Flexibilität – seit Beginn der 1990er Jahre gilt sie zunehmend als das Nonplusultra einer fortschrittlichen Arbeitsmarktpolitik. Mit ihrer Hilfe könnten Arbeitgeber über Arbeitskräfte nach Belieben verfügen und damit den Erfordernissen des freien Marktes entsprechen; Arbeitnehmer hingegen ihre Arbeitseinsätze zunehmend freier einteilen. Vorerst perfektioniert wurde diese Vision beziehungsweise Illusion in der sogenannten Plattformökonomie.
Über dieses im Englischen "Gig Economy" genannte Phänomen hat der britische Politikwissenschaftler Colin Crouch ein Buch geschrieben. Analog eines "Gigs", eines einmaligen Engagements von Musikern, würden bei dieser Form der Arbeitsgestaltung Menschen frei darüber entscheiden, wann und wieviel sie arbeiten – und all das meist organisiert über eine Internetplattform. Bei Taxifahrern ist das beispielsweise die international aufgestellte Plattform Uber, bei Handwerkern in Deutschland die Internetseite MyHammer oder bei Essenslieferanten die Seite Lieferando.
Täuschung der Arbeitnehmer
So schön wie die neoliberale Theorie diese flexible Gestaltung von Dienstleistungsjobs über Internetplattformen anpreist, sei die Praxis allerdings nicht, befindet Crouch. Das Problem liegt für den Autor zum einen in der handfesten Prekarität, die von derart unsicheren und ausbeuterischen Arbeitgeberpraktiken ausgehe:
"Die Plattformanbieter machen ihren Arbeitskräften vor, dass sie selbstständige Unternehmer seien, während sie in Wirklichkeit nur durch und durch subalterne, streng überwachte Rädchen einer gewaltigen Gewinnmaximierungsmaschinerie sind."
Zum anderen moniert Crouch, dass diese Arbeitsform, anders als angepriesen, eben nicht von Wahlfreiheit für die Dienstleister gekennzeichnet sei, sondern stattdessen ein
"zynisches Manöver, eine prekäre Beschäftigungsform mit der Romantik des Entertainmentgewerbes aufzuhübschen".
Prekarisierung nimmt zu
Mit seiner noch nicht einmal 120 Seiten umfassenden Studie präsentiert Crouch allerdings keine umfassende Analyse der Dienstleistungsplattformen, sondern behandelt sie vor allem als Aufhänger und als Symptom einer viel weitreichenderen Entwicklung: Er beschreibt den Wandel des sogenannten Normalarbeitsverhältnisses hin zu prekären Arbeitsmodellen, von denen die Plattformwirtschaft nur eines, vielleicht auch nur ein temporäres sei. Andere Beispiele sind der deutsche Minijob oder ungewollte Teilzeitarbeit. Wegen dieser Schwerpunktverschiebung mangelt es dem Buch an einigen Stellen an inhaltlicher Trennschärfe.
In seiner ansonsten prägnanten und auf jegliche Schnörkel verzichtenden Analyse vergleicht Crouch verschiedene hochentwickelter Ökonomien. Er kommt zu dem letztlich nicht überraschenden Schluss, dass vor allem Junge, Frauen, Migranten und Menschen ohne Berufsqualifikation Leidtragende dieser modernen und prekären Arbeitsmodelle sind. Aber auch unbefristet und fest angestellte Arbeitnehmer würden zunehmend von Prekarisierung bedroht, schreibt Crouch.
Zahme Reformvorschläge
Eindrucksvoll beschreibt er das zunehmende Machtungleichgewicht zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern. Seine Studie ist damit auch eine nüchterne und alarmierende Analyse über den neoliberalen Arbeitsmarkt und die schwindende Sozialstaatlichkeit.
Crouch zeichnet hierbei ein ähnlich düsteres Bild wie das über die sogenannte "Postdemokratie" – eine Zeitdiagnose, mit der der Autor in den 2000er Jahren bekannt geworden war. Allerdings wirkt "Gig Economy" im direkten Vergleich eher blass. Das liegt auch an den zahmen Reformvorschlägen des Autors: Zum einen solle die Gewerkschaftsbewegung neu belebt werden, zum anderen fordert er eine Ausweitung der Versicherungspflicht für Arbeitgeber:
"Alle Unternehmen und anderen Organisationen, die über einen bestimmten Schwellenwert hinaus Dienstleistungen von Arbeitskräften nutzen, müssen Sozialversicherungsbeiträge entsprechend der Anzahl der Stunden abführen, [...] ungeachtet dessen, ob ihr Vertrag mit den Anbietern der Arbeitskraft ein Arbeitsvertrag ist und ungeachtet der Dauer dieses Vertrags."
Arbeitnehmerfreundliches Verhalten würde den Unternehmen jedoch substanzielle Beitragsnachlässe bescheren.
Pragmatismus statt Grundeinkommen
Trotz seiner Forderungen im Sinne der Arbeitnehmer setzt auch Crouch weiterhin auf Leistung, Effizienz und Produktivität. Seine Vorschläge richteten sich daher,
"in keiner Weise gegen die Forderung nach mehr Flexibilität, Innovation und Unternehmergeist".
Folgerichtig lehnt der Autor eine andere prominente Alternative – das bedingungslose Grundeinkommen – rundweg ab. Deswegen empfiehlt sich die Lektüre vor allem für Pragmatiker, die das System nicht von Grund auf revolutionieren wollen, aber durchaus daran interessiert sind, Ausbeutung und Abhängigkeit in der gegenwärtigen und zukünftigen Arbeitsrealität zu begegnen.
Colin Crouch: "Gig Economy. Prekäre Arbeit im Zeitalter von Uber, Minijobs & Co.",
Suhrkamp, 136 Seiten, 14 Euro.
Suhrkamp, 136 Seiten, 14 Euro.