"Wir hatten den Mars angesteuert. Wie soll ich wieder heimkehren? Wie auch nur überleben? Sie überrumpelten mich. Hätte ich mich wehren sollen? Mein Gastgeber ist, wie er mich nach der Verhaftung wissen ließ, Besitzer der größten Rauschblattplantage des Katzenreichs."
Katzenmenschen haben sich auf dem Mars eine Zivilisation aufgebaut; sie stehen für das chinesische Volk in Lao Shes fast hundert Jahre altem Roman "Die Stadt der Katzen". Eine Zusammenfassung der Science-Fiction-Geschichte in Comicform ist das Herzstück von Sascha Hommers "In China".
"Dieser Roman sollte damals, Anfang des 20. Jahrhunderts, die Verkommenheit der chinesischen Gesellschaft, ausgeblutet durch die Opiumkriege und die kolonialen Mächte, porträtieren."
Auch Hommers Graphic Novel befasst sich mit der chinesischen Gesellschaft; allerdings ist "In China" keine Science Fiction.
"Es handelt sich um meinen persönlichen Reisebericht, das heißt meine Reise nach Chengdu im Jahr 2011 wird beschrieben. Allerdings geht es auch ganz stark um das Leben meines Freundes dort. Also, er ist Deutscher und ist jetzt seit mittlerweile 14 Jahren dort im Land, ist also ausgewandert, kann man sagen."
Sascha Hommer hat selbst vier Monate in der Stadt Chengdu verbracht, in der er ein paar Jahre vorher schon einmal war. Die Idee, einen Comic über seine Erfahrung zu schreiben, ist aber in Deutschland entstanden - bereits im Jahr 2008, nach einem großen Erdbeben in der chinesischen Provinz Szechuan. Hommer, der dank in China lebender Freunde viel über das Land wusste, war entsetzt über die Berichterstattung in den deutschen Medien.
"Die Story drehte sich eben in den meisten Berichten eben nicht mehr um die wirklichen Opfer des Erdbebens, sondern um diesen Vergleich: Wir sind die guten und die sind die Bösen. Das, was da teilweise in den Zeitungen stand, das war auch für mich ersichtlich, obwohl ich kein Chinesisch kann, und sicher auch kein China-Experte bin, teilweise Unsinn, teilweise bösartige Propaganda."
Einblick in eine chinesische Expat-Szene
"In China" spielt in der Expat-Szene, einem bunt zusammengewürfelten Kreis von Ausländern in Chengdu. Die Expats im Comic und ihre Geschichten haben reale Vorbilder. Vor allem aber erzählt Hommer von seiner eigenen Erfahrung, die mehr mit einem Selbstversuch als mit Tourismus zu tun hatte.
"Man kann quasi nicht dort hingehen und sich einbilden Chinese zu werden, ich versuche es trotzdem, und zwar indem ich mir zum Beispiel eine Wohnung suche, indem ich mir einen Nebenjob suche und ähnliche Dinge die zum Alltag dazugehören."
Die Chinesen zeichnet Hommer in seinem Comic wie Figuren aus einem Manga; stark ans Kindchenschema angelehnt, mit runden Gesichtern und Kulleraugen. Während die Ortsansässigen sich alle ähnlich sehen - Sascha Hommer kommentiert damit seinen eigenen, europäisch geprägten Blick - sind die Expats deformiert, sehen aus wie Tiere oder Aliens.
"Das ist einfach eine Entsprechung meiner Wahrnehmung. Wobei man dazu sagen muss, dass die Stadt auch ein besonderer Ort ist, wo so vor allem Aussteiger traditionell gelandet sind, dass die Ausländer alle versuchen, so ganz stark Individualisten zu sein, sich einen eigenen Anstrich zu geben, aber auch total fremd bleiben im Land."
Mischung aus Tusche und digitaler Nachbearbeitung
"In China" ist ein spannender und gleichzeitig liebevoller Blick auf eine fremde Kultur, eine Nahaufnahme aus der Perspektive eines Außenseiters, ein vergeblicher Versuch einer Annäherung. Die Expats in Hommers Chengdu leben in einer Zwischenwelt, fernab von ihrer eigenen Gesellschaft, und werden doch, so sehr sie es auch anstreben, kein Teil der chinesischen. Von dem Frust, der das Projekt losgetreten hatte, ist im fertigen Comic nicht viel übrig geblieben.
"Ganz entgegen meines ursprünglichen Anspruches, als ich so wütend war über die anti-chinesischen Berichte, was mir wichtig war im Endeffekt, war eben gerade keine politische Botschaft, kein Systemvergleich, kein Urteil über ein riesiges, und für mich nicht in Urteilen fassbares Land wie China abzugeben."
Stattdessen ist Sascha Hommer ein differenziertes Reisetagebuch gelungen. Optisch ist "In China" eine Mischung aus Tusche und digitaler Nachbearbeitung, dominiert von Grautönen. Hommers immer leicht unbehagliche Zeichnungen erzeugen die richtige Stimmung für die Erzählung, in der sich persönliche Beobachtungen aus der Fremde mit eingeschobenen Fakten und Anekdoten aus Kultur und Geschichte mischen, wie die Nacherzählung des Lao She Romans.
"Die Katzen blicken auf eine mehr als zwanzigtausendjährige Geschichte zurück, und es wurden so viele Erfindungen gemacht, dass niemand sie zählen kann. Mit einiger Mühe gelang es mir, die fremde Sprache zu erlernen. Bald schon begann ich, meine Umgebung besser zu verstehen."
Einen Kulturschock erlebte Sascha Hommer allerdings nicht nur bei seiner Ankunft in Chengdu; auch die Rückkehr nach Hamburg war erst mal holprig.
"Es gibt ja gar keine Hochhäuser und es gibt auch fast keinen Verkehr; auch keinen Geräuschpegel, der irgendwie hörbar ist, und es sind kaum Menschen auf der Straße. Also das ist so ein Schockerlebnis was man hat, weil man es anders gewohnt ist, über mehrere Monate Menschenmassen gesehen hat, sobald man sich aus dem Haus bewegt und auch der Verkehr quasi sofort Lebensgefahr bedeutet, sobald man die Straße betritt auf zehnspurigen Fahrbahnen. Der Schock bleibt aber in dem Sinne, dass man sich der Relativität der eigenen Wahrnehmung sehr stark bewusst wird."