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Comic "Der große Indienschwindel“
Fiktionen glaubwürdiger als Fakten

Kann ein arbeitsscheuer Abenteurer im Amerika des 17. Jahrhunderts das große Glück machen? Das kommt darauf an, wie man die Geschichte erzählt, legt der Comic „Der große Indienschwindel“ nahe – und lässt den Abenteurer in einer Variante sein ganz persönliches Eldorado finden.

Von Andrea Heinze |
Seefahrer-Szenen aus "Der große Indienschwindel" von Alain Ayroles und Juanjo Guarnido
Szenen aus "Der große Indienschwindel" von Alain Ayroles und Juanjo Guarnido (Splitter Verlag)
Pablos wird immer wieder von Schicksalsschlägen aus der Bahn geworfen, das macht Szenarist Alain Ayroles schon auf den ersten Seiten klar. Da reist er mit einem Segelschiff nach Amerika, das damals noch Indien genannt wird, wird beim Falschspiel erwischt und kurzerhand über Bord geworfen:
"Oh Weh! Die Armen sind arm dran. Man glaubt, das Leben im Griff zu haben, aber immer wieder ist es umgekehrt."
Pablos landet bei einer Gruppe von Schwarzen, die auf dem Weg zum Sklavenmarkt Schiffbruch erlitten haben und eine Siedlung aufbauen. Die neue Welt verspricht Aufstieg für alle.
"Wir werden unsere wiedergewonnene Freiheit nicht vergeuden, indem wir das Unrecht der Vergangenheit wiederholen. Wir bauen hier ein Land auf, indem es weder Könige noch Sklaven, weder Arme noch Reiche gibt. In dieser Welt hat jeder seinen Platz. Auch Du, Pablos, hast hier Deinen Platz – überleg´s Dir."
Gauner und Glücksritter
Pablos will keinen Platz in dieser Siedlung, weil er dort genauso arbeiten müsste, wie alle anderen. Pablos will einfach reich werden, genauso wie der Adel es damals war. Und weil er alles andere als adelig ist, muss er eben die ein oder andere Gaunerei anwenden. Zeche prellen und Freunde verraten gehört ebenso dazu, wie die skrupellose Jagd nach dem legendären Gold des Eldorado, das so viele Glücksritter in die neue Welt gelockt hat.
All das erzählt Pablos ganz freimütig, und es macht ihn nicht gerade sympathisch. Pablos Rede verwundert umso mehr, weil er seine Geschichte auf der Folterbank des spanischen Regierungsbeamten Señor Aguacil erzählt. Der ist hinter dem Gold aus Eldorado her, das Pablos offenbar tatsächlich gefunden hat und im Dschungel zurücklassen musste. Wieder mal hat Pablos alles verloren:
"Arm war ich, und arm werde ich bleiben."
Held und Humorist
So endet das erste Kapitel dieses furiosen Comics, in dem nicht nur Pablos von seinem Schicksal mächtig durchgeschüttelt wird, sondern die Leser gleich mit. Denn der Zeichner Juanjo Guarnido wechselt rasant die Szenerien: Auf die bedrohlichen Folterszenen in dunklen Rot-Tönen folgen frische felsig-graue Bergkuppen oder das satte Grün des dichten Urwalds. Und durch all die Strapazen und Handgreiflichkeiten stolpert der Held mit der Mimik und Gestik eines Slapstick-Schauspielers.
Der Szenarist Alain Ayroles schreibt mit "Der große Indienschwindel" den spanischen Schelmenroman "El Buscon" aus dem frühen 17 Jahrhunderts fort – mit demselben Helden, dem überspitzten Humor und den grausam-grotesken Schicksalsschlägen. Im zweiten Teil des Comics kommt es durch Pablos Schilderung des Eldorado zu einer handfesten Regierungsintrige. Und im dritten Teil dann der große Coup der Comickünstler:
"Ich gestehe, ich habe gelogen. Alles, was ich erzählt habe, ist ein Gespinst aus Erfindungen und Weglassungen. Aber Euch, ja Euch sage ich die Wahrheit."
Was dann folgt, ist die Erzählung des Oberschurken Pablos, der keinen besonderen Plan für sein Leben hat, aber jede Gelegenheit mit großer Niedertracht für sich zu nutzen weiß: Die Schwarzen aus der Siedlung hat Pablos an einen Sklavenhändler verkauft. Weggefährten werden schamlos übers Ohr gehauen. Und sogar das Verhör durch Señor Aguacil ist eingefädelt, um diesem Regierungsbeamten den ganz realen Staatsschatz abzujagen.
Das frappierende an dieser Geschichte: Comicautor Alain Ayroles lässt Pablo die erste Version seiner Geschichte am Anfang des Comics mit ganz ähnlichen Worten erzählen, wie die zweite Version am Ende. Es sind nur kleine Verschiebungen in Text und Bild, die doch ein komplett anderes Licht auf die Geschichte werfen. Und ist die letzte Erzählung nun die Wahrheit? Man weiß es nicht. Der alte Pablos hat jedenfalls einen phänomenalen Aufstieg hingelegt.
Fakten und Fiktionen
"In diesem Jahrhundert des Handels ist List und Habgier gefragt. Dieses Zeitalter ist für mich geschaffen! Durch beharrliches Täuschen und spitzbübischen Einfallsreichtum kann ein namenloser Langschläfer zum Herrscher eines Reichs werden. Um meinen Status zu verbessern, wusste ich meine Moral verändern – zum Schlechteren!"
Eine unterhaltsam erzählte Geschichte ist glaubwürdiger, als eine Reihe von Fakten. Das hat Pablos so gut begriffen, als wäre er ein Kind des Informationszeitalters mit seiner Fake News und ausgefeilten Kommunikationsstrategien. Und weil der Comic "Der große Indienschwindel" so unglaublich gut erzählt ist, glaubt man diesem Schelm Pablos jede einzelne seiner Geschichten – und ist zugleich bestürzt die eigene Blauäugigkeit so unterhaltsam vorgeführt zu bekommen.
Alain Ayroles, Juanjo Guarnido: "Der große Indienschwindel"
Splitter Verlag Bielefeld, 2019. 160 Seiten, 35 Euro.