Mit etwas Sonnenöl auf der Haut auf dem Handtuch liegen und die Augen schließen, während im Hintergrund die Wellen rauschen. Urlaub am Strand ist für so manchen der Inbegriff der Entspannung , die Zeit auf die man sich das ganze Jahr lang freut. Dieser Zeit haben David Prudhomme und Pascal Rabaté ihren neuen Comic gewidmet.
"Rein in die Fluten" heißt das Werk, dass einen langen Tag im fiktiven Feriennort Polovos Plage beschreibt. Die zahlreichen Figuren sind ein Querschnitt durch die Gesellschaft, sowohl was ihr Alter als auch ihren Status angeht. Politik spielt dabei keine Rolle, sagt Pascal Rabaté:
"Der Urlaub ist die Zeit, in der man alles vergisst; man versucht zu vergessen, dass es eine wirtschaftliche und soziale Krise gibt, und Arbeitslosigkeit und all das. Man kommt am Strand an, und die Krise verschwindet, so lange bis man wieder zurückkommt. In dieser Zeit wollen die Leute einfach glücklich sein. Sie wollen auch kein Radio hören und keine Zeitung lesen - das einzige, was sie interessiert, ist der Wetterbericht."
Rabaté und Prudhomme erzählen ihre Geschichten voller Überschneidungen, Begegnungen und Parallelen. Vergleiche mit episodischen Ensemblefilmen wie Magnolia oder Short Cuts liegen nah - allerdings nicht für Rabaté.
"Es ist witzig - viele Leute sehen einen filmischen Einfluss; dabei finde ich, dass dieses Projekt nur als Comic existieren kann. Die französischen Kritiker haben sogar von 'Kamerafahrten' gesprochen. Es stimmt zwar, dass David und ich beide auch im Filmarbeiten, aber dieses Projekt hab ich mir nie im Kino vorgestellt, es sollte immer ein Comic werden. Ich glaube auch gar nicht, dass man es adaptieren könnte; wir haben uns viel zu sehr an der Erzählweise des Comic orientiert und es so geschrieben, so dass es in keinem anderem Medium funktionieren würde."
Nostalgische Wärme und kalte Verachtung
Eine filmische Inspiration allerdings gesteht der Autor ein. Der legendäre französische Filmemacher Jacques Tati, dessen sanft-melancholische Filme wie "Mon Oncle" und "Die Ferien des Monsieur Hulot" nicht nur "Rein in die Fluten" beeinflusst haben.
"Wir bewundern beide sehr die Arbeit von Jaques Tati; sie ist gleichzeitig poetisch und burlesk komisch. Ich würde sogar sagen, Tati ist einer unserer Haupteinflüsse."
Der Band beginnt mit der Anfahrt der verschiedenen Figuren; als sie schließlich am Strand ankommen, fällt jeder von ihnen in eine eingespielte Rolle. Hier glänzt "Rein in die Fluten" damit, dass der Comic die Details des Strandurlaubs ebenso liebevoll wie schonungslos einfängt, mit einer gesunden Mischung aus nostalgischer Wärme und kalter Verachtung.
Loten gerne menschliche Abgründe aus
Pascal Rabaté und David Prudhomme sind gute Beobachter; während beide gerne menschlische Abgründe ausloten, ist Prudhomme gnadenlos, wogegen Rabaté oft liebenswertes in ihnen findet. Die beiden haben vor "Rein in die Fluten" schon einmal an einem Comic zusammengearbeitet; ihre Bildsprache und Erzählweise sind grundverschieden - und ergänzen sich deshalb perfekt, findet Rabaté:
"Wir sind nicht direkt gegensätzlich; ich würde eher sagen, wir ergänzen uns. David stürzt sich auf die Details; vieles kam aus seiner eigenen Erinnerung; außerdem sind wir zum Strand gegangen und er hat sich da sehr viele Notizen und Skizzen gemacht. Ich hab auch Skizzen gemacht, aber hab dabei mehr auf die allgemeine Stimmung geachtet und gar nicht so auf die Details. Und dann haben wir ganz bewusst diese beiden Sichtweisen gemischt, in der Geschichte und in den Zeichnungen, also meinen etwas weiteren Blickwinkel und seine 'Nahaufnahmen'."
Ein gelangweilter Strandgast sieht seine Finger beim Sonnenbaden als imaginäre Schusswaffen zunehmend größeren Kalibers, ein Spaziergänger freut sich am FKK-Strand über den Anblick der Frauen und ärgert sich über den der Männern, und ein Familienvater wird sentimental, als ihn der Geruch der Ferienwohnung an seine Kindheit erinnert. Am Rande des Geschehens stehen zwei Anstreicher, die beobachten und kommentieren.
Mikrokosmos von Strand und Promenade
"Das sind wir. Genau, die zwei Schnauzbärtigen, die ein bisschen wie Schulze und Schultze von Hergé aussehen. Wir sind ja auch gewissermaßen die Maler des Comics. Außerdem sehen wir uns auch ähnlich, wir sind beide glatzköpfig und Brillenträger. David ist etwas schmaler als ich und dafür größer. Wir sind auch ein bisschen wie Laurel & Hardy als Anstreicher."
So werden sie zu Zeugen eines liebevoll absurden und doch alltäglichen Panoptikums. Dabei betrachten Pascal Rabaté und David Prudhomme die Urlauber nicht nur von außen; oft versetzen Sie sich und ihre Leser auch in den Kopf der Figuren. Die entfliehen dem Alltag, um im Mikrokosmos von Strand und Strandpromenade zu shoppen, schwimmen, frieren, fischen, graben, anzugraben und ihr sandiges Territorium zu verteidigen. Und am Ende des Tages schleicht sich beim Leser das Gefühl ein, dass es vielleicht entspannender gewesen wäre, einfach zuhause zu bleiben.