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Vor 150 Jahren geboren
Colette - Die Grande Dame der französischen Literatur

Während sie in Frankreich als große Stilistin gilt, tut man Colette in Deutschland noch immer als Unterhaltungsschriftstellerin ab. Für Furore sorgte die gefeierte Autorin nicht nur mit über 60 Titeln – sondern auch als Tänzerin und Artistin.

Von Maike Albath |
Die französische Schriftstellerin, Varietékünstlerin und Journalistin Colette. (Undatiertes Archivbild) Die 1873 in der Region Burgund  Geborene - mit vollem Namen Sidonie Gabrielle Claudine Colette, starb 1954 in Paris und bekam als erste Frau in Frankreich ein Staatsbegräbnis.
Die französische Schriftstellerin, Varietékünstlerin und Journalistin Colette. (Undatiertes Archivbild) Die 1873 in der Region Burgund Geborene - mit vollem Namen Sidonie Gabrielle Claudine Colette, starb 1954 in Paris und bekam als erste Frau in Frankreich ein Staatsbegräbnis. (picture alliance / AFP )
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts macht in der französischen Literatur ein Mädchen aus der Provinz Furore: Claudine. Sie gibt sich unbekümmert und verdreht jedem den Kopf: „Ich streiche mit dem durchdringenden Ausdruck einer liebestollen Katze umher …“

Als Sidonie Gabrielle Colette 1873 im Burgund geboren

Erfunden hatte die vorwitzige Schülerin eine junge Frau mit einem imposanten Lockenkopf: Colette, verheiratet mit dem Pariser Schriftsteller-Impresario Henry Gauthier-Villars. Sie wurde am 28. Januar 1873 als Sidonie Gabrielle Colette in Saint-Sauveur-en-Puysaie im Burgund geboren. Ihr Vater war ein kriegsversehrter Offizier mit literarischen Ambitionen, die Mutter vermittelte ihr einen starken Freiheitsdrang. Dazu die Romanistin Bettina Lindorfer:
„Die Texte, die sie geschrieben hat, und die sehr, sehr populär waren, mit denen auch Seifen und Hüte und Hemden kommerzialisiert wurden, diese Texte sind von ihrem Mann signiert worden, Willy. Willy war offiziell der Autor, und sie war die Ghostwriterin.“

Wie sich Colette zur starken Marke machte

Willy sicherte sich auch die Rechte an der vierbändigen Reihe, denn er wusste, was das Publikum wollte. Feurige Liebesschwüre, Techtelmechtel unter Frauen, Ehebrüche - Colette ließ nichts aus, so Bettina Lindorfer:
„Mit Willy und Colette zeigt sich so etwas wie eine Vermarktungsmaschine, die wirklich anläuft. Erst mal sind das natürlich Druckmedien, Plakate, Zeitungen, aber auch Radio und dann auch Film. Es ging dann ja auch so weit, dass ihre Romane im Theater inszeniert wurden, die Figuren waren die bekanntesten Theaterschauspielerinnen der Zeit, und es ging dann so weit, dass Willy die Schauspielerin, die die Figur verkörpert hat, so inszeniert hat, als würden die eine  Ménage-à-trois machen, das war dann wieder so ein Vermarktungseffekt.“

Spiel mit den Geschlechterrollen

Und schließlich tut Colette das, was ihrer Heldin Claudine schon vorher gelingt: Sie verlässt ihren Mann, schlägt sich als Varietékünstlerin durch und schreibt darüber. Leben und Werk sind bei ihr ein und dasselbe; und sie spielt mit den Geschlechterrollen, so Bettina Lindorfer:
„Sie war ja drei Mal verheiratet insgesamt, hatte bisexuelle Beziehungen, sie hatte zu einer ganz wichtigen Dame des Hochadels, die hat sich selbst Missy genannt, eine Beziehung, und die hat Skandal gemacht. Zum Beispiel ist sie 1907 mit Missy zusammen im Moulin Rouge aufgetreten, sie war eine Mumie, die sich selbst enthüllt hat, und hat diese Missy auf eine Weise geküsst, dass die Leute skandalisiert waren, da war die High Society versammelt, 1907 im Januar. “

Chéri - ist mitnichten eine Frau

Colette versteht sich glänzend auf die Psychologie ihrer Figuren. Nicht nur Marcel Proust, auch André Gide, die große Autorität der Literaturszene, begeistert sich für den Roman „Chéri“ von 1920. Chéri ist mitnichten eine Frau, sondern ein verzogener junger Mann, Geliebter der 49-jährigen Lea. Im Roman heißt es:
„Sie legte sich wieder auf den Rücken und stellte fest, dass Chéri am Abend vorher seine Strümpfe auf den Kamin, seine Unterhose auf den Lampenschirm und seine Krawatte einer Büste von Lea um den Hals geworfen hatte.“
Am Ende bedauert Lea, so viel Zeit mit Chéri vergeudet zu haben, statt ihre Liebhaber regelmäßig zu wechseln. Auch Colette selbst ist wenig beständig, sagt Bettina Lindorfer:
„Sie hat schon auch sehr opportunistische Seiten. Sie schreibt für sehr reaktionäre Zeitungen. Sie ist antifeministisch. Sie ist nicht rundherum eine positive Identifikationsfigur für heute, aber ein Phänomen.“

Arrangement mit der Vichy-Regierung

Als Colette mit ihrem rasanten Feuilletonroman „Gigi“ 1942 wieder einen Coup landet, gilt sie längst als Grande Dame der französischen Literatur. Mit der Vichy-Regierung setzt sie sich ins Benehmen, kann aber ihren jüdischen Ehemann vor der Deportation bewahren. Nach dem Krieg erfährt die schwer an Arthrose erkrankte Colette große offizielle Anerkennung: Sie wird in die Jury des Prix Goncourt gewählt. 1950 dreht Yannick Belon eine Dokumentation über Colette.
Man wolle an sämtlichen Schreiborten drehen, erklärt ihr ihr Ehemann. Wenn man alle ihre Wohnungen zeigen wolle, kommentiert die umschwärmte Schriftstellerin ironisch, würde es ein sehr langer Film werden, schließlich sei sie vierzehn Mal umgezogen. Als sie im August 1954 stirbt, erhält sie als erste Frau ein eindrucksvolles Staatsbegräbnis.