wir wollen eine intelligente deutsch-französische Politik, eine solidarische deutsch-französische Politik, die auch Stabilität im Sinn hat, und wir wollen nicht eine Erpressung, das heißt Deutschland erpresst Frankreich, Frankreich lässt sich erpressen, gewinnt ein paar Punkte, weil es an Größe gewinnt, vielleicht an der Seite Deutschlands, aber das ist nicht im Grunde genommen, wie man Europa zu einem gemeinsamen solidarischen Selbstbewusstsein verhilft.
Kapern: Worin erkennen Sie dieses Moment der Erpressung? Denn Merkel und Sarkozy wollen heute Vertragsänderungen vorschlagen, denen alle Länder zustimmen müssten. Also die Zustimmung steht denen ja frei. Wo liegt da die Erpressung?
Cohn-Bendit: Die Erpressung besteht darin, dass das, was die anderen Länder wollen, zum Beispiel Frau Merkel jetzt völlig ablehnt, nämlich die Einführung, die Vergemeinschaftung – das hat Helmut Schmidt ja auch gesagt. Man kann sich nicht umjubeln, sagen in der Einleitung, das ist eine große Rede, und die Inhalte nicht übernehmen. Er sagt, wir müssen natürlich einen Teil der Schulden vergemeinschaften, und natürlich müssen wir einen Teil eine Investition von Europa aus machen, damit die Wirtschaften wieder angekurbelt werden. Und das sind Dinge einfach, in denen Frau Merkel sagt, aber ich werde dem nicht zustimmen. Da ist schon mal die Zustimmung der 27 für eine Vertragsänderung im Hinblick auf Solidarität nicht möglich. Und damit erpresst sie natürlich.
Kapern: Aber Helmut Schmidt hat auch darauf hingewiesen, dass vor der Vergemeinschaftung der Schulden bessere Stabilitätsregeln stehen müssen, und genau das hat doch Angela Merkel gemeinsam mit Nicolas Sarkozy im Sinn, und selbst die Bundesregierung schließt ja nicht völlig aus, dass danach so etwas wie eine Vergemeinschaftung der Schulden kommen könnte.
Cohn-Bendit: Nein, nein. – Wann? In 18 Monaten? – Also hören Sie doch mal auf! Sie haben mir doch eben gesagt, dass die Zeit uns davonläuft, und in 18 Monaten wollen Sie dann irgendwann den Italienern helfen, die das Geld in den nächsten drei Monaten brauchen?
Kapern: Angela Merkel peilt für die Vertragsänderung zwölf Monate an.
Cohn-Bendit: Ja und? Aber in den nächsten vier Monaten braucht Italien das Geld. Also wenn ich noch mathematisch rechnen kann, ist zwölf Monate weit hinter drei bis vier Monaten. Die 150 Milliarden, die Italien braucht, woher nehmen Sie die in den nächsten drei Monaten? Aus Ihrer Tasche beim Deutschlandfunk?
Kapern: Na das wird nicht reichen, schätze ich.
Cohn-Bendit: Ja also! Dann bleiben Sie doch mal bei Ihren Fragen bei dem Zeitablauf. Frau Merkel will in zwölf Monaten, das ist Wunschdenken. Das wird zwischen 12 und 18 Monaten dauern. Sie müssen aber die unmittelbare Finanzkrise, die sie jetzt haben, also die Krise der Staatsschulden, müssen sie jetzt ansatzweise in den nächsten drei bis vier Monaten lösen und nicht in 12 bis 18 Monaten.
Kapern: Da gibt es ja beispielsweise noch den EFSF. Haben Sie den völlig vergessen, Herr Cohn-Bendit?
Cohn-Bendit: Den EFSF? Das ist immer zu wenig und zu spät. Der EFSF wäre vor zwölf Monaten richtig gewesen, ist heute aber zu schwach. Der hat knappe bis jetzt 750 Milliarden zusammengekriegt. Das heißt, man sieht ja, dass der EFSF - - Entweder muss es als Bank deklariert werden, die selbst Geld anders aufnehmen kann, oder sie müssen das in Zusammenarbeit mit der Europäischen Zentralbank machen. Das ist das, was Helmut Schmidt gesagt hat. Jede Entscheidung – wenn sie Stabilität zum Beispiel wollen und einen neuen Stabilitätspakt und wenn sie eine Macht dem Kommissar geben wollen, noch auch in europäische, in nationale Haushalte reinzufummeln, dann müssen sie auch jemand haben, der demokratisch den Kontrolleur kontrolliert. Das ist auch so in jeder parlamentarischen Demokratie. Eine Regierung wird von einem Parlament kontrolliert. Das ist in Deutschland so und das muss auch so sein. Das heißt, wenn sie jetzt zum Beispiel – das ist gar nicht vorgesehen -, wenn sie neue Macht der Kommission geben müssen, müssen sie diese Macht demokratisch durch das Europäische Parlament kontrollieren, und diese Vertragsänderung, wo sie eine Vereinbarung brauchen, um die so schnell zu machen, zwischen den Regierungen und dem Parlament – so sieht es Lissabon vor. Diese Vereinbarung – ich hoffe es und das ist der Kampf, den wir jetzt führen werden, und er hat ja Martin Schulz aufgefordert; und dann gehen wir mal so: die Liberalen, dann werden wir mal sehen, und das ist dann die Mehrheit im Europaparlament – wird es nicht geben in diesem schnellen Verfahren, wo dem das Europäische Parlament zustimmen muss, wenn nicht auch eine parlamentarische Kontrolle der neuen Macht, die die Kommission haben soll, auch wirklich vertraglich festgelegt wird.
Kapern: Daniel Cohn-Bendit war das, der Ko-Vorsitzende der Grünen-Fraktion im Europaparlament. Herr Cohn-Bendit, danke für das Gespräch heute Morgen.
Cohn-Bendit: Bitte!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
O-Ton Helmut Schmidt: "Damals, als wir die Volkswahl zum Europäischen Parlament eingeführt haben, bin ich dem Irrtum unterlegen, das Parlament würde sich schon selber Gewicht verschaffen. Tatsächlich hat es bisher auf die Bewältigung der Krise keinen erkennbaren Einfluss genommen und seine Beratungen und Entschlüsse sind bisher ohne öffentliche Wirkung geblieben. Und deswegen möchte ich an Martin Schulz appellieren: Es wird höchste Zeit, dass Sie und Ihre christdemokratischen, Ihre sozialdemokratischen, ihre sozialistischen, Ihre liberalen und Ihre grünen Kollegen, dass sie sich gemeinsam, aber drastisch zu öffentlichem Gehör bringen. Wahrscheinlich eignet sich das Feld der seit der G-20 im Jahre 2008 abermals völlig unzureichend gebliebenen Aufsicht über Banken, Börsen und deren Finanzinstrumente, wahrscheinlich eignet sich dieses Feld am besten für einen solchen Aufstand des Europäischen Parlaments."
Kapern: Altkanzler Helmut Schmidt gestern in Berlin. – Und am Telefon ist jetzt Daniel Cohn-Bendit, der Vorsitzende der Grünen-Fraktion im Europaparlament. Guten Morgen, Herr Cohn-Bendit.
Daniel Cohn-Bendit: Guten Morgen.
Kapern: Vor 43 Jahre, Herr Cohn-Bendit, da waren Sie ja schon mal auf den Barrikaden. Wird es jetzt also Zeit, als Europaabgeordneter noch einmal einen Aufstand anzuzetteln?
Cohn-Bendit: Na ja, an mir und an uns wird es nicht liegen. Die Aufforderung war ja von Helmut Schmidt ganz klar: Da müssen ja die Mehrheiten, letztendlich die Christdemokraten, die Liberalen, mit uns Grünen da mitmachen. Richtig ist, dass das, was vorgeschlagen wird von der Bundeskanzlerin und Staatspräsident Sarkozy zum Beispiel, unzureichend ist und demokratisch ohne Fundament ist. Das heißt, im Grunde genommen soll das Parlament – und da bin ich völlig einverstanden – Frau Merkel sagen, so kriegen sie zum Beispiel ihre Vertragsveränderungen nicht durch, das müssen sie schon mit dem Europaparlament aushandeln, und Stabilität ohne Solidarität, das geht nicht, und Solidarität ohne Stabilität auch nicht, im Doppelpack kriegen sie es mit dem Europaparlament. Das ist eine völlig richtige Aufforderung von Helmut Schmidt.
Kapern: Werden eigentlich - täuscht der Eindruck, den Helmut Schmidt da gestern vermittelt hat – die europäischen Institutionen, also Parlament und Kommission, derzeit von den Regierungen an die Wand gespielt?
Cohn-Bendit: Na ja, gut, das ist ja im Grunde genommen von Anfang an so gewesen. Was heißt, an die Wand gespielt? Ich meine, Sarkozy hat es ja im Grunde genommen in Toulon vor einigen Tagen gesagt: Für ihn ist europäische Demokratie eine Intergouvernementale, also eine Vereinbarung zwischen den Regierungen. Er kennt überhaupt nicht die europäische Demokratie des Europaparlaments. Und Frau Merkel spricht immer dann säuselnd über die Gemeinschaftsmethode, aber im Grunde genommen hebelt sie die permanent aus, und in dieser Krisensituation versuchen sie, uns im Grunde genommen unter Druck zu setzen, wir haben keine Zeit zu verlieren, und damit werden demokratische Verfahren, Mitbestimmung des Europäischen Parlaments zum Beispiel, versuchen sie, außer Kraft zu setzen.
Kapern: Aber ist denn das Zeitargument so falsch, Herr Cohn-Bendit? Denn wir erinnern uns doch alle an den Prozess, der zum Lissabon-Vertrag geführt hat. Der hat sich über Jahre hingezogen. Kann sich Europa ein solches Gezerre über Jahre noch einmal leisten in dieser Schuldenkrise?
Cohn-Bendit: Also ich finde das ja schon mal ganz merkwürdig, denn das Zeitargument, das hat Frau Merkel mit eingeführt. Hätte sie kurz vor der Nordrhein-Westfalen-Wahl die richtige Entscheidung getroffen, zugestimmt zu Griechenland, dann hätten wir nicht 14, 15, 16 Monate verloren.
Kapern: Aber jetzt ist die Situation da, wie Adenauer gesagt hätte.
Cohn-Bendit: Na ja, die war schon damals da. – Was heißt das, seitdem? Frau Merkel will eine Vertragsveränderung. Eine Vertragsveränderung dauert 18 Monate, egal wie sie es macht. Die muss in allen 27 Ländern ratifiziert werden – mit Kroatien sind es 28. Das dauert und es wird vielleicht sogar Referenden in Irland und vielleicht sogar im Vereinigten Königreich geben. Also das geht nicht schnell. Das heißt, entweder gibt es Entscheidungen jetzt, die man jetzt treffen kann. In Vereinbarungen mit dem Europaparlament, unter der Gesetzeslage kann man heute natürlich Stabilität und Solidarität entwickeln. Man kann zum Beispiel sofort mit der Europäischen Zentralbank eine Antwort auf die Finanzkrisen der Länder wie Italien oder Spanien finden. Man kann diese Eurobonds einführen. Aber dann muss einfach Frau Merkel ihre blinde Ideologie oder blind machende Ideologie der Stabilität ein bisschen dann beiseiteschieben. Helmut Schmidt hatte gestern Recht: Diese Art und Weise, wie Deutschland handelt, widerspricht dem Geist der Europäischen Union, nämlich kein Land soll hegemonisch sein. Kein Land heißt: weder Frankreich, noch Luxemburg, noch Deutschland. Und im Moment gebären sich im Grunde genommen die Frau Merkel und Sarkozy als eine Doppel-, also zwei Länder sollen einfach, sollen oder wollen hegemonisch sein, und das schwächt die Europäische Union und das schwächt auch die Abstimmung in der Europäischen Union. Das heißt, es verlangsamt den Prozess.
Kapern: Aber, Herr Cohn-Bendit, nun ist ja jahrelang immer wieder bedauert worden, bemängelt worden, dass der deutsch-französische Motor nicht richtig laufe. Jetzt läuft er auf Hochtouren, und nun ist es auch wieder nicht recht.
Cohn-Bendit: Nein! Das Problem ist ja: Er kann laufen. Wissen Sie, aber wenn er mit 250 auf der Autobahn fährt, ist es auch nicht richtig, denn es ist verboten, so schnell auf der Autobahn zu fahren. Und Laufen bedeutet, Deutschland und Frankreich müssen begründete Vorschläge einbringen – das ist ja nicht falsch -, aber nicht die anderen Staaten dann erpressen. Das ist der Unterschied. Das heißt, wir wollen eine intelligente deutsch-französische Politik, eine solidarische deutsch-französische Politik, die auch Stabilität im Sinn hat, und wir wollen nicht eine Erpressung, das heißt Deutschland erpresst Frankreich, Frankreich lässt sich erpressen, gewinnt ein paar Punkte, weil es an Größe gewinnt, vielleicht an der Seite Deutschlands, aber das ist nicht im Grunde genommen, wie man Europa zu einem gemeinsamen solidarischen Selbstbewusstsein verhilft.
Kapern: Worin erkennen Sie dieses Moment der Erpressung? Denn Merkel und Sarkozy wollen heute Vertragsänderungen vorschlagen, denen alle Länder zustimmen müssten. Also die Zustimmung steht denen ja frei. Wo liegt da die Erpressung?
Cohn-Bendit: Die Erpressung besteht darin, dass das, was die anderen Länder wollen, zum Beispiel Frau Merkel jetzt völlig ablehnt, nämlich die Einführung, die Vergemeinschaftung – das hat Helmut Schmidt ja auch gesagt. Man kann sich nicht umjubeln, sagen in der Einleitung, das ist eine große Rede, und die Inhalte nicht übernehmen. Er sagt, wir müssen natürlich einen Teil der Schulden vergemeinschaften, und natürlich müssen wir einen Teil eine Investition von Europa aus machen, damit die Wirtschaften wieder angekurbelt werden. Und das sind Dinge einfach, in denen Frau Merkel sagt, aber ich werde dem nicht zustimmen. Da ist schon mal die Zustimmung der 27 für eine Vertragsänderung im Hinblick auf Solidarität nicht möglich. Und damit erpresst sie natürlich.
Kapern: Aber Helmut Schmidt hat auch darauf hingewiesen, dass vor der Vergemeinschaftung der Schulden bessere Stabilitätsregeln stehen müssen, und genau das hat doch Angela Merkel gemeinsam mit Nicolas Sarkozy im Sinn, und selbst die Bundesregierung schließt ja nicht völlig aus, dass danach so etwas wie eine Vergemeinschaftung der Schulden kommen könnte.
Cohn-Bendit: Nein, nein. – Wann? In 18 Monaten? – Also hören Sie doch mal auf! Sie haben mir doch eben gesagt, dass die Zeit uns davonläuft, und in 18 Monaten wollen Sie dann irgendwann den Italienern helfen, die das Geld in den nächsten drei Monaten brauchen?
Kapern: Angela Merkel peilt für die Vertragsänderung zwölf Monate an.
Cohn-Bendit: Ja und? Aber in den nächsten vier Monaten braucht Italien das Geld. Also wenn ich noch mathematisch rechnen kann, ist zwölf Monate weit hinter drei bis vier Monaten. Die 150 Milliarden, die Italien braucht, woher nehmen Sie die in den nächsten drei Monaten? Aus Ihrer Tasche beim Deutschlandfunk?
Kapern: Na das wird nicht reichen, schätze ich.
Cohn-Bendit: Ja also! Dann bleiben Sie doch mal bei Ihren Fragen bei dem Zeitablauf. Frau Merkel will in zwölf Monaten, das ist Wunschdenken. Das wird zwischen 12 und 18 Monaten dauern. Sie müssen aber die unmittelbare Finanzkrise, die sie jetzt haben, also die Krise der Staatsschulden, müssen sie jetzt ansatzweise in den nächsten drei bis vier Monaten lösen und nicht in 12 bis 18 Monaten.
Kapern: Da gibt es ja beispielsweise noch den EFSF. Haben Sie den völlig vergessen, Herr Cohn-Bendit?
Cohn-Bendit: Den EFSF? Das ist immer zu wenig und zu spät. Der EFSF wäre vor zwölf Monaten richtig gewesen, ist heute aber zu schwach. Der hat knappe bis jetzt 750 Milliarden zusammengekriegt. Das heißt, man sieht ja, dass der EFSF - - Entweder muss es als Bank deklariert werden, die selbst Geld anders aufnehmen kann, oder sie müssen das in Zusammenarbeit mit der Europäischen Zentralbank machen. Das ist das, was Helmut Schmidt gesagt hat. Jede Entscheidung – wenn sie Stabilität zum Beispiel wollen und einen neuen Stabilitätspakt und wenn sie eine Macht dem Kommissar geben wollen, noch auch in europäische, in nationale Haushalte reinzufummeln, dann müssen sie auch jemand haben, der demokratisch den Kontrolleur kontrolliert. Das ist auch so in jeder parlamentarischen Demokratie. Eine Regierung wird von einem Parlament kontrolliert. Das ist in Deutschland so und das muss auch so sein. Das heißt, wenn sie jetzt zum Beispiel – das ist gar nicht vorgesehen -, wenn sie neue Macht der Kommission geben müssen, müssen sie diese Macht demokratisch durch das Europäische Parlament kontrollieren, und diese Vertragsänderung, wo sie eine Vereinbarung brauchen, um die so schnell zu machen, zwischen den Regierungen und dem Parlament – so sieht es Lissabon vor. Diese Vereinbarung – ich hoffe es und das ist der Kampf, den wir jetzt führen werden, und er hat ja Martin Schulz aufgefordert; und dann gehen wir mal so: die Liberalen, dann werden wir mal sehen, und das ist dann die Mehrheit im Europaparlament – wird es nicht geben in diesem schnellen Verfahren, wo dem das Europäische Parlament zustimmen muss, wenn nicht auch eine parlamentarische Kontrolle der neuen Macht, die die Kommission haben soll, auch wirklich vertraglich festgelegt wird.
Kapern: Daniel Cohn-Bendit war das, der Ko-Vorsitzende der Grünen-Fraktion im Europaparlament. Herr Cohn-Bendit, danke für das Gespräch heute Morgen.
Cohn-Bendit: Bitte!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.