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Comic-Reportage "Liebe auf Iranisch"
Gestohlene Küsse

Jahrelang ist das Journalistenpaar mit dem Pseudonym Jane Deuxard immer wieder in den Iran gereist und hat junge Menschen zu Liebe und Sex in der konservativ-islamischen Gesellschaft befragt. Das Ergebnis ist die Comic-Reportage "Liebe auf Iranisch" über eine Generation, die sich im eigenen Land nicht immer wohlfühlt.

Von Kai Löffler | 29.05.2017
    Comicpanel aus "Liebe auf Iranisch" - eine vielköpfige Mutter umringt eine junge Frau und macht ihr vielfache Vorwürfe
    Ein Panel aus "Liebe auf Iranisch" - die Familie spielt bei der Partnerwahl im Iran eine gewichtige Rolle (Jane Deuxard / Zac Deloupy / Splitter Verlag)
    "Die Polizeipatrouillen sind überall. Jedes Mal, wenn sie vorbeikommen, schweigen wir und senken den Blick. Würden sie uns entdecken und festnehmen, wären die Iraner, die bereit waren mit uns zu reden, in Gefahr. Wir sind ständig angespannt."
    Jane Deuxard nennt sich das Journalistenpaar, das den Comic "Liebe auf Iranisch" geschrieben hat. Die Grundlage waren Gespräche mit jungen Iranern - geführt zwischen 2011 und 2015 - und eigentlich für einen anderen Zweck bestimmt.
    "Wir haben ein paar Reportagen daraus gemacht, hatten aber viel Material übrig. Und dann haben wir an einen Comic gedacht, so könnten die jungen Iraner den Leser genauso ansprechen wie uns, mit direkter Rede. Das klappt am besten im Comic; man schreibt auf, was die Leute sagen und genau das bekommt dann der Leser."
    "Wir sind zermürbt"
    Episodisch stellen Jane Deuxard junge Menschen aus allen Teilen des Landes vor, die eines gemeinsam haben: Alle sind enttäuscht, vor allem von Präsident Rohani, nachdem die von ihm versprochenen Reformen ausgeblieben sind. Diese Resignation bringt ein 20-jähriger Kellner - und, verbotenerweise, heimlicher Rockmusiker - auf den Punkt.
    "Die Leute haben heute keine Kraft mehr zu kämpfen; wir sind zermürbt. Vielleicht kommt es mit der nächsten Generation. Unsere ist erschöpft."
    Dann stimmt er den Song "Cloudy Now" von Aviv Geffen und Blackfield an - eine Hymne der israelischen Friedensbewegung.
    Jane Deuxard sagt: "...und wir haben gefragt, was für ein Song das ist. Er meinte, er mag ihn, er mag die Bedeutung und auch, dass er aus Israel kommt."
    "Wenn wir einen Ort finden, wo wir uns verstecken können, haben wir sexuellen Kontakt - aber nicht vollständig. Alle Paare machen es so."
    Die Angst ist allgegenwärtig, sagt eine 26-Jährige aus Teheran. Auf keinen Fall darf man auf frischer Tat ertappt werden, aber es ist auch wichtig, Jungfrau zu bleiben - vor der Hochzeit kann die Familie des Bräutigams einen Test verlangen. Sex ist also entweder Oral oder Anal - das meint sie mit "nicht vollständig".
    Widerstand ist zwecklos
    Jane Deuxard erklärt: "Die Tradition, die Kultur, ist noch restriktiver als das Regime. Wenn man verhaftet wird, ist die schlimmste Drohung der Polizei nicht das Gefängnis, sondern 'Wir rufen Deine Eltern an und erzählen, dass Du mit einem fremden Mädchen zusammen warst.'"
    Der Konsens scheint zu sein, dass Widerstand zwecklos ist - überall lauern Denunzianten und selbst Familie und Freunden kann man nicht immer trauen. Interviewpartner zu finden war deshalb ein langer und schwieriger Prozess - und auch Jane Deuxard hatten manchmal Angst:
    "Es gibt natürlich immer ein Risiko, aber wir waren sehr vorsichtig. Wenn wir ein komisches Gefühl hatten, sind wir gegangen. Einmal, das erzählen wir auch im Comic, lief ein Treffen sehr seltsam. Wir haben getan, als ob nichts wäre – also "wir sehen uns dann morgen" - und haben über Nacht die Stadt verlassen. Irgendwas stimmte nicht und wir hatten Angst, dass am nächsten Morgen im Park der Geheimdienst auf uns wartet."
    Sprachrohr einer resignierten Generation
    Das sind Szenen wie aus einem Spionage-Thriller; in Verbindung mit Journalisten, die mit jungen Menschen über den Alltag, Liebe und Beziehungen sprechen, klingen sie für westliche Ohren absurd. Genau das macht "Liebe auf Iranisch" so spannend. Durch die verspielten, digital kolorierten Zeichnungen von Deloupy ist der Comic ein eindrucksvolles Porträt einer enttäuschten Generation. Der Zeichner war selbst noch nie im Iran - und da er die Identität von Jane Deuxard kennt, wird das wohl auch so bleiben. Stattdessen hat er mit Beschreibungen und Fotos gearbeitet - und gibt gemeinsam mit den Autoren einer resignierten Generation ein Sprachrohr, deren Stimme sonst kaum die Chance hat, an die Öffentlichkeit zu dringen.
    "Liebe auf Iranisch" ist im Splitter-Verlag erschienen.