"Ein Wort an die Eltern und Erzieher - Wie soll eine Jugendzeitschrift beschaffen sein?" In ihren frühen Jahren musste die "Micky Maus" noch stark am Image arbeiten. In jedem Comicheft gab es einen seriös-lehrreichen Mittelteil, der auch einen Hinweis für misstrauische Erwachsene enthielt, Walt Disney garantiere für "moralisch saubere" Geschichten. Als das erste Heft am 29. August 1951 in den Handel kam, standen Bildergeschichten generell im Schmutz und Schund-Verdacht. Sechs Jahre nachdem der Zweite Weltkrieg mit seinen Ungeheuerlichkeiten geendet hatte, schien sowohl dem westdeutschen Bürgertum wie den Genossen in der DDR das Abendland bedroht durch bunte Tiergestalten, die in Sprechblasen kommunizierten. Dabei übersahen sie, dass es eine deutsche Comic-Kulturtradition gab, wie einmal Hans Joachim Neyer, früherer Direktor des Wilhelm Busch-Museums in Hannover, anmerkte:
"Als Museumsmann würde ich heute sagen, dass die Micky Maus ein großartiger Gewinn ist in der Fortführung einer europäischen Tradition, die Disney kannte, und diese europäische Tradition fußt unter anderem in Wilhelm Busch, fußt in ‚Vater und Sohn‘ bis hin zu Loriot, dem Hochverehrten."
Bescheidene Anfänge
Dass Entenhausens viele Bewohner einen sagenhaften Aufstieg bis hinein in die einst beleidigten Feuilletons erleben würden, konnte anfangs niemand ahnen, sagt die langjährige Micky Maus-Übersetzerin Erika Fuchs: "Das fing ganz einfach an, mit vier Mann. Und die waren alle ganz wahnsinnig jung, das war alles in einem Zimmer, die haben die Sachen selber zur Post gebracht." - Und zwar mit dem Fahrrad.
Den geistreichen, fordernden, völlig unverkindschten Sprechblasen von Erika Fuchs verdankt das Genre viel. Die sprachkundige, promovierte Kunsthistorikerin und Mutter erwachsener Kinder war auf der Suche nach Aufträgen an diese neuartigen Bildergeschichten geraten. Was sie, als Micky Maus Chefredakteurin und Übersetzerin aus den Comic-Charakteren der Hefte machte, vor allem den besonders sprechenden Figuren des Zeichners Carl Barks, wurde legendär.
"Also, ich habe Arbeiten gesehen von Germanisten, die mir alles nachgewiesen haben, wo es herkommt, sehr viel aus Piccolomini!"
Wie Schiller ins Micky-Maus-Heft kam
Also aus dem zweiten Teil der Wallenstein-Trilogie von Friedrich Schiller, mit dem die Generation Fuchs, Jahrgang 1906, imprägniert war. Gern holte Erika Fuchs den Klassikerton aus der Sphäre großdeutschen Bildungsdünkels ins Entenhausener Panoptikum. Ihr Donald Duck rief noch auf schwanker Hängebrücke dem angreifenden Gorilla zu: "Was ficht dich an, du Untier?"
Die Familie Duck, die rechtschaffene Micky Maus, der Schweinchen jagende Kleinganove Ede Wolf, die kriminelle Vereinigung der Panzerknacker - über die Ursprünge im Trickfilm wurden alle Charaktere weit hinausgeführt. Bis heute generiert der Kosmos Entenhausen Geschichten und – trotz vervielfachter Produktion - neue sentimentale Leserbindungen.
"Unter anderem das Lustige Taschenbuch, und dort ist es wirklich de facto so, dass die Hälfte der Käufer, ist älter als 19 Jahre alt", sagte der frühere Chefredakteur Peter Höpfner. Hochglänzende Heftreihen samt Plastik-Gimmicks bestimmen heute das Bild, internationale Zeichner produzieren viel Masse - mit Glanzlichtern hier und da. Hochglänzende Heftreihen samt Plastik-Gimmicks bestimmen heute das Bild, internationale Zeichner produzieren viel Masse - mit Glanzlichtern hier und da.
Derweil vermarktet der Verlag und Disney- Lizenznehmer Egmont-Ehapa die große Zeit der Micky Maus in immer neuen Auflagen einst eifersüchtig gehüteter Carl Barks-Geschichten - dieser Markt winkte, als die in den 70er-Jahren aufbrechende Sammlerszene alte Hefte, sofern nicht von ahnungslosen Müttern entsorgt, sehr teuer gemacht hatte.
Ermittelt die Sprachpolizei in Entenhausen?
Donaldisten und Duckianer mussten mit den Neuauflagen aber auch Experimente ertragen, wie seinerzeit die ans Amerikanische angelehnte Übersetzung von Peter O. Chotjewitz - ein Fehlschlag. Wer eine Erika Fuchs hat, rührt nicht dran - oder doch? Kürzlich entdeckte der Germanist Achim Hölter, dass der alles Parodistische gefährdende, von ihm sogenannte Diskurs der Überempfindlichkeit in Entenhausen angekommen ist, mit einem Maßstab, der einleuchtende Textänderungen willig überschreitet. Aus dem braven Schwein und Mitbürger Fridolin Freudenfett, strahlend im Glück seiner Leibesfülle, wurde ein lahmer Fridolin Freundlich. Weitere, noch politischere Revisionen sind angekündigt.