"Weisse Wölfe" - eine grafische Reportage von David Schraven und Jan Feindt. Auf dem Cover: der Lauf einer Waffe, direkt auf uns gerichtet. Erste Seite: vier Zeilen aus dem Song "Zieh mit den Wölfen" der Band Böhse Onkelz. Dann eine Tagebuchseite, handschriftlich. Dann eine Straßenszene, der Blick wie durch eine verdunkelte Scheibe. Dann David Schraven als gezeichnete Figur, leere Redaktionsräume. Ihm spukt eine Frage im Kopf herum. Warum hat der rechtsextreme NSU ausgerechnet in Dortmund gemordet?
So der Auftakt der mehrfach ausgezeichneten grafischen Reportage von 2015. Journalist David Schraven tritt darin als Comicfigur selbst auf. Wir folgen seinen Überlegungen und seinem Rechercheweg.
"Was wir da gemacht haben, ist 'ne Reportage, ein Feature, in dem man sich als zusätzlicher Erzählebene der Grafik bedient. Das ist eine ganz alte, ganz klassische Form. Die ersten frühen Reportagen waren illustriert. Und das ist auch hier der Fall. Das ist eine Illustration, 'ne Interpretation der Wirklichkeit."
Geeignet, um eine neue Leserschaft zu generieren
Schraven ist überzeugt, dass Comics auch dafür geeignet sind, eine Leserschaft zu generieren, die sich durch konventionelle Formen journalistischer Berichterstattung nicht besonders angesprochen fühlt. Diese Erfahrungen machte er, als ihm die Idee zu einer Enthüllungsgeschichte über die Verbindungen von NSU und anderen rechten Terrorbanden kam.
"Als ich dann die Geschichte recherchiert hatte, hab ich mich gefragt: Moment, wen erreiche ich? Wie erreiche ich die Leute? Und dann ist die Idee geboren worden, eine Reportage zu machen. Also eine grafische Reportage, kein klassisches Buch, sondern eben einen Comic."
Schwarz ist die dominierende Farbe im Comic. Die Zeichnungen von Jan Feindt sind fotorealistisch und mit grafischen Elementen kombiniert. Sie erzählen bildlich von Hass und Gewalt. Text braucht es dazu kaum. Informationen liefern Auszüge aus Originaldokumenten. Immer wieder gibt es auch schwarze Seiten. Die Nazi-Embleme darauf wirken in ihrer reinen Brutalität.
"Der Zeichner hat auch die Möglichkeit virtuelle Inhalte wiederzugeben, die der Text so eben nicht veranschaulichen kann. Vom Text kann ich mich distanzieren. Seine Vorstellung dessen, wie das dann aussehen würde, haben wir auch bildlich vor uns. Das heißt, der affektive Wirkungsgrad dieses Textes ist, denke ich, in dem Fall um einiges höher - als bei einem rein textlichen Text."
Das Fiktionale beginnt sehr viel früher
Welche Effekte grafische Reportagen bei Betrachtern erzeugen, dazu forscht Michael Heinze an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Zusammen mit der Geschichtswissenschaftlerin Susanne Brandt hat er im vergangenen Semester die Ringvorlesung "Krieg und Migration im Comic" organisiert. Das Interesse an den neuen graphischen Erzählformen sei groß. Doch, weil Comics interdisziplinär betrachtet werden müssen, geraten die klassischen Wissenschaften dabei an ihre Grenzen. Susanne Brandt sieht noch einen weiteren Grund dafür, warum der Comic-Journalismus auf Widerstände stößt.
"Wenn man sich mit Comics beschäftigt, wird einem da sehr viel schneller bewusst, dass das Fiktionale sehr viel früher beginnt. Und da sind vielleicht auch so Leute sehr viel stärker, die transparenter machen - ihren Konstruktions- und Fiktionalisierungsprozess."
Dabei ist eines ganz klar: Wir sehen hier eine sehr subjektive Sicht auf die Dinge. Für die einen liegt genau darin die Stärke des Comic-Journalismus. Denn das Gesagte wirkt durch die personalisierte Perspektive sehr glaubhaft auf den Betrachter.
Die Gefahr der Manipulation
Aber es gibt auch Kritikpunkte am neuen Genre. Michael Heinze: "Wenn ich als Comic-Künstler diesen Gesichtsausdruck zeichne, dann lege ich natürlich eine Interpretation vor. Er schaut mich fragend an. Aber ich glaube, da hat einfach die Zeichnung den weitaus größeren Wirkungsgrad. Das heißt, ich kann hier viel mehr Einfluss auf den Leser nehmen und dann habe ich eventuell auch eine höhere Fiktionalisierung."
Die Gefahr der Manipulation ist also groß. Dennoch sehen viele Medienwissenschaftler im Comic-Journalismus ein großes Potential.
"Zumindest aus dem anglophonen Raum kann ich sagen, dass Journalismus auch experimentierfreudiger ist, als ich das in Deutschland wahrnehme. Es gibt in Deutschland genauso wie zwischen der hohen Literatur und der Unterhaltungsliteratur auch diesen ganz klar anspruchsvollen Journalismus und den Alltagsjournalismus. Das ist im angloamerikanischen Raum viel fließender. Wenn die vielleicht auch kritisiert werden, aber es gibt schon die Freiheit, zumindest solche Experimente zu machen."