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Comic
Realität mischt sich mit Räuberpistole

Der Journalist Alexander Bühler berichtet normalerweise aus Krisenregionen als Auslandskorrespondent. Nun hat er die Graphic Novel "Emilio Tasso" über eine Recherche im Kongo verfasst - alles andere als objektiv.

Von Kai Löffler |
    In der Ortschaft Luvungi in der Provinz Nord-Kivu im Osten der Demokratischen Republik Kongo wurden 2010 mindestens 242 Frauen, darunter auch 20 Kinder von den FDLR-Rebellen (Demokratische Kräfte zur Befreiung Ruandas) vergewaltigt. Einige von ihnen mehrfach. UN-Soldaten waren im Nachbardorf stationiert und griffen nicht ein.
    Der Autor Alexander Bühler hat den Kongo neun mal bereist und seine Eindrücke in seiner ersten Graphic Novel festgehalten. (dpa/Yannick Tylle)
    "Mir wurde von einem Helfer ein Gorillababy angeboten. Und ich tat dann so als würde ich im Auftrag eines Zoos vielleicht interessiert sein. Dann hab ich die UN darauf aufmerksam gemacht, und dann sagten die mir, nee, das ist zu gefährtlich. Und der stellvertretende UN-Kommandeur, ein Inder, der sagte, okay, du musst Goma sofort verlassen. Wenn jemand dir schon sowas anbietet, dann heißt das, da sind höhrere Leute drin verwickelt, und wenn man die stört, dann werden die sehr unangenehm. Dein Leben ist exakt zwölf Dollar wert, weil das kostet ein Mörder."
    Journalist Alexander Bühler hat genau das in der kongolesischen Stadt Goma erlebt; die Episode ist außerdem Teil seiner ersten Graphic Novel: Emilio Tasso:
    "Wenn die Soldaten Ausgang haben und sich betrinken, kann es schnell gefährlich werden. Später wache ich auf, weil es unten verdammt laut ist. Ich habe Durst, doch Trinkwasser bekomme ich nur an der Bar. Wohl oder übel muss ich an den Soldaten vorbei."
    Fiktion und Hintergrundinformationen
    Die Titelfigur ist - genau wie der Autor - Journalist, arbeitet im Kongo an einer Story über Flüchtlinge und hört dabei Gerüchte von einem abgebrochenen und seit Jahrzehnten vergessenen Bauprojekt: einer prunkvollen Residenz des belgischen Königs tief im Urwald und einer Eisenbahnlinie, die dorthin führen sollte. Tasso beschließt, der Geschichte nachzugehen. Bevor sein Abenteuer beginnt, versorgt Bühler den Leser aber noch mit Hintergrundinformationen.
    "Die UN wurde in die Kämpfe hineingezogen, weil der kongolesische Präsident um Hilfe bat. Im Verlauf des Krieges wurde dann Präsident Lumumba ermordet. Ebenso wie der Generalsekretär der UN."
    Anders als Emilio Tasso kennt sich Alexander Bühler mit dem Kongo gut aus; die Hintergründe sind gut recherchiert. Viele Episoden sind tatsächlich so passiert, in anderen mischt Bühler geschickt Fakt und Fiktion - eine Mischung für die, wie er sagt, das Medium prädestiniert ist.
    "Comic kann Bilder erzeugen und kann gleichzeitig reale Bilder verwenden. Das ist das Spannende. Comic ist zugänglich auf eine gewisse Weise, es funktioniert auf einer emotionalen Ebene und gleichzeititg kann es eben auch die sachlichen Bilder verwenden."
    Persönlich gefärbte Einblicke
    Reportagen im Comicstil sind ein florierendes Sub-Genre. Künstler wie "Palästina"-Autor Joe Sacco oder der Kanadier Guy Delisle, der in "Pjönjang" seine Erlebnisse in Nordkorea schildert, erlauben persönlich gefärbte Einblicke in fremde Kulturen. Dass dagegen hierzulande Comics mit journalistischem Einschlag eine Seltenheit sind, ist vielleicht kein Zufall, sagt Alexander Bühler.
    "Ich glaube, Deutschland hat ein sehr großes journalistisches Problem: Man ist immer auf der Suche nach Authentizität. Wenn man längere Reportagetexte im 'New Yorker' liest, dann sind die durchaus in der Ich-Person geschrieben. Der Autor bringt sich selbst herein als handelnde, beobachtende Figur. Das ist in Deutschland nicht angesagt, das ist sehr verpönt sogar eher. Wobei man eben bei Reportagen durch die Hintertür immer den Autoren hat. Man versucht, in Deutschland sehr stark die Emotionalität rauszunehmen. Und bei Reportage-Comics ist das ja eigentlich überhaupt nicht möglich, denn da ist Emotionalität sehr gefragt."
    Bühlers eigene Erfahrung als Journalist hat Emilio Tasso ebenso geprägt wie die Werke von Autoren wie Joe Sacco. Überhaupt sieht er eine Verwandschaft zwischen Journalismus und Comics, eine enge Beziehung, die in beide Richtungen läuft:
    "Comics haben mich schon immer beeinflusst und begleitet, Comics über Atlantis zum Beispiel, die ganz viel erzählt haben über die ägyptische Sagen- und Götterwelt. Das fand ich immer wahnsinnig spannend, weil man auf diese Weise eben sehr schnell was lernen konnte und sehr schnell in eine Atmosphäre reingeführt wurde, die jenseits von klassischen Sachbüchern liegt."
    Fiktive Figur an Autor angelehnt
    Die Schwarz-weiß-Illustrationen von Uta Röttgers oder "Zaza" sind oft isolierte statische Momentaufnahmen, die wenig mit der im Comic üblichen sequentiellen Kunst gemein haben. Bühler hat die Figur Emilio Tasso lose an seine eigene Person angelehnt, in den Illustrationen verschmelzen Autor und Protagonist dagegen vollständig - Realität mischt sich mit Räuberpistole.
    Im Fall von Emilio Tasso ist der Übergang nicht immer gelungen; gerade in der ersten Hälfte seines Comics präsentiert Bühler Hintergrundinformationen als trockene Exposition, während sich das Ende zu einem halsbrecherischen Abenteuer entwickelt, einem James Bond-artigen Showdown im Dschungel, bei dem es um viel mehr geht als um das Leben der Hauptfigur.
    "Uran-Brennstäbe für den Reaktor des königlichen Anwesens. Eine unglaubliche, zerstörerische Macht liegt darin."
    Trotz des manchmal etwas spröden Tons und der statischen Bildästhetik ist Emilio Tasso frischer Wind für den deutschen Comic-Markt, eine clevere Variante der Comic-Reportage. Alexander Bühler hat seine Eindrücke aus dem Kongo in ein ganz eigenes und sehr persönliches Gefäß verpackt, teils autobiografisch, teils journalistisch und teils frei erfunden. Dabei spielt er geschickt mit den Erwartungen des Lesers und hinterfragt immer wieder die Wahrnehmung von Fakt, Fiktion und Authentizität.
    "Die Frage, was authentisch ist, was nicht, das ist, glaub ich, so eine sehr entscheidende Frage. Das wird momentan diskutiert, weil die Fotografie auch als Abbildung der Realität mittlerweile sehr stark an ihre Grenzen kommt. Und wie ich das weiterentwickelt habe, indem ich das fiktional zugespitzt habe, auf einen Showdown, auf ein Abenteuer. Weil es gleichzeitig auch sehr deutlich macht, hallo, das hier ist nicht real. Es hat zwar reale Züge, aber es ist eine Geschichte, es ist eine Abenteuergeschichte, es ist fiktional."